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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Mein Jahr: Corona und Maradona

Von Marcus Christoph

Marcus Christoph
AT-Redakteur Marcus Christoph am eigenem Schreibtisch. Homeoffice war die gängige Arbeitsform in diesem Jahr. (Foto: Privat)

Heiligenhafen - Um zu benennen, was die prägendsten Ereignisse des Jahres waren, braucht man diesmal wirklich nicht lange zu überlegen: Das war zum einen natürlich die Corona-Pandemie, die auch gewaltige Auswirkungen auf die journalistische Arbeit hatte, sowie der Tod von Diego Maradona, der in Argentinien und weltweit die Menschen berührte.

Die Corona-Krise begann aus Sicht eines Tageblatt-Redakteurs mit einem Dilemma. Zwar gab es in Argentinien Mitte März erst wenige Corona-Fälle. Doch verdichteten sich am 19. März, einem Donnerstag, die Hinweise, dass Präsident Alberto Fernández im Laufe des Tages eine allgemeine Ausgangssperre für das Land erklären würde. Zweifellos eine historische Ankündigung, die tief in das Leben der Bürger eingreifen würde.

Unser Problem war nur, dass der Redaktionsschluss des Tageblatts für gewöhnlich am Donnerstag ist und wir bis 19 Uhr unsere Seiten zur Druckerei schicken müssen. Die Worte des Präsidenten ließen aber auf sich warten. Wir handelten eine Stunde Aufschub mit der Druckerei aus. Doch auch diese Frist verstrich. Es war vertrackt: Man konnte das Thema, das am Folgetag das ganze Land beherrschen würde, unmöglich ignorieren. Andererseits ist es natürlich auch unredlich bzw. unmöglich, etwas in großen Lettern auf der Titelseite anzukündigen, das zum Zeitpunkt des Drucks noch nicht endgültig entschieden ist.

Am Ende blieb nur, sich in der Darstellung auf die Berichterstattung der verschiedenen TV-Sender zu beziehen, die sich in der Antizipation des Lockdowns auf „zuverlässige Quellen in der Regierung“ bezogen. Aber dann musste die Seite rüber zur Druckerei. Redaktionsschluss ist Redaktionsschluss.

So schön der Print-Journalismus auch ist, wenn man am Folgetag das selbst mitgestaltete Druckerzeugnis in Händen hält, so hart kann es manchmal sein, einen Schlusspunkt zu finden, wenn das Ereignis, über das man berichten will, noch nicht abgeschlossen ist. Da ist es online einfacher, flexibel auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren.

Eine Stunde nach Redaktionsschluss verkündete der Staatschef dann tatsächlich die allgemeine Ausgangssperre, die das Leben für die nächsten Wochen und Monate prägen sollte.

Die wichtigste Umstellung für die Redaktion des Tageblatts war, dass die Arbeitsweise nun komplett auf Homeoffice umgestellt wurde. Hatte ich im Vorfeld angenommen, dass man zumindest zum Redaktionsschluss mit den Kollegen gemeinsam im Präsenzmodus arbeiten müsste, war ich nun doch verblüfft zu sehen, wie auch dieser wichtige abschließende Arbeitsschritt einer jeden Ausgabe sich machen ließ, ohne dass jemand in den Redaktionsräumen hätte anwesend sein müssen. Da es auch keine auswärtigen Pressetermine mehr gab, beschränkte sich der Arbeitsradius - von wenigen Ausnahmen abgesehen - über Wochen auf die eigenen vier Wände.

Dies eröffnete Möglichkeiten, an die vorher nicht zu denken waren: Nämlich auch aus der Ferne das Tageblatt mitzugestalten. Denn spätestens zu Mitte des Jahres erschien es sehr viel angenehmer, sich im deutschen Sommer mit vergleichsweise großzügigen Freiheiten aufzuhalten als im argentinischen Winter mit Quarantäne. Mittlerweile hat sich diese Situation aber spiegelverkehrt gewandelt. Während die Pandemie im mittlerweile winterlichen Deutschland einen neuen Lockdown erzwingt, sind in Argentinien mit dem sommerlichen Wetter auch die Bewegungsfreiheiten zu einem guten Teil zurückgekehrt.

Zwar waren die Ausgangsbeschränkungen in Argentinien unter dem Strich strenger, da man in weiten Teilen Deutschlands ja immer noch ohne triftigen Grund draußen sein darf. Doch das Mehr an Dunkelheit und Kälte, verbunden mit dem Frust, zu Weihnachten und Jahreswechsel den zweiten und vermutlich länger andauernden Lockdown durchmachen zu müssen, drückt vielen Menschen zwischen Flensburg und Garmisch doch gewaltig aufs Gemüt. Den Argentiniern bleibt zu hoffen, dass ihnen durch die hoffentlich bald im großen Stil beginnenden Impfungen eine zweite Corona-Welle erspart bleibt.

2020 wird des Weiteren als Sterbejahr der argentinischen Nationalikone Diego Armando Maradona in Erinnerung bleiben. Der Tod des Jahrhundertfußballers am 25. November war ein Ereignis, das Argentinien weltweit in die Hauptnachrichtensendungen und die Titelseiten der wichtigsten Zeitungen brachte. Eine solche internationale Durchschlagskraft bei einem Thema mit argentinischem Bezug habe ich seit meiner Ankunft in Buenos Aires 2009 höchstens bei der Wahl von Jorge Bergoglio zum Papst erlebt.

Wenn Franz Beckenbauer stirbt, wird es in Deutschland sicher auch große Resonanz geben. Aber eine dreitägige Staatstrauer und eine Aufbahrung im Schloss Bellevue ist dann doch eher schwer vorstellbar. Die Verehrung Maradonas in seinem Heimatland, aber auch im fernen Neapel, hatte immer schon fast religiöse Züge. Am Ball war der Lockenkopf aus dem Armenviertel Villa Fiorito einfach genial. 1986 führte er sein Land zur Weltmeisterschaft.

Das verschaffte ihm bei seinen Landsleuten einen solchen Sympathie-Bonus, dass viele über seine Eskapaden verschiedener Art hinwegsahen. Am Ende starb er im Alter von 60 Jahren. Das ist nicht sonderlich alt, gemessen an seinem exzessiven Lebensstil aber auch nicht wirklich verwunderlich.

Verfolgt habe ich die massenhaften Trauerbekundungen am 26. November aus dem fernen Deutschland. Doch mit Live Stream argentinischer TV-Sender konnte man sich zumindest ein Bild machen vom Ausmaß der überbordenden Emotionen, die sogar Staatschef Fernández, der feuchten Auges an den Sarg trat, erfassten.

Für den Kommentar über Maradona als „Fußballgenie und Volksheld“ brauchte ich als langjähriger Fan nicht lange überlegen. Natürlich wäre ich in Anbetracht der Bilder gerade in jenen Tagen sehr gerne auf den Straßen von Buenos Aires gewesen. Sieht man aber die Menschenmassen und bedenkt, dass die Corona-Pandemie wohl noch für länger nicht ausgestanden ist, hatte es sicher aber auch Vorteile, die Ereignisse aus der Ferne zu verfolgen. (AT)

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