Von Juan E. Alemann
Dezember 2020 verzeichnet eine Zunahme der Konsumentenpreise von 4%, womit die 12 Monate zum Dezember 36,1% aufweisen, 17 Prozentpunkte unter 2019. Doch das Jahr 2020 weist ab Juli eine steigende Tendenz. Der Sprung von 4% im Dezember ergibt hochgerechnet auf 12 Monate 54%. Die ersten Preiserhebungen von Januar deuten darauf hin, dass die Inflation auch in diesem Monat in dieser Größenordnung liegen dürfte.
Die sogenannte Kerninflation, bei der die Bereiche nicht berücksichtigt werden, deren Preise die Regierung festsetzt, an erster Stelle öffentliche Dienste, weist im Dezember eine Zunahme von 4,9% aus, was auf Jahresbasis 61,34% darstellt. Die Preise wurden durch die Einfrierung bei öffentlichen Diensten gedrückt. Die niedrigen Tarife wirken sich direkt auf den Konsum der Haushalte und Personen aus, aber auch auf die Kosten von Unternehmen, und verringern somit kostenbedingte Preiszunahmen.
Der Tarif für elektrischen Strom, und auch für Gas und Wasser, dürfte dieses Jahr stark erhöht werden, um den Subventionsbetrag drastisch zu senken, der die Staatsausgaben belastet, und auch, um den Betreibern der Stromwirtschaft zu erlauben, die Instandhaltung nicht zu vernachlässigen und notwendige Investitionen durchzuführen. Ebenfalls wurden bestimmte Preise von Waren des täglichen Bedarfs der Haushalte durch Preisabsprachen und Höchstpreise relativ niedrig gehalten, was gelegentlich wieder aufgeholt wird. Auch sind die Tarife für private Gesundheitsdienste sind stark zurückgeblieben, so dass sie die Kosten nicht decken. Es müssen jetzt viele Preise, die hinter der Kostenzunahme zurückgeblieben sind, aufgeholt werden.
Was im Dezember und ganz 2020 auffällt, ist die starke Preissteigerung bei frischen Lebensmitteln, an erster Stelle bei Rindfleisch, mit 15%. Hier handelt es sich um einen Sprung, wie er periodisch bei Rindern und Fleisch auftritt. Bei verarbeiteten Lebensmitteln, wie Brot, Milch und Milchprodukten, Teigwaren, Speiseöl, Reis u.a. wurden die Preiszunahmen im Dezember wie auch im ganzen Jahr 2020 durch Abkommen mit den Erzeugern im Rahmen des Programmes der gepflegten Preise beschränkt. Ebenfalls besteht bei diesen Produkten eine intensive Konkurrenz unter den verschiedenen Marken, die den Lieferanten auch Grenzen setzt. Dennoch bestehen oft hohe Preisunterschiede, besonders bei Teigwaren, die sich im Wesen nur durch eine gute Propaganda führender Marken erklären lässt. Denn im Wesen besteht kein Unterschied mit billigeren Marken.
Die starken Zunahmen bei Gemüse, und auch bei Obst, die in diesem Jahr stattgefunden haben, sind schwer zu erklären. Bei Gemüse besteht in den meisten Fällen Überangebot: die Landwirte ernten nicht alles, was sie produzieren, und die Gemüseverkäufer sehen sich oft gezwungen, Ware, die leicht verdorben ist, weil sie nicht schnell verkauft wurde, wegzuwerfen. Gelegentlich verkaufen sie sie auch zu niedrigeren Preisen, und in Vororten und Dörfern, schenken sie dieses Gemüse auch an arme Nachbarn, die sie kennen. Doch all das wird vom INDEC nicht erfasst.
Beim Gemüse besteht seit immer schon ein ungelöstes Problem. Zwischen dem Preis, den der Landwirt erhält, und dem, den der Konsument zahlt, besteht ein Verhältnis von ca. eins zu fünf. Offensichtlich sind die Transport- und Verteilungskosten hoch, und ebenfalls wird hier die Ware einkalkuliert, die schließlich weggeworfen wird. Dennoch erscheint die Differenz zu hoch.
Die ZB hat unlängst eine Studie über Inflation ausgearbeitet, in der sie auf die Multikausalität des Phänomens hinweist. Die orthodoxe These, dass die Inflation nur ein monetäres Phänomen ist, erklärt die argentinische Inflation nicht. In Argentinien haben Abwertungen, die durch die Lage der Zahlungsbilanz bedingt sind, eine direkte und sehr weitverbreitete Wirkung auf die Preise, und zwar nicht nur auf die Preise von importierten Gütern und solchen, die auch exportiert werden, sondern allgemein, weil die Gesellschaft weitgehend in Dollar denkt und viele Preise, wie die von Immobilien, in Dollar ausgedrückt werden, auch wenn sie wenig mit dem Wechselkurs zu tun haben. Ebenfalls wirken sich Lohnerhöhungen inflationär aus, da das System der Lohnverhandlung im Wesen inflationär ist, weil die Unternehmer davon ausgehen, dass sie die Erhöhungen auf die Preise abwälzen, so dass sie prinzipiell nachgiebig sind und es nicht auf einen Konflikt, eventuell mit Streik, ankommen lassen wollen. Das System der Allgemeingültigkeit von Lohnabsprachen (was “homologación” benannt wird), fördert dieses Verhalten, da die lohnbedingten Kostenzunahmen für alle gelten und somit die Konkurrenzverhältnisse nicht ändern.
Gegenwärtig sind die Umstände jedoch anders. Die Löhne sind allgemein, mit wenigen Ausnahmen, weit hinter der Zunahme der Preise zurückgeblieben. Die hohe Arbeitslosigkeit und die ebenfalls hohe Entlassungsbereitschaft der Unternehmen (wegen schwacher Konjunktur und auch wegen Einführung von Informatiktechnologie und Rationalisierung) haben den Druck der Gewerkschaften geschwächt. Was den Wechselkurs betrifft, so verwaltet ihn die ZB sehr strikt, mit einer kontinuierlichen Abwertung, die leicht über der internen Preiszunahme liegt. Die Devisennachfrage wird dabei durch brutale Beschränkungen der Importgenehmigungen eingedämmt, so dass es voraussichtlich nicht dazu kommt, dass die ZB den Kurs nicht mehr halten kann und dieser davonspringt. Gewiss hat der schwarze Kurs auch eine Wirkung, vor allem eine psychologische, doch dies hat keine so direkte Wirkung auf die internen Preise. Was die Importbeschränkung betrifft, so führt das zu Mangelerscheinungen, die störend auf den Wirtschaftsablauf wirken, aber auch zu einem Vordringen lokal erzeugter Produkte, und auch zu Bemühungen, importierte Produkte in Argentinien herzustellen.
Auf der anderen Seite hat 2020 eine phänomenale monetäre Expansion eingesetzt. Die Geldmenge, gemessen als monetäre Basis (Banknoten im Umlauf plus Bankdepositen bei der ZB) hat sich 2020 etwa verdoppelt. Und diese Expansion dauert an, weil die Regierung kaum Möglichkeiten hat, ihren Finanzbedarf mit Unterbringung von Staatstiteln zu decken. Der Geldüberhang hatte jedoch bisher eine erstaunlich geringe Preiswirkung. Nur auf den Kurs des freien Dollars hat er sich ausgewirkt, weil die Menschen in Argentinien ihre Liquidität weitgehend in Dollar halten. Die akute Rezession hat allgemein gegen Preiserhöhungen gewirkt. Die Geldschöpfung hat grundsätzlich die fehlende Nachfrage ausgeglichen.
Allein, gelegentlich kommt bei der hohen monetären Expansion doch eine Wirkung auf die Preise. Wirtschaftsminister Guzmán ist sich dessen bewusst, und bemüht sich daher, die Staatsausgaben in Grenzen zu halten. Das Subventionsprogramm IFE, das in einer Subvention von $ 10.000 monatlich an arme Familien besteht, wurde aufgegeben, und das ATP-Programm, das Löhne zur Hälfte subventionierte, wurde stark beschränkt. Auch andere krisenbedingten Zahlungen wurden stark verringert oder abgeschafft. Es ist jedoch schwierig, diese Politik 2021 weiterzuführen. Denn die soziale Lage hat sich verschlechtert und erfordert mehr staatliche Hilfen. Sozialminister Daniel Arroyo hat schon die Mittel für unentgeltliche Lebensmittelzufuhr erhöht. Auch wenn die Zunahme der monetären Basis prozentual geringer sein dürfte als die von 2020, wird sie immer noch hoch bleiben, wobei die Regierung dabei noch mit dem Geldüberhang von 2020 fertig werden muss.
Man kann somit auf alle Fälle für 2021 mit einer Inflation, gemessen an den Konsumentenpreisen, von über 50% rechnen, sei es weil die Tarife öffentlicher Dienste erhöht werden müssen, und/oder wegen der hohen Geldschöpfung. Dabei besteht die Gefahr, dass die Inflation davonspringt und es zu einer neuen Hyperinflationswelle kommt. Die Erfahrung mit den drei Hyperinflationen in Argentinien (mit Höhepunkt jeweils im März 1976,1989 und1990) zeigt, dass der Sprung von einer Hochinflation, also über 100% im Jahr, auf die Hyperinflation (50% in einem Monat) sehr kurz ist. Bei hoher Liquidität und zurückgestauten Preisen von öffentlichen Diensten u.a. Waren und Dienstleistungen, entsteht ein Preissprung dieser Art sehr schnell. Bei den drei erwähnten Hyperinflationswellen hat kein Ökonom dies einige Monate vorher in Aussicht gestellt.
Comments