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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Moctezumas Vermächtnis

Mexiko arbeitet Eroberung nach 500 Jahren auf

Von Nick Kaiser

Auf eine Entschuldigung Spaniens wartet Mexiko ein halbes Jahrtausend nach dem Niedergang der Azteken noch immer. Ebenso auf die Rückgabe eines symbolisch bedeutenden Federkopfschmucks. Die Erben Moctezumas arbeiten noch immer an der Aufarbeitung ihrer Geschichte.

Moctezuma
Blanca Barragan Moctezuma, Nachfahrin des Aztekenherrschers Moctezuma II., steht in ihrem Haus vor einer Vitirine mit vorhispanischen Kunstwerken während eines Interviews mit dpa. 2021 feiert Mexiko 200 Jahre Unabhängigkeit, gedenkt aber auch den 500. Jahrestag der Eroberung der Azteken durch die Spanier. (Foto: dpa)

Mexiko-Stadt (dpa) - Gedenken ist angesagt in Mexiko am 500. Jahrestag der Eroberung der Azteken durch die Spanier. Groß gefeiert wird nicht. Ein Großteil der Mexikaner ist sowohl europäischer als auch indigener Abstammung - und unabhängig davon, ob ihre Vorfahren die Aztekenhauptstadt Tenochtitlan nun zerstört oder verteidigt hätten, empfänden sie deren Fall am 13. August 1521 als schmerzlich, so schildert es der spanische Historiker Tomás Pérez Vejo in der Zeitung “El País”.

Es ist ein Jahr runder Jubiläen - Mexikos Unabhängigkeit jährt sich zum 200. Mal, und die Regierung feiert nach umstrittener Zeitrechnung auch die 700-jährige Gründung von Tenochtitlan. Präsident Andrés Manuel López Obrador hätte da durchaus gern Paukenschläge geliefert. Und so schrieb er an die spanische Krone und den Vatikan mit der Aufforderung, um Entschuldigung für Verbrechen gegen die Ureinwohner Mexikos zu bitten. Die erhofften Antworten bekam er aber nicht. Ebenso wenig auf eine Bitte an die österreichische Regierung um die Rückgabe des berühmten Azteken-Federkopfschmucks, der im Weltmuseum Wien ausgestellt wird.

In der Federkopfschmuck-Frage habe sich der Populist völlig falsch verhalten, sagt Blanca Barragán Moctezuma, eine Nachfahrin des Aztekenherrschers Moctezuma II. - oft Montezuma II. genannt: López Obrador habe seine Ehefrau den Brief bei einer Europareise vergangenen Oktober übergeben lassen und ihn nicht einmal unterschrieben. Er habe außerdem plump so getan, als wolle er das auch als “Federkrone Moctezumas” bekannte Stück aus Hunderten Quetzalfedern und Goldplättchen nur ausleihen.

Obwohl sie sich schon seit Jahrzehnten um die Rückgabe des sogenannten “Penacho” bemühe, sei sie nicht involviert worden, erzählt Barragán Moctezuma. Sie und ihre Familie wollen die österreichische Regierung per Klage zur Rückgabe des für Mexiko symbolisch wichtigen Artefakts zwingen, wie sie der Deutschen Presse-Agentur verrät. Aber erst nach Ende der Amtszeit von López Obrador, um mit diesem nichts zu tun haben zu müssen, fügt Barragán Moctezuma hinzu.

Die 65-Jährige ist nach eigenen Angaben eine von etwa 600 bis 700 Nachfahren von Motecuhzoma Xocoyotzin - Moctezuma II. - der 1520 unter ungeklärten Umständen in spanischer Gefangenschaft starb. Die Historikerin führt die Tradition der mündlichen Überlieferung fort, hat in Archiven in verschiedenen Ländern geforscht und viel zum Wissen über ihre Ururururururururururururgroßmutter, Moctezumas Tochter Tecuichpo Ixtlaxóchitl - von den Spaniern auf Isabel getauft - beigetragen. Deren Testament, in dem sie die Befreiung ihrer Sklaven verfügte, hängt eingerahmt im Haus von Barragán Moctezuma, am Fuße des Vulkans Ajusco am Rande von Mexiko-Stadt.

Einer der anderen Erben des Azteken-Monarchen, ein Cousin von Barragán Moctezuma namens Federico Acosta, umarmte öffentlich am 8. November 2019 - dem 500. Jahrestag der ersten Begegnung zwischen Moctezuma II. und dem spanischen Eroberer Hernán Cortés - einen Nachfahren des Conquistadors. Spanien müsse sich für die Vergangenheit nicht entschuldigen, sagte Acosta. Barragán Moctezuma meint, die Inszenierung sei eine “Dummheit” gewesen. Mit den heute lebenden Spaniern gebe es kein Problem, dem spanischen Staat könne man aber nicht einfach verzeihen. “Vergebt ihr etwa Hitler?”, fragt sie rhetorisch mit Blick auf die Deutschen.

Tenochtitlan gehörte mit mehr als 200 000 Einwohnern zu den größten Städten der Welt, als die Spanier unter Cortés im Jahr 1519 dort ankamen und den damaligen Herrscher Moctezuma II. überraschten. Innerhalb von zwei Jahren machten sie die Stadt dem Erdboden gleich und löschten damit die aztekische Hochkultur aus. Auf und mit den Trümmern von Tenochtitlan bauten sie die Hauptstadt des neuen Vizekönigreichs Neuspanien, Mexiko-Stadt.

Auf Moctezuma II. folgten noch zwei weitere Monarchen: Cuitláhuac, der nach kurzer Zeit an den Pocken starb, und Cuauhtémoc, den Cortés am 13. August 1521 besiegte. An beide erinnern Statuen in Mexiko-Stadt - an Moctezuma II. nicht. Dieser ist nicht gerade als Held in die Geschichte eingegangen, da er sich widerstandslos von den Spaniern festnehmen ließ. Lange wurde auch geglaubt, dass er Cortés für den Gott Quetzalcóatl gehalten habe - das betrachten viele Experten inzwischen als Legende. Mit der Verantwortung für das Familienarchiv, die Barragán Moctezuma von ihrer Großmutter übernahm, geht nach ihrer Auffassung auch die Aufgabe einher, Moctezuma in der öffentlichen Wahrnehmung zu rehabilitieren.

Manche Mexikaner sähen in der prähispanischen Zeit die Geburt ihres Landes, dessen Tod in der Conquista und mit der Unabhängigkeit eine Wiedergeburt, schreibt der Mexiko-Experte Pérez Vejo in “El País”. Andere wiederum betrachteten die Eroberung als Geburt der Nation und die Unabhängigkeit als Erwachsenwerden. “Die Erinnerung an die Conquista ist in Mexiko nicht ein Problem mit Spanien, sondern ein Problem Mexikos mit seiner eigenen Vergangenheit und seiner nationalen Definition”, meint er.

Nicht alle Mexikaner erkennen die Eroberung allerdings als solche an. So etwa eine Gruppe indigener Zapatisten, die zu einer umgekehrten “Invasion” nach Spanien gesegelt ist und am Freitag eine Demonstration in Madrid plant. Damit wollen die Angehörigen der linken Rebellenbewegung den Spaniern nach eigenen Angaben unter anderem sagen, “dass sie uns nicht erobert haben”.

Blanca Barragán Moctezuma, ihr Mann und ihr Sohn wollen am 500. Jahrestag des Untergangs des Reiches ihrer Vorfahren nicht an offiziellen Gedenkveranstaltungen teilnehmen. Stattdessen will die Familie zuhause nach eigener Tradition in sich gehen: mit dem gemeinsamen Rauchen einer zeremoniellen Pfeife.



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