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Neustart der Koalition in Wien

Schallenberg Kanzler nach Kurz' Rücktritt

Sebastian Kurz
Sebastian Kurz (l.) mit seinem Kanzler-Nachfolger Alexander Schallenberg. (Foto: Arno Melicharek/BKA via APA/dpa)

Wien (dpa) - Mit der Vereidigung des neuen Kanzlers Alexander Schallenberg (ÖVP) zieht Österreich einen Schlussstrich unter eine kurze, aber heftige Regierungskrise. Der bisherige Außenminister folgt auf den bisherigen Regierungschef Sebastian Kurz, gegen den und dessen Umfeld wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und Untreue ermittelt wird. Mit den mitregierenden Grünen unter Werner Kogler wolle er gemeinsam im Sinne Österreichs arbeiten, sagte der 52-Jährige neue Kanzler am Montag nach seiner Vereidigung durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen.

"Gemeinsam mit Vizekanzler Werner Kogler werde ich alles daran setzen, die entstandenen Gräben zuzuschütten und die gemeinsame Sacharbeit wieder in den Vordergrund zu stellen", sagte Schallenberg. Zugleich - und in dieser Deutlichkeit durchaus überraschend - bekannte er sich zu einer engen Zusammenarbeit mit seinem Vorgänger Kurz. "Alles andere wäre demokratiepolitisch absurd", verwies er auf dessen einflussreiche Rolle als ÖVP-Partei- und Fraktionschef. Obendrein glaube er in der Korruptionsaffäre an die Unschuld seines Vorgängers.

Auch Kogler hat sich dazu bekannt, die Koalition von ÖVP und Grünen nun bis 2024 fortzusetzen. Eine für Dienstag anberaumte Sondersitzung des Nationalrats wird die Opposition zwar zur Abrechnung mit dem "System Kurz" nutzen wollen, aber die Sprengkraft für die Koalition ist nach dem Rücktritt von Kurz dahin. Der Spitzenpolitiker soll seinen Aufstieg auch mit Hilfe von Steuergeldern und geschönten Umfragen arrangiert haben. Kurz bestreitet die Vorwürfe.

Unterdessen werden ÖVP-intern wichtige Weichen gestellt. Bemerkenswert ist eine Aussage des Ministerpräsidenten der Steiermark, Hermann Schützenhöfer. Auf die Frage, ob Kurz wieder als ÖVP-Spitzenkandidat infrage käme, sagte der Landespolitiker der "Kleinen Zeitung": "Wir konzentrieren uns jetzt auf den Alexander Schallenberg. Die gerichtlichen Verfahren (Anm.: gegen Kurz), die es abzuwarten gilt, werden mehrere Wahlen überleben. Insofern halte ich Ihre Frage für theoretisch." Schallenberg "ist keine Puppe", ist sich Schützenhöfer sicher.

Ex-Kanzler Kurz bleibt als ÖVP-Chef und künftiger Fraktionschef weiterhin mächtig. Im Kabinett sitzen mit Agrarministerin Elisabeth Köstinger, Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler und Finanzminister Gernot Blümel engste Vertraute des 35-Jährigen. Viele im Machtgefüge haben Kurz viel zu verdanken. Loyalität über den Rücktritt hinaus ist sehr wahrscheinlich.

Schallenberg ist Diplomat und damit auch aus Sicht von Bundespräsident Alexander Van der Bellen bestens geeignet, zwischen den Bündnispartnern wieder ein Vertrauensverhältnis zu schaffen. "Wir erwarten doch alle, dass die Regierung jetzt gemeinsam wieder an die Arbeit geht und gemeinsam etwas weiter bringt", sagte das Staatsoberhaupt bei der Vereidigung. Als neuer Chefdiplomat Österreichs wurde Michael Linhart vereidigt. Der 63-Jährige arbeitete zuletzt als Botschafter in Paris.

Der neue und der alte Regierungschef, Schallenberg und Kurz, haben jahrelang zusammengearbeitet. Als Kurz vor seiner Zeit als Kanzler noch Außenminister war, beriet ihn der welt- und sprachgewandte Schallenberg als Chefstratege. Im Jahr 2019 wurde Schallenberg Außenminister in einem Übergangskabinett und wechselte in gleicher Funktion in das neue Kabinett von Kurz. Schallenberg entstammt einer ehemaligen Adelsfamilie. Als Sohn eines Diplomaten wuchs er in Indien, Spanien und Frankreich auf.

Der neue Kanzler vertritt eine genauso restriktive Haltung in Sachen Migration wie sein Vorgänger. Er hat mitunter auch die EU-kritischen Töne von Kurz unterstützt. "Ich glaube, ein pragmatischer und realistischer Blick auf die EU ist das Beste für die EU. (...) Wir haben großes Interesse daran, dass dieses Projekt auch Erfolg hat", sagte er einmal.

Sticheleien gegen Kanzlerin Angel Merkel, wie sie von Kurz immer wieder zu hören waren, gehörten bislang nicht zu seinem Repertoire. Beim Klimawandel ist Schallenberg ganz auf der Seite der Warner.


Erste Festnahme

Wien (dpa) - In Österreich ist wegen der Korruptionsvorwürfe rund um die konservative ÖVP nach Medieninformationen eine Meinungsforscherin festgenommen worden. Ein entsprechender Bericht der Zeitung "Der Standard" wurde der österreichischen Nachrichtenagentur APA aus Anwalts- und Regierungskreisen bestätigt.

Die Demoskopin wird demnach von der Staatsanwaltschaft verdächtigt, eine zentrale Rolle bei der Erstellung von geschönten Umfragen zum Vorteil der ÖVP gespielt zu haben, die dann in Medien platziert worden seien. Dafür sollen Steuergelder veruntreut worden sein. Grund für die Festnahme soll Verdunkelungsgefahr sein. Die Beschuldigte soll laut der Zeitung kurz vor einer Hausdurchsuchung am 6. Oktober die Festplatte ihres Computers gelöscht haben.

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) bestätigte den Vorgang nicht. Sie erklärte, dass sie in laufenden Ermittlungsverfahren Anfragen zu konkreten Ermittlungsmaßnahmen nicht beantworten dürfe.

 

DEUTSCHLAND

„Stunde der Wahrheit“

Berlin (dpa) - Bei den Sondierungen über ein mögliches gemeinsames Regierungsbündnis aus SPD, Grünen und FDP in Deutschland könnten schon am heutigen Freitag wegweisende Entscheidungen getroffen werden. Die "Stunde der Wahrheit" stehe bevor, sagte FDP-Generalsekretär Volker Wissing am Dienstag in Berlin. Er sprach von einem Lackmustest. Ziel sei es, bis zum Freitag eine "Entscheidungsgrundlage" zu erstellen, ob den jeweiligen Gremien die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen empfohlen werden könne. Es gehe nun darum, die großen Fragen zu klären.

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte, alle relevanten Themen seien nun diskutiert worden. "Wir haben uns gemeinsam auf den Weg gemacht. Das ist gut gelungen." Es gebe aber noch viel Strecke zu bewältigen und die eine oder andere Hürde. Die Aufgaben seien nicht zu klein, sagte Klingbeil, der sich zugleich zuversichtlich zeigte. Er glaube, "das kann was Gutes werden".

Am Mittwoch und Donnerstag lag es vor allem an den Generalsekretären der Parteien und ihre Mitarbeitern. In dieser Zeit weilte SPD-Kanzlerkandidat und Finanzminister Olaf Scholz in Washington.

Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sprach von sehr intensiven Gesprächen. "Wir haben uns nicht gegenseitig die Parteiprogramme vorgelesen." Es sei vielmehr darum gegangen, die Probleme des Landes zu lösen. Die Menge an Gemeinsamkeiten sei größer geworden, die Menge an Unterschieden kleiner.

Die SPD hatte die Bundestagswahl vom 26. September gewonnen, war allerdings auch nicht über 25,7 Prozent der Stimmen hinausgekommen. Für ein Bündnis mit dem grünen Wunschpartner (14,8 Prozent) alleine reicht es nicht, deshalb sind beide auf die Liberalen (11,5 Prozent) als Drittem im Bunde angewiesen.


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