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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Mein Jahr: Eine Corona-Odyssee

Von Nicole Klostermann

Nicole Klostermann
Familie Klostermann auf dem Weg nach China. (Foto: Privat)

Shanghai - Wie immer, mit exakt drei Schlägen klopft es an meine Tür mit der Nummer 9018. Ich stehe auf und öffne. Die Tüte mit der Plastikschale steht auf dem kleinen, abgenutzten Tisch. Als ich den Gang links herunterblicke sehe ich noch kurz die Gestalt um die Ecke verschwinden. Sie ist von Kopf bis Fuß in eine weiße Sicherheitsmontur gekleidet. Sie spricht nie mit mir. Sie kommt und geht drei Mal am Tag ohne Worte. Als ich in das Zimmer zog, baten sie mich zu warten bevor ich öffne. Anschließend solle ich sofort wieder in mein Zimmer zurückgehen und es nicht verlassen. Ich bin in China, irgendwo mitten in Shanghai. In einem grauen, abgewohnten Hotelgebäude.

Eigentlich war schon zu Februar unser Umzug von Buenos Aires nach Guangzhou geplant. In die 20 Millionen Einwohner zählende Metropole im Süden Chinas, gleich im Einzugsgebiet einer der für mich faszinierendsten Städte der Welt: Hongkong. Doch dann kam Corona. Und wir saßen in Argentinien fest.

Es wurde ein langes Warten, und Anfang Juli wurde es dem Arbeitgeber, für den mein Mann ins Ausland entsendet wird, zu bunt. Es war immer noch kein Ende der Ausgangsbeschränkungen in Sicht, unsere Papiere wurden nicht bearbeitet und mit viel Glück ergatterten wir Plätze auf einer Sondermaschine nach Amsterdam. Für einen Abflug nur fünf Tage später. Innerhalb kürzester Zeit galt es nun unser Haus seefest zu verpacken und auszuziehen. Innerhalb von nur wenigen Tagen hieß es “unserem” Argentinien „Adios“ zu sagen. Ohne Freunde noch einmal in den Arm nehmen zu können, ganz sang und klanglos. Dem wunderschönen Land, das uns ans Herz gewachsen und für fast vier Jahre unser Zuhause war.

Aus den geplanten wenigen Wochen Zwischenstopp in Deutschland wurden fast fünf Monate. Die Bürokratie ist lähmend langsam. Es ist bereits Mitte November, als die Lufthansa-Maschine aus Frankfurt endlich mit uns in Shanghai landet.

Dort erwartet uns eine befremdliche Zwangsprozedur. Wir bewegen uns auf einem streng vorgeschriebenen Weg durch den Flughafen, links und rechts von meterhohen Absperrungen umgeben, gesäumt von bis zur Unkenntlichkeit vermummten Personen. Wir bekommen unzählige Formulare in die Hand gedrückt, leisten haufenweise Unterschriften unter seitenlangen Texten in Schriftzeichen und scannen immer wieder QR-Codes. Wir reihen uns zum Corona-Test ein, der nur wenige Minuten nach der Landung Pflicht ist. Irgendwann besteigen wir schließlich einen Bus. Ziel? Unbekannt. Nach 1,5 Stunden halten wir vor einem Hotel. Es ist weiträumig abgesperrt, Zutritt für Außenstehende strengstens verboten. Dort werden wir unmissverständlich angewiesen uns zu trennen. Mein Mann soll mit einem Kind auf ein Zimmer, ich mit dem Anderen. Diskussion zwecklos. Und so lande ich für 14 Tage auf Zimmer 9018.

Die kleine Plastikschale habe ich dieses Mal übrigens in der Tüte gelassen. 42 Mal kam sie mit fast immer gleichem Inhalt zu mir auf das Zimmer, in dem ich 336 Stunden zu zweit auf 15 Quadratmetern verbracht habe. Ob der Preis die Freiheit wert war? Vielleicht. Während die Zahlen in der Welt Höchstwerte erreichen, scheint zumindest offiziell in der Volksrepublik von Corona keine Spur. Aber der Gedanke ist paradox: Sich in China freier zu fühlen als zu Hause, wer hätte das jemals gedacht? (AT)

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