Von Juan E. Alemann
Die Organisation der UNO für Ernährung und Landwirtschaft, als FAO bekannt, hat den 16. Oktober im Jahr 1979 zum Welttag der Ernährung erklärt. Auch die UNO selber und die Weltgesundheitsorganisation haben die Bedeutung des Ernährungsproblems stets hervorgehoben. Weltweit hungern Milliarden Menschen, viele andere essen zu wenig, und im Prinzip essen die meisten falsch.
Bei den sozialen Problemen, die gegenwärtig in Argentinien besonders akut auftreten, muss man das Ernährungsproblem ausklammern. Alle sollten Zugang zu einer gesunden Ernährung haben, ganz besonders Kinder, bei denen ungenügende und/oder qualitativ minderwertige Ernährung die Entwicklung des Gehirns behindert, was dann die Lernfähigkeit und die Intelligenz beeinträchtigt. In einem Land mit Überfluss an Nahrungsmitteln aller Art sollte dies gewiss nicht sein. Auch für die wirtschaftliche Entwicklung stellt sich dabei in Zukunft ein Problem: denn die Wirtschaft fordert mehr Ausbildung von den Beschäftigten, und neigt dazu diejenigen, die unter einem bestimmten Niveau liegen, beiseitezulassen. Das führt zu einer strukturellen Arbeitslosigkeit, die ein besonders schwieriges Problem stellt.
Nahrungsmittel bestehen aus folgenden sechs Komponenten: Kohlenhydrate, Protein, Fett, Mineralien, Vitamine und Faser (auch Ballast genannt). Letzteres sollte nicht vergessen werden. Denn die Faser führt dazu, dass Nahrungsmittel besser verdaut werden. Brot mit Faser (“salvado”) ist deshalb gesünder als Brot ohne dies. Das Zentrum für Studien über Kinderernährung (CESNI) und die Erhebung des INDEC bei Haushalten (Encuesta nacional de hogares) sind zum Schluss gelangt, dass der Faserverbrauch in Argentinien gesamthaft unter 50% des empfohlenen liegt. Ebenfalls wurde ein überhöhter Zuckerkonsum und weitere nicht empfehlenswerte Ernährungsgewohnheiten aufgedeckt. Hinzu kommt die Tatsache, dass in einem Land, das Nahrungsmittel im Überfluss produziert und große Mengen wegwirft, Millionen Menschen zu wenig essen. Andere essen zu viel; aber das ist ein einfacheres Problem.
Der ehemalige Sozialminister Daniel Arroyo hat auch darauf hingewiesen, dass allgemein zu wenig Gemüse gegessen wird. Es ist ein großer Fortschritt, dass das Ernährungsproblem auch von dieser Seite untersucht wird, und nicht auf die Menge und die Kalorien beschränkt wird. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, weniger Fett, Zucker und Salz zu konsumieren, dafür aber mehr Obst, Gemüse, Vollkorngetreide, Nüsse u.dgl.
Die Regierung von Alberto Fernández kann bei der Nahrungsmittelversorgung große Fortschritte aufweisen. Wie üblich, weiß sie dies jedoch nicht zu vermitteln. Der erste Sozialminister dieser Regierung, Daniel Arroyo, kann eine besonders gute Leistung vorweisen. Schade, dass er entlassen wurde. Auf alle Fälle sollte er weiter beratend wirken. Die Nahrungsmittelkarte AlimentAr, die er erfunden hat, besteht in einer Zahlkarte, die bei Supermärkten für den unentgeltlichen Bezug von Nahrungsmitteln bis zu einem gewissen Betrag eingesetzt werden kann. Zunächst wurde die Karte nur an Mütter von Kindern bis zu 6 Jahren verteilt, die die universelle Kindersubvention (AUH) bezogen. Im Mai 2021 wurde sie auf Mütter mit Kindern bis zu 14 Jahren erweitert.
Abgesehen davon wurde das Renacom-Programm geschaffen, das über 10.000 registrierte Anstalten, die eine Art unentgeltlicher Restaurants betreiben, mit Grundnahrungsmitteln versorgt. Wenn man mit hundert Personen pro Anstalt rechnet, so werden dabei eine Million Menschen ernährt. Diese Essanstalten haben sich seit der Krise von 2001/02 explosiv in fast alle städtischen Gegenden des Landes vermehrt, ganz besonders in ärmeren Vororten der Bundeshauptstadt, und werden besonders von dieser Regierung unterstützt. Sie werden zum Teil von der Kirche oder Organisationen, die ihr nahestehen, auch von protestantischen Kirchen, betrieben, aber mehrheitlich von gemeinnützigen Organisationen oder Personen, die Wohltätigkeit betreiben. Hier kommt die große Solidarität zum Ausdruck, die die argentinische Gesellschaft kennzeichnet.
Hinzu kommt noch der Nahrungsmitteldienst für Schulen, der 3 Mio. Kindern eine warme Mahlzeit bietet. Das gab es schon lange vorher, wurde aber erweitert. Seit Beginn der Pandemie wurde dieser Dienst auf Familien ausgeweitet, indem Säcke mit Nahrungsmittel vergeben werden.
Schließlich sollte man nicht vergessen, dass auch eigene Gemüsegärten von Familien mit Besitz einer geringen Fläche, oder von Gemeinden, die im Rahmen des Programms “pro Huerta” geschaffen wurden, mit technischem Beistand des INTA (das technologische Institut der Landwirtschaft), zur Lösung des Ernährungsproblems beitragen. Die Zahl dieser Gemüsegärten soll angeblich bei über 600.000 liegen, so dass man davon ausgehen kann, dass sich gut 2 Mio. Menschen zumindest zum Teil davon ernähren, mit gesunden und frischen Nahrungsmitteln. Das Programm wurde unter der Menem-Regierung energisch vorangetrieben, nachher jedoch mit abnehmendem Schwung, obwohl das INTA das Programm als ein wesentlicher Teil seiner Tätigkeiten aufgenommen hat. Dieses Programm kostet die Staatskasse sehr wenig, so dass es jetzt energisch vorangetrieben werden sollte.
Bei der Ernährungsproblematik macht sich die Regierung Sorgen um den Preis der Nahrungsmittel. In diesem Sinn hat sie den Rindfleischexport kontingentiert, und jetzt auch den Maisexport gehemmt, was sofort zu einem Preisverfall geführt hat. Der direkte Konsum von Mais (über “Polenta” u.dgl.) ist gering. Aber Mais dient als Nahrungsmittel für Geflügel und Schweine, und bei Feed-lots auch für Rinder. Der Maispreis wird somit auf die verschiedenen Fleischsorten abgewälzt. Doch der Preis wird hier auf Kosten des Einkommens der Landwirte niedrig gehalten, und das wirkt schließlich negativ auf die Produktion. Rindfleisch stand vor einigen Jahrzehnten mit einem Pro-Kopf-Konsum von über 80 Kg im Jahr weit oben, und wenn Rindfleisch fehlte, war von Hunger die Rede, was gewiss übertrieben war. Jetzt liegt der Konsum bei 50 Kg pro Kopf, aber der gesamte Konsum von tierischem Protein liegt bei etwa 120 Kg. Hinzu kommt in letzter Zeit zunehmend pflanzliches Protein, das wie Hamburger präsentiert wird, und ebenso nahrhaft wie das tierische ist. Und nicht zuletzt sollte man den Fischkonsum nicht vergessen, der landesweit zwar anormal niedrig, aber in bestimmten Gegenden höher ist und oft statistisch nicht erfasst wird. Das Angebot für einen viel höheren Konsum ist vorhanden, nur die Nachfrage nicht. Der Konsum könnte gewiss erhöht werden, wenn sich der Staat um das Thema kümmert.
Bei verarbeiteten Nahrungsmitteln, wie Brot, Teigwaren, Reis und Speiseöl, besteht eine sehr intensive Konkurrenz. Die Regierung bemüht sich diese Preise mit Höchstpreisen einzudämmen, erreicht aber dabei sehr wenig. In der Tat wirkt die intensive Konkurrenz viel besser. Die einzelnen Fabrikanten könnten ohne weiteres mehr erzeugen, und sind faktisch gezwungen, die Preise relativ niedrig zu halten. Auf alle Fälle sind die Preise für Konsumenten, die zu kaufen wissen und sich nicht durch Markenpropaganda beeinflussen lassen, niedriger. Ebenfalls besteht hier beim Einzelhandel eine intensive Konkurrenz zwischen Supermärkten, allerlei Selbstbedienungsläden u.a. Unlängst wurden die Supermärkte per Gesetz gezwungen, allen Marken Zugang zu den Verkaufsstellen zu bieten (“ley de góndolas”), was schwächeren Fabrikanten auch Zugang verschafft. Viel hat sich dabei jedoch nicht geändert.
Ein ungelöstes Problem besteht bei Gemüse, und in geringerem Ausmaß bei Obst. Der Preis, den der Landwirte für sein Gemüse erhält, beträgt etwa ein Fünftel des Endpreises, den der Konsument im Laden zahlt. Dabei bleibt den Landwirten Produktion übrig, und sie würden bei höherer Nachfrage auch sofort mehr produzieren, sofern ihnen nicht Arbeiter fehlen. Denn die traditionellen Landarbeiter scheuen diese intensive Arbeit, so dass bei der Gemüseproduktion viele Bolivianer beschäftigt werden.
Eine konkrete Möglichkeit, die hohe Bruttohandelsmarge bei Gemüse zu verringern, besteht eventuell darin, ein direktes Einkaufssystem zu organisieren, mit Lastwagen, die zu den Gemüseproduzenten fahren und ihnen ihre Produktion zu einem Preis kaufen, der für sie interessant ist. Und dann sollten diese Lastwagen das Gemüse unter den Anstalten verteilen, die Gratismahlzeiten bieten, und auch unter den Schulen. Dabei würde der Staat bestimmt Geld sparen und gleichzeitig den Einsatz von Gemüse bei den Mahlzeiten erhöhen, wie es laut Ex-Minister Arroyo sein sollte.
Es gibt gewiss noch viel zu tun, damit alle Einwohner des Landes eine qualitativ gute und ausreichende Ernährung erhalten. Aber man muss sich eben intensiv darum kümmern. Leute wie der ehemalige Minister Arroyo u.a. sollten mit dieser Aufgabe betreut werden. Die Regierung hat schon einen großen Fortschritt erreicht, aber es fehlt noch sehr viel, bis man wirklich sagen kann, dass niemand Hunger leidet, oder ungenügend oder falsch ernährt ist.
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