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Neuanfang für Brasilien

Luiz Inácio Lula da Silva vor großen Herausforderungen
Lula
Lula da Silva (M.) stellte vergangene Woche sein Kabinett vor, am 1. Januar 2023 wird er vereidigt. (Foto: Marcelo Camargo/Agencia Brazil/dpa)

Brasília (dpa) - Wenn Brasiliens alter neuer Präsident Luiz Inácio Lula da Silva am Neujahrstag seine dritte Amtszeit antritt, kann er seine Erfahrung angesichts der enormen Aufgaben gut gebrauchen. Vorbei ist der Boom seiner ersten zwei Amtszeiten von 2003 bis 2010. Sein Vorgänger hat das bevölkerungsreichste und wirtschaftsstärkste Land Lateinamerikas tief gespalten und international isoliert. Die Abholzung des für das Weltklima wichtigen Amazonasgebiets hat kräftig zugelegt. Geopolitisch spielt Brasilien als Exporteur von Lebensmitteln, Rohstoffen und grüner Energie sowie als regionale Führungsmacht eine Rolle - doch leiden in dem eigentlich reichen Land mit einer gigantischen Landwirtschaft immer mehr Menschen Hunger.

Baustellen gibt es also genug - und der 77-jährige Linke muss sich mit einem Kongress arrangieren, der von rechten Bolsonaro-Anhängern dominiert wird. „Diese Amtszeit wird sehr viel schwieriger werden als seine vorherigen“, sagt der Politikwissenschaftler Mauricio Santoro von der Bundesuniversität von Rio de Janeiro. „Sowohl wegen der Veränderungen in Brasilien, aber auch aufgrund einer komplizierter gewordenen internationalen Lage.“

Vier Jahre der Regierung von Jair Bolsonaro haben ihre Spuren in Brasilien hinterlassen. Der Hauptmann der Reserve schaffte es, die rechten Strömungen im 214-Millionen-Einwohner-Land hinter sich zu vereinen. Die Präsidentschaftswahl im Oktober, aus der Linkspolitiker Lula als Sieger hervorging, hat das Land extrem polarisiert. Die Risse gehen durch Familien, Freundesgruppen und Nachbarschaften. Nun ist es an Lula, der als großer Umarmer gilt, das Land zu versöhnen.

Einige von Bolsonaros Unterstützern wollen den Wahlsieg Lulas jedoch immer noch nicht wahrhaben. Demonstranten, teils auch vor Kasernen, fordern immer wieder ein Eingreifen des Militärs, weil sie wegen des engen Wahlausgangs Betrug vermuten. Zuletzt versuchten radikale Bolsonaro-Anhänger in der Hauptstadt Brasília, in das Gebäude der Bundespolizei einzudringen, zündeten Autos und Busse an.

International hat Bolsonaro Brasilien mit seiner Blockadehaltung beim Umweltschutz, seiner umstrittenen Corona-Politik und seinen unsäglichen Äußerungen isoliert. Lula könnte das Ansehen des Landes wiederherstellen. Bei der UN-Klimakonferenz in Ägypten im November kehrte er mit seiner ersten internationalen Rede nach der Wahl bereits auf die Weltbühne zurück. Zuvor hatte er Brasilien als Gastgeber der Weltklimakonferenz im Jahr 2025 ins Gespräch gebracht.

In seiner früheren Amtszeit galt Lula nicht als Grüner, hat jetzt aber versprochen, Umwelt- und Klimaschutz zu stärken. So könnte der Amazonienfonds zum Schutz des Regenwaldes, an dem auch Deutschland beteiligt ist, wiederbelebt werden. Als riesiger Kohlenstoffspeicher spielt das Amazonasgebiet, flächenmäßig so groß wie Westeuropa, im Kampf gegen den weltweiten Klimawandel eine wichtige Rolle.

„Der Umweltschutz ist das wichtigste außenpolitische Thema, mit dem der neue Präsident sich befassen muss“, sagt Bruno Carazza, Politikwissenschaftler von der Universität von Minas Gerais. „Wir haben große Vorteile bei alternativen Energiequellen. Wir haben die Chance, eine wichtige Rolle bei der Reduzierung der CO2-Emissionen und bei der Vermarktung von Emissionsgutschriften zu spielen.“

Die Umweltagenda kann Carazza zufolge auch wichtig für die brasilianische Wirtschaft sein. Bolsonaros Verweigerungshaltung beim Klimaschutz bremste die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Südamerika und Europa. Das Freihandelsabkommen zwischen dem Staatenbund Mercosur und der EU liegt derzeit auf Eis - unter anderem auch deshalb, weil Kritiker in Europa befürchten, der Vertrag werde die Regenwaldzerstörung in Brasilien weiter befeuern.

Angesichts der angespannten Lage auf dem Energie- und Lebensmittelmarkt wegen des Ukraine-Kriegs ist die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas aber ein wichtiger Handelspartner. Nach Berechnungen der staatlichen Agrar-Forschungsagentur Embrapa produziert Brasilien Nahrungsmittel für 780 Millionen Menschen - knapp ein Zehntel der Weltbevölkerung. Mehr als 30 Millionen Brasilianer sind laut einer Studie allerdings von Hunger betroffen.

Lula will den Kampf gegen den Hunger wieder in den Vordergrund rücken. Es ist eines seiner ureigensten Anliegen. Als Kind einer armen Familie aus dem Nordosten litt er selbst Hunger. Unter seiner Regierung hatte Brasilien die Landkarte des Hungers verlassen. Hohe Rohstoffpreise und neu entdeckte Ölvorkommen halfen ihm damals, Sozialprogramme wie „Fome Zero“ (Null Hunger) und die Familienhilfe „Bolsa Familia“ zu finanzieren.

Ohne den „Centrão“ - kleine und kleinste Parteien, die sich häufig im Gegenzug für politische Unterstützung Ämter und Posten sichern - kann in Brasília kaum jemand regieren, auch Lula nicht. Bei den Wahlen Anfang Oktober zogen zudem viele Gefolgsleute von Bolsonaro in den Kongress ein, seine Liberale Partei stellt dort künftig die stärkste Fraktion. „Der Kongress dürfte eine ständige Quelle von Problemen sein“, sagt Politikwissenschaftler Santoro.

„Lula wird all seine politischen Fähigkeiten brauchen, um eine parlamentarische Basis zu seiner Unterstützung zu verhandeln.“ Für Gesetzesprojekte sind die Hälfte der Stimmen beider Kammern notwendig, für Verfassungsänderungen zwei Drittel. Der politische Analyst Adriano Oliveira von der Uni von Pernambuco glaubt, dass der Linkspolitiker mit seiner Dialogfähigkeit Wege finden wird: „Nicht alle aus dem Bolsonaro-Block sind radikal. Und irgendwann, in sechs, acht Monaten werden sie mit Lula stimmen.“


 

Besorgnis um Benedikt

Rom (dpa) - Der Zustand des emeritierten Papstes Benedikt XVI. hat sich nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Ansa am Donnerstag nicht verändert. Dem 95-Jährigen gehe es gesundheitlich zwar schlecht, die Situation sei aber stabil, meldete die Agentur unter Verweis auf Personen, die in Kontakt mit dem früheren Kloster Mater Ecclesiae in den Vatikanischen Gärten stünden. Dort lebt Benedikt seit seinem Rücktritt 2013 relativ abgeschieden und wird inzwischen auch permanent von Ärzten überwacht und betreut.

Eine offizielle Mitteilung aus dem Vatikan gab es am Donnerstag zunächst nicht. Am Mittwoch hatte der amtierende Papst Franziskus für Aufsehen gesorgt, als er verkündete, dass sein Vorgänger „sehr krank“ sei und die Gläubigen für den Deutschen beten sollten. Dies hatte bei vielen den Eindruck erweckt, der Bayer könnte im Sterben liegen.

Im Vatikan ist detailreich geregelt, was zu tun ist, wenn ein Papst stirbt. Allerdings beziehen sich fast alle Vorschriften - etwa des Konklaves zur Wahl eines neuen Katholikenoberhauptes - auf den Tod eines amtierenden Papstes. Wie das Drehbuch zum Tod des emeritierten Pontifex Benedikt XVI. aussehen könnte, ist unklar - kein Wunder, schließlich trat mehr als 700 Jahre lang kein Papst zurück.

Wie aus dem Vatikan zu hören ist, hat Papst Franziskus den Ablauf nach dem Tod seines Vorgängers geregelt und mit dem Zeremonienmeister abgesprochen. Öffentlich gemacht wurde der Plan bislang aber nicht.

Laut der von Johannes Paul II. verfassten Apostolischen Konstitution „Universi Dominici Gregis“ von 1996 müsste der Kardinalvikar von Rom die Bevölkerung über den Tod des Papstes unterrichten. Inzwischen aber gehen Experten davon aus, dass der Heilige Stuhl eine Presseerklärung herausgeben wird. Etliche weitere Vorschriften, etwa über die Fortführung der Amtsgeschäfte, müssen beim Tod von Benedikt nicht angewandt werden, weil ja Franziskus im Amt ist und es daher keine Sedisvakanz - also keinen unbesetzten Papststuhl - gibt.



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