Von Juan E. Alemann
Die Zunahme der Landesrisikorate, die am Dienstag über 1900 Basispunkten erreichte, nachdem es vor zwei Wochen noch um die 1750 waren, will etwas ausdrücken. Das bedeutet nämlich, dass die Titel, die Argentinien erst im Juni 2020 bei der letzten Umschuldung bestehender Titel ausgegeben hat, eine Rendite von ca. 22% in Dollar ergeben, was in einer Welt, in der immer noch anormal niedrige Zinsen vorherrschen, dahingehend interpretiert wird. dass die Finanzwelt mit einem neuen argentinischen Default rechnet. Sonst würden die großen Investmentfonds, die diese Titel halten, an erster Stelle Blackrock, Pimco, Templeton und Fidelity, sie nicht zu Schleuderpreisen verkaufen. Die Vertreter dieser Fonds haben über sechs Monat mit Guzmán verhandelt, der jetzt die Verhandlung mit dem IWF führt, und halten nicht viel von ihm.
Am Mittwoch trat eine Besserung auf, mit einem betonten Rückgang der Landesrisikorate, nachdem die Regierung angekündigt hat, sie strebe ein Abkommen mit dem IWF an, das noch im Dezember abgeschlossen sein soll. Zu diesem Zweck begibt sich eine Mission von Fachleuten nach Washington, um mit dem IWF zu verhandeln, während Minister Guzmán an einem Programm arbeitet, dass er in Kürze dem Kongress vorlegen will. Warum er das nicht schon vor mindestens einem Monat gemacht hat, ist unbegreiflich. Man kann davon ausgehen, dass im Dezember bestenfalls ein Absichtsabkommen unterzeichnet wird, das sich auf die Grundlagen der Verhandlung bezieht, dass aber das wirkliche Abkommen, mit den Einzelheiten, auf die es schließlich ankommt, noch bis März oder später warten muss. Angeblich ist der Fonds bereit, die Zahlungen, die für 2022 vorgesehen sind, hinauszuschieben, eventuell auch die von 2023. Aber er wird Gegenleistungen fordern, und diese sind politisch konfliktiv und auch faktisch meistens nicht einfach.
Der Pessimismus der Finanzwelt, der allgemein besteht und in der Vorwoche besonders stark aufgetreten ist, gründet sich auch auf die Tatsache, dass die effektiv verfügbaren Zentralbankreserven unter u$s 2 Mrd. liegen, eventuell mit Tricks, die sich auf die Verwendung des bilateralen Handelskredites mit China u.dgl. beziehen, auf bis zu u$s 5 Mrd. steigen. Das ist auf alle Fälle zu wenig, um einer hohen Dollarnachfrage zu begegnen. Im November hat die Zentralbank u$s 890 Mio. auf dem Markt verkauft, um den Kurs zu halten. Lange kann sie dies nicht mehr tun. Wenn somit die ZB den Kurs nicht mehr halten kann, dann springt er stark in die Höhe, und die ganze wirtschaftliche Lage wird noch viel komplizierter. Die ZB hat die Erschöpfung der Reserven bisher mit einer zunehmend strengen Devisenbewirtschaftung verhindert, und bemüht sich, die Lage auf diese Weise weiter zu beherrschen. Aber ohne Reserven ist dies nicht möglich.
Die ZB könnte auch den freien Markt legalisieren, und dann nicht nur Kapitaltransaktionen, sondern auch Zinszahlungen, Überweisung von Dividenden und Tourismusausgaben auf diesen Markt verlegen. Das würde die Nachfrage auf dem offiziellen Markt verringern. Wenn dann auch Weißwaschungen für konkrete Zwecke verfügt werden, dann würde auch Dollarangebot auf dem freien Markt entstehen, was den Kurs drückt und eventuell auch den offiziellen Markt beruhigt. Eine Weißwaschung für Anlagen in Bauten hat es schon gegeben, und sie soll jetzt angeblich wieder eingeführt werden. So billig war der Quadratmeter, in Dollar, zum freien Kurs berechnet, wohl noch nie. Das macht die Weißwaschung besonders attraktiv. Man müsste jedoch einen Schritt weiter gehen, und die Weißwaschung auf Arbeitskapital im Allgemeinen ausdehnen. Dann würde die Kursdifferenz zwischen offiziellem und freien Kurs voraussichtlich stark sinken, was zur Normalisierung der Lage beiträgt. Das hohe private schwarze Dollarvermögen, dass die Argentinier besitzen, kann eingesetzt werden, um das Devisenproblem zu lösen. Dabei muss man aber Vorurteile bei Seite lassen. Wie man sieht, gibt es auf dem Devisenmarkt noch gute Möglichkeit, um den Konflikt zu entschärfen und einer Katastrophe zu entgehen. Wenn es doch zu dieser kommt, so ist das ausschließlich auf Unfähigkeit der ZB-Leitung und des Wirtschaftsministeriums zurückzuführen. Konkret auf Miguel Pesce und Martín Guzman.
Die Meinung der intimen Kenner des Falles ist die, dass Guzmán das Umschuldungsabkommen schon lange hätte abschließen können. Das hat allerdings auch Cristina verhindert, die erst nach der jüngsten Wahlschlappe ihre absurde Forderung aufgegeben hat, auf 20 Jahre zu zahlen, was in den Fondstatuten nicht einmal vorgesehen ist. Wobei diese Hinausschiebung der Zahlungen ad calendas graecas in der Finanzwelt auch so interpretiert wird, dass Argentinien im Grunde gar nicht zahlen wollte. 2020 wären die Voraussetzungen für eine Umschuldung auch deswegen günstiger gewesen, weil die Pandemie weltweite Panik ausgelöst hatte, und die großen Staaten eine sehr weiche Geldpolitik vollzogen, und kein Interesse hatten, noch weitere finanzielle Probleme zu schaffen. Sie hatten gewiss schon zu viele. Ebenfalls hatte damals die IWF-Geschäftsführerin Kristalina Georgiewa ihre volle Macht, und war gewillt, auch Argentinien über die Runde zu helfen, Jetzt wird sie wegen einer angeblich unzulässigen Haltung gegenüber China, als sie hohe Weltbankbeamte war, beanstandet, und hat weniger Macht. Schließlich sei noch bemerkt, dass ab Anfang 2022 der Brasilianer Ilan Goldfajn die Leitung der Abteilung für die westliche Hemisphäre des IWF übernimmt, die auch für Argentinien zuständig ist. Er ist für seine harte Haltung bekannt. Für Argentinien ist das keine gute Nachricht.
Auch im Fonds sind die Fachbeamten nicht gut auf Guzmán zu sprechen. Es ist durchgesickert, dass sie sich beklagen, dass er vage Vorschläge macht, aber keine Papiere vorlegt, in denen ein Zahlungsprogramm zum Ausdruck kommt. Nachdem sie jetzt den Oktoberausweis des Schatzamtes gesehen haben, der eine phänomenale Ausgabenerhöhung zum Ausdruck bringt, (siehe Wirtschaftsübersicht der Vorwoche), dürften sie denken, Guzmán hält sie zum Narren. Einige Fondsfachleute erwarteten, dass nach den jüngsten Wahlen ein neuer Unterhändler ernannt würde, aber Präsident Fernández stützt Guzmán weiter, auch weil er glaubt sonst niemand zu haben, der in der Lage ist, diese Arbeit zu übernehmen. Doch er könnte jetzt Gustavo Beliz, Staatssekretär für strategische Angelegenheiten im Präsidialamt, der somit direkt von ihm abhängt und sein Vertrauen genießt, beauftragen, die Verhandlungen zusammen mit Guzmán zu führen. Beliz hat Erfahrung auf dem Gebiet der internationalen Finanzen und der Politik, und hat unlängst auch als Kandidat für die Präsidentschaft der Interamerikanischen Entwicklungsbank kandidiert, und gegenüber dem Kandidaten von Trump verloren. Er hat jetzt schon mit Fondsbeamten in Washington gesprochen, und vorher schon Verhandlungen über Kredite der Weltbank und der BID geführt. Er hat schon ein eventuelles Kreditpaket dieser u.a. Kreditinstituten von u$s 18 Mrd. zusammengestellt. Dahinter steckt viel Analyse, viel Verhandlung und wohl auch viel Diskussion. Er ist in Washington eine bekannte Figur, der mit Autorität gegenüber dem Fonds und auch in Argentinien gegenüber Senatoren, Deputierten u.a. auftritt. Auch gegenüber Alberto und Cristina.
Jetzt ist die Stunde der Wahrheit gekommen, und Guzmán muss sehen, wie er ein Abkommen abschließt, das den Forderungen des IWF entspricht, aber dann auch eingehalten wird. So weit bekannt ist, hat Guzmán bisher nur allgemeine Ziele verpflichtet oder angedeutet, aber keine konkreten Maßnahmen versprochen, wie sie unerlässlich sind, um die gesetzten Ziele zu erfüllen. Optimisten meinen, es sei eben so, wie bei bestimmten Versicherungsverträgen, in denen bestimmte konfliktive Klauseln in kleiner Schrift hinzugefügt werden, so dass sie nicht gelesen werden. Doch sowohl im Fonds wie auch im Parlament, wo eine Budgetkommission besteht, die sich aus erfahrenden ehemaligen Beamten der Budgetabteilung des Schatzamtes zusammensetzt, wird jeder Satz des Abkommens gründlich untersucht.
Es wäre auch ratsam (wie wir es an dieser Stelle vorgeschlagen haben), dass die Opposition aufgefordert wird, einen Fachmann zu ernennen, der die Verhandlung zusammen mit Guzmán (und Beliz?) führt. Etwa jemand wie Alfonso Prat Gay, oder Hernan Lacunza. Denn schließlich erfasst ein zehnjähriges Abkommen diese Regierung, die nächste und die übernächste also sehr wahrscheinlich auch eine Regierung der Opposition. Im Kongress müssen die Oppositionsvertreter den Rahmenbedingungen des Abkommens und danach dem Abkommen selber auch zustimmen, damit es in Kraft tritt. So will es der Fonds, und es ist gut, wenn man das Abkommen als eine Staatspolitik versteht.
Präsident Nicolás Avellaneda (1884/1880) hat seinerzeit den Satz geprägt, dass Argentinien intern viele Meinungen haben könne, aber gegenüber der Welt nur einem Namen und eine Ehre habe. Das sollte sich Alberto, Cristina u.a. hinter die Ohren schreiben. Ein Abkommen mit dem Fonds, das von verschiedenen Regierungen strikt eingehalten wird, und dabei auch schwierige Strukturreformen enthält, würde Argentinien erlauben, in die große Welt als gleichwertiger Partner einzutreten, womit alles viel einfacher wäre. Das sollten sich alle Spitzenpolitiker gut überlegen. Eine so gute Gelegenheit wie diese, um die verfahrene Lage einzurenken, bietet sich nicht so bald wieder.
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