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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Mein Jahr: Stillstand?

Von Catharina Luisa Deege

Catha
Das Jahr erfüllte meine Erwartungen anders, als ich gedacht hatte. (Foto: cld)

Hannover - Dass ich mein erstes Jahr als Redakteurin größtenteils außerhalb der Redaktion verbringen würde, war mir klar. Aufregend hatte ich es mir vorgestellt: Interviews, Events, Reisen. Das Coronavirus machte mir einen gewaltigen Strich durch die Rechnung, erfüllte jedoch meine Erwartungen - ich würde das Jahr kaum in der Redaktion sein.

Ende März erließ der argentinische Präsident von einer Nacht auf die andere das Notstandsdekret. Somit baute ich mir Zuhause meine eigene kleine Redaktion auf; wenn man einen kleinen Laptop inmitten von dreckigem Geschirr auf dem Essenstisch so nennen kann. Das berühmt-berüchtigte „Homeoffice“ begleitet mich heute, etwa neun Monate nach Einführung des Pandemie-Hausarrests, immer noch. Am Anfang war ich von dem Konzept angetan. Flexiblere Arbeitszeiten, Artikelschreiben, wenn man gerade Lust hat. Im ersten Homeoffice-Monat malte, spielte und backte ich noch voller Energie. Ab Mitte des Jahres wurde alles zäher. Die Tage vergingen langsamer, die Nachrichtenmeldungen wurden deprimierender. Das Gefühl, das Leben stünde auf Pause, intensivierte sich.

Trotzdem wurde mir besonders im Gespräch mit einer Freundin aus Mexiko klar, dass die Möglichkeit, zuhause bleiben zu können, ein verdammt großes Privileg ist. Von zuhause aus sein Geld verdienen, einen Computer zu besitzen, all‘ das ist für viele Menschen ein Ding der Unmöglichkeit. Durch das Infragestellen der negativen Gefühle, die die soziale Isolierung bei mir auslöste, verbesserte sich mein Gemütszustand jedoch nicht gerade. Dazu kam der Vergleich mit der Situation im Heimatland.

Man könnte in Deutschland dieses Jahr wieder von einem Sommermärchen sprechen. Ein Corona-Sommermärchen. Ein fieberhafter Traum, bei dem für kurze Zeit schien, dass Deutschland in dieser Pandemie-Meisterschaft nicht schlecht abschneiden würde. Tagtäglich beobachtete ich auf meinem Handybildschirm wie Freundinnen am See badeten und sich in Eisdielen trafen, einige veranstalteten sogar Geburtstagspartys. Das kollektive Schmollen aufgrund des ersten deutschen Lockdowns war zumindest bei denen, die nicht selbst mit dem tödlichen Virus zu kämpfen oder den Verlust eines geliebten Menschen zu verkraften hatten, verflogen.

Währenddessen wurde der Geschirrstapel auf meinem Homeoffice-Tisch immer höher. Arbeit, Freizeit und Haushaltsaufgaben flossen ineinander. Meine Tage hatten ihre Struktur verloren - oder eine ganz neue gefunden: Spätes Aufstehen, spätes Frühstück, Nachtschicht-Schreiberei. Neben meinen Arbeitszeiten veränderten sich auch die Themen der Kultur- und Freitzeitrubriken. Statt Live-Konzerten ging es viel um Streaming-Angebote, statt Preisverleihungen wurden Online-Festivals organisiert, und statt der ohnehin überschaulichen Subventionssumme für Kulturstätten aus aller Welt ging es um noch miesere Corona-Hilfen für ebendiese und selbstständige Künstler*innen.

Es war und ist immer noch unglaublich bereichernd zu sehen, wie gerade Kulturschaffende mit diesem außergewöhnlichen Jahr umgehen. Der britische Künstler Banksy sprüht Ratten mit Schutzmasken in die Londoner U-Bahn, während entlassene Mitarbeiter*innen des Teatro Colón virtuell für Gerechtigkeit kämpfen und junge Bands wie „Annenmaykantereit“ ihren Corona-Frust in einem neuen Album auslassen.

Vielleicht fühlte sich dieses Jahr nach Stillstand an - Realität ist jedoch, dass eine ganze Menge passiert ist. (AT)

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