Schindler-Biografin Erika Rosenberg zu Spielbergs „Schindlers Liste“
Von Catharina Luisa Deege
Buenos Aires (AT) - Stell dir vor, dein Lebenswerk wird verfilmt. Und das nicht von irgendwem - Hollywoods erfolgreichster Regisseur Steven Spielberg höchstpersönlich krallt sich deine Geschichte. Bei der großen Premiere dann sitzt du gespannt im Kinosessel, bevor du mit Entsetzen feststellst, dass deine Figur in gerade einmal drei Szenen zu sehen ist. Die Darstellung deiner Lebensgeschichte ärgert dich. Du bist so enttäuscht, dass du den Film nie wieder siehst.
So in etwa dürfte es Emilie Schindler gegangen sein, wenn man ihre enge Freundin Erika Rosenberg befragt. Die 2001 verstorbene Ehefrau von Oskar Schindler erlebte den großen Erfolg des Holocaust-Dramas „Schindlers Liste“ noch hautnah mit. Der dreistündige Film über die Rettung von 1200 Juden und Jüdinnen wurde 1993 mit sieben Academy Awards preisgekrönt und von Journalist Stephen Schiff (The New Yorker) sogar als das beste historische Drama über den Holocaust bezeichnet. Die Kompositionen von John Williams klingen einem heute noch im Ohr, wenn man den Titel „Schindlers Liste“ auch nur liest.
„Der Film ist super, was soll ich sagen? Warum soll er die Wahrheit erzählen, es ist kein Dokumentarfilm“, erzählt mir Erika Rosenberg, deutsch-argentinissche Journalistin, Übersetzerin und Schriftstellerin. Seit einiger Zeit nimmt sie es sich zur Aufgabe, das Werk von Spielberg genauer unter die Lupe zu nehmen und virtuelle Vorträge über die Geschichte hinter dem Filmklassiker zu geben. Als Tochter deutscher Juden, die kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs nach Argentinien flüchteten, lernte sie Emilie Schindler 1990 in Buenos Aires kennen. Zwischen den beiden Frauen entwickelte sich eine tiefe Freundschaft. Rosenberg verfasste mit Hilfe von etwa 70 Stunden Interview-Material insgesamt vier biografische Werke über das weltbekannte Ehepaar.
Sie war dabei, als Frau Schindler eine Einladung nach Jerusalem von Steven Spielberg persönlich erhielt. Und sie war dabei, als Emilie Schindler zum ersten und letzten Mal „Schindlers Liste“ sah. „Sie hat sich so geärgert“, gibt mir Rosenberg zu verstehen. „Emilie Schindler war diejenige, die in der Verwaltung der Emailwarenfabrik tätig war.“ Eine unwichtige Rolle hatte die Ehefrau des 1974 verstorbenen deutschmährischen Unternehmers also nicht gerade. Durch die finanzielle Hilfe ihrer gut situierten Familie konnte er erst die Fabrik stemmen. In einer der ersten Filmszenen ist zu sehen, wie Oskar Schindler heimlich in einem Auto Geschäfte mit einem der jüdischen Ghetto-Bewohner in Krakau macht. „Woher sollten die Juden, die im Ghetto waren, Geld her haben? Sie wurden sofort enteignet bei dem Einmarsch“, erklärt Rosenberg in Bezug auf den Überfall der deutschen Wehrmacht 1939.
Der in Buenos Aires lebenden Journalistin ist wichtig, den Hintergrund Oskar Schindlers Taten richtig zu beleuchten: „Im Film wird Schindler dargestellt, als hätte er von der Arbeit der Juden profitiert.“ Sie erklärt, dass er dabei in Wirklichkeit sieben Reichsmark für jeden jüdischen Angestellten bezahlen musste - genau so viel, wie er für polnische Arbeiter zu bezahlen hätte. Rosenberg berichtigt also den weit verbreiteten Irrglauben, dass es Oskar Schindler mehr um Profit als um humanitäre Hilfe ging.
„Er war ein Frauenheld, ja. Und er hat ganz schön gesoffen. Wir sprechen nicht von einem Heiligen; wir sprechen von einem Menschen. Das ist mir egal, was er mit seinem Leben gemacht hat. Aber er hat Menschen gerettet. Also ist er im Endeffekt ein Held gewesen“, erzählt Rosenberg bestimmt. Bei der trinkfesten und hedonistischen Darstellung Oskar Schindlers Lebensweise im Film ist also von keiner reinen Fiktion zu sprechen. Auch, dass er die ein oder andere Affäre hatte, weiß die 69-Jährige. Dass Emilie Schindler in Steven Spielbergs Werk dem Publikum von Anfang an als betrogene Ehefrau Schindlers vorgestellt wird, stört Rosenberg jedoch sehr. Schließlich teilte diese mit Oskar Schindler eine gemeinsame Wohnung in Krakau, war durchweg in der Fabrik tätig, organisierte Lebensmittel und Medikamente für die Fabrikarbeiter und spielte somit eine essentielle Rolle bei der letztendlichen Rettung der Juden und Jüdinnen aus dem Konzentrationslager Plaszow.
Rosenberg erinnert sich an wohl eine der prägendsten Szenen im Film „Schindlers Liste“, die, in der ein junges Mädchen im roten Mantel die Farblosigkeit des eigentlichen Schwarz-Weiß-Filmes aufbricht. Oskar Schindler beobachtet die Vertreibung der jüdischen Ghetto-Bewohner mit großer Bestürzung. Auch in dieser Filmsequenz irritiert Erika Rosenberg etwas ganz Bestimmtes. „Er sitzt auf einem Pferd, auf einem Hügel mit einer Geliebten. Von Anfang an.“ Von Emilie Schindler - keine Spur.
Später im Film sind nicht nur im Krakauer Ghetto, sondern auch im Konzentrationslager Plaszow Kinder zu sehen. Die Biografin erinnert sich an einen Kommentar der Ehefrau Schindlers beim Filmschauen: „Sie hat gesagt: 'Nein, es gab keine Kinder!'“ In dem nationalsozialistischen Konzentrationslager arbeiteten Menschen im Alter von 14 bis 50 Jahren.
Dass Regisseur und Produzent Steven Spielberg sowie Drehbuchautor Steven Zaillian an einigen Stellen von der absoluten Wahrheit abkamen, muss zu verkraften sein. Die genaue Rekonstruktion der Geschehnisse filmisch umzusetzen, ist eine schier unmögliche Aufgabe. „Schindlers Liste“ lebt von Symbolik, Emotionalität und einer aufwendigen Produktion - der Film schreit geradezu „Hollywood“. Für das Verhalten Spielbergs gegenüber Emilie Schindler findet Erika Rosenberg jedoch harte Worte: „Menschlich gesehen: katastrophal.“
Comentarios