Von Juan E. Alemann
Argentinien erlebt gegenwärtig eine vielfache Krise, und niemand weiß, wie dies weitergeht. Es ist einmal eine sanitäre Krise, dann eine wirtschaftliche und schließlich eine soziale von nie dagewesenem Ausmaß. Die Regierung begegnet einzelnen Krisenerscheinungen mit konkreten Maßnahmen, die sich jedoch nur auf extreme Krisenauswirkungen beziehen, wie die Verbreitung der Pandemie, den Hunger und die krisenbedingte private Verschuldung. Aber eine Aussicht auf Überwindung der Krise, auf Erholung und ein Wachstum, das zu mehr Einkommen und einer besseren Lebensqualität führt, gibt es nicht. Die Regierung befindet sich in der Defensive, verteidigt sich schlecht, vermittelt dabei ein Schuldgefühl und trägt zur Weltuntergangsstimmung bei, die allerlei Kritiker vermitteln. Das negative Bild, das sich dabei durchsetzt, verschlimmert die Lage. Denn die Überzeugung, dass es keine Lösung gibt, führt zu einer Haltung von Unternehmern, aber auch der Gesellschaft im Allgemeinen, die den Weg in eine bessere Zukunft sperrt.
Deutschland befand sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit in einer viel schlimmeren Lage als das heutige Argentinien. Berlin war ein Trümmerhaufen und andere Großstädte wiesen auch große Bombenschäden auf. Auch die Industriebetriebe waren beschädigt und/oder mit alten Maschinen ausgestattet, die nicht für die neue Zeit geeignet waren, die sich anbahnte. Millionen Menschen waren arbeitslos, es gab keine Währung und die wirtschaftlichen Beziehungen zur Welt waren abgebrochen. Dennoch ist es gelungen, einen Aufschwung einzuleiten, der mit Recht Wirtschaftswunder benannt wurde.
Es war ein Glücksfall, dass damals ein Politiker von Format wie Konrad Adenauer zum Bundeskanzler wurde. Und ein weiterer war es, dass ein Mann mit einer felsenfesten marktwirtschaftlichen Überzeugung wie Ludwig Erhard zum Wirtschaftsminister wurde. Hätte Deutschland damals einen sozialistischen Kurs eingeschlagen, was genau so gut hätte geschehen können, dann wäre das Wunder ausgeblieben. Abgesehen von den konkreten Entscheidungen, die Erhard traf, wie seine Weigerung, nach der Währungsreform Preiskontrollen einzuführen, war er ein Meister der Kommunikation. Er schuf den Begriff der sozialen Marktwirtschaft und vermittelte ein optimistisches Zukunftsbild, das dann auch zur Wirklichkeit wurde. Ohne den Optimismus, den er ausstrahlte, wäre dies kaum geschehen.
Die heutige Lage in Argentinien ist nicht entfernt so kritisch wie die deutsche der Nachkriegszeit. Argentinien verfügt nach wie vor über hohe und vielfältige natürliche Ressourcen, über ein ausgedehntes und vielfältiges Erziehungssystem, über eine Bevölkerung, die sich zum größten Teil problemlos in eine moderne Wirtschaft eingliedert und die moderne Technologie voll aufnimmt, und über ein modernes institutionelles und juristisches System. Die Bevölkerung ist weitgehend von europäischen Abstammung und sollte sich somit problemlos wie in Europa verhalten. Es wäre viel einfacher zu erklären, warum Argentinien zu den hochentwickelten Staaten gehört als zu den Schwellenländern.
Die Regierung versteht es nicht, dies und noch mehr zu erklären und ein Zukunftsbild mit Wohlstand und Modernität zu vermitteln. Präsident Alberto Fernández und auch Wirtschaftsminister Martín Guzmán sind in dieser Beziehung überfordert. Der Präsident sollte weitere zweieinhalb Jahre im Amt bleiben, aber den Wirtschaftsminister kann man wechseln. Das Land braucht einen Erhard, mit einer klaren Zukunftsvision und auch einer Strategie für die Überwindung der konkreten Probleme, die gegenwärtig bestehen. Doch zunächst müssten Alberto und Cristina ihre Gedanken klären.
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