Im Gespräch mit Filmemacher Visar Morina
Von Catharina Luisa Deege
Buenos Aires (AT) - Xhafer hat alles, wovon der Durchschnittsbürger in Deutschland zu träumen vermag: Einen gutbezahlten Job, Frau, Haus und Kinder. Allein seine immer stärker werdenden Vermutungen der Diskriminierung gegen ihn plagen den aus Albanien stammenden Pharmaingenieur - bis er irgendwann den Verstand verliert. Xhafer ist Protagonist des Dramas „Exil“ aus dem Jahr 2020. Das Argentinische Tageblatt hatte die Möglichkeit, mit Regisseur und Drehbuchautor Visar Morina über die Motivation hinter diesem Projekt, die Kraft der Tonmischung im Film und Cafés in Pristina zu reden.
Für Morina ist „Exil“ ein sehr persönliches Werk. Ohne konkrete biografische Übereinstimmungen sei er der Hauptfigur erschreckend ähnlich: „Für mich ist ‚Persönliches Erzählen‘ eigentlich, wenn ich einen sehr starken Bezug zu dem habe, was ich erzähle. Auch, wenn ich keine Kinder habe, nicht im Büro arbeite, scheinbar ein komplett anderes Leben führe.“
In „Exil“ erlebt der Zuschauende den Alltag aus Xhafers (Mišel Matičević) Augen. Dieser deutet das abweisende Verhalten seiner Kollegen klar als Xenophobie. Sobald er seine Ehefrau Nora (Sandra Hüller) damit konfrontiert, entgegnet sie plump: „Kann doch auch sein, dass sie dich als Menschen nicht mögen.“ Und so kann man über den Ursprung der Abneigung gegenüber seiner Person nur mutmaßen.
Der Film ist uneindeutig, doch genau das macht ihn unfassbar spannend. Man habe mit „Exil“ versucht, eine klare Geschichte zu nehmen, aus der sich etwas komplett Diffuses ergeben sollte. „Ich merke, dass ich ein großes Problem damit habe, wenn Situationen, die eine gesellschaftliche Relevanz haben, so vereinfacht werden“, erklärt der 1979 in Pristina geborene Filmemacher.
Ausschlaggebend für das Drehbuch zu „Exil“ waren für Visar Morina vor allem der zunehmend sichtbare Rassismus nach der Kölner Silvesternacht 2015/2016. Diese hatte international für Schlagzeilen gesorgt, da an dem Abend mehrere hundert Frauen sexuelle Übergriffe erfahren mussten. Diese gaben an, dass sie vor allem von Männern aus dem arabischen und nordafrikanischen Raum belästigt wurden; ein gefundenes Fressen für Pegida und Co. Der Regisseur, der mit 15 Jahren von Kosovo nach Deutschland migrierte, beobachtete bei sich selbst eine zunehmende Verunsicherung. Woher rührt der schiefe Blick? Wie man auf Provokationen reagiere, komme laut Morina dann auf die eigene emotionale Verfassung an - und wie sicher man seinen Status glaube.
Eine von der Hauptperson ausgehende innere Unruhe macht sich in dem zweistündigen Film besonders über den Sound vernehmbar. Dabei ist dramatische Filmmusik bei „Exil“ Fehlanzeige. Spannung erzeugen alltägliche Geräusche wie das Surren eines Ventilators oder eine Beifall klatschende Menschenmenge, die ein Tinnitus-artiges Soundbett bilden. In Situationen, in denen man - wie die Hauptfigur Xhafer - etwa von existentiell wichtigen Fragen gequält werde, nehme man oft nur noch diese Gedanken wahr: „Und ich glaube, das kann man sehr gut über den Ton erzählen“, so Morina.
Während man „Exil“ schaut, könnte man als Zuschauer*in denken, die Lösung für Xhafers Probleme parat zu haben. Wenn er sich so gebeutelt fühlt von all´ dem Leid, welches aus seinem unangenehmen Arbeitsumfeld resultiert - warum kündigt er dann nicht einfach seinen Job? Der Drehbuchautor erklärt, dass es von außen immer einfach sei, Berater zu spielen. Muss man jedoch eine Situation beurteilen, in der man sich selbst befindet, sei es durch die fehlende Distanz viel komplizierter.
Der Absolvent der Kunsthochschule für Medien Köln macht ein Beispiel und erklärt, dass er glaube, Schwächen fremder Drehbücher mühelos enttarnen zu können; ganz im Gegensatz zu seinen eigenständig verfassten. Und versetze man sich nun ernsthaft in die Lage des „Exil“-Protagonisten, so würde schnell klar werden: „Sich als 45-jähriger Mann hinzustellen und zu sagen: ‚Meine Kollegen sind böse zu mir, deswegen kündige ich‘, da musst du wirklich eine starke Haltung haben.“
Das unter anderem vom Sarajevo Film Festival 2020 als bester Film prämierte Drama regt zum Nachdenken über den Umgang mit seinen Mitmenschen und die eigene soziale Teilhabe an. „Die Platzsuche innerhalb der Gesellschaft, dieses schöne Privileg, das haben nicht nur Ausländer, sondern alle Menschen“, erklärt Morina. Der Hauptkonflikt von „Exil“ funktioniere jedoch hauptsächlich in der Westlichen Welt: „Würde ich diese Geschichte im Kosovo erzählen, wäre das völlig abstrus und absurd.“
Sein Heimatland besucht der Regisseur hin und wieder. Er bleibe dann jeweils ein paar Tage, sitze von morgens bis abends in den Cafés von Pristina, und ziehe dann weiter. „Ich bin wahnsinnig geprägt von der Tatsache, dass ich in zwei unterschiedlichen Ländern gelebt habe. Ich glaube, dass ich in meiner Arbeit davon profitiere“, gesteht Morina - und die deutsche Kinolandschaft profitiert definitiv von den originellen Werken des Filmschaffenden.
Wer Fragen und Anregungen zu „Exil“ loswerden möchte, hat kommenden Samstag die Möglichkeit dazu. Am 23. Oktober um 16 Uhr veranstaltet das Goethe-Institut ein Zoom-Gespräch, in der Teilnehmende dazu eingeladen sind, mit Visar Morina und Philip Scheffner, Regisseur des Films „Havarie“, in den Dialog zu treten.
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