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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Mehr als nur ein Roadmovie

„Nomadland“ von Chloé Zhao

Von Catharina Luisa Deege

Frances McDormand - David Strathairn
Fern (Frances McDormand) und Dave (David Strathairn). (Foto: dpa)

Buenos Aires (AT) - Ich war wenig angetan von der Idee, mir „Nomadland“ anzuschauen. Klar, der Film von der gebürtigen Chinesin Chloé Zhao wurde mit Preisen überschüttet, auf Independent-Filmfesten sowie bei den „Oscars“ gefeiert, doch sprachen mich die kurzen Inhaltsangaben wenig an. Ein Film über einen Roadtrip, über eine Anfang 60-jährige, weiße Frau, die auf Reisen geht - was soll da denn schon groß passieren?

Fern (Frances McDormand) muss gebeutelt von der Finanzkrise und geprägt vom Tod ihres Ehemanns losziehen. Empire, das kleine Dorf im US-Staat Nevada in dem sie vorher lebte, wurde durch die Schließung eines Gipsplattenwerks zur Geisterstadt. Ihr erster Halt: eine Amazon-Packstation. Mit ihrem kleinen, aber geschickt ausgebauten Van begibt sie sich auf eine Reise ohne Ende. Sie putzt Klos und Küchen, um sich über Wasser zu halten, friert, streitet, puzzelt. Zumindest die Bekanntschaften, die sie bei ihren Gelegenheitsjobs und durch das Leben auf Campingplätzen macht, erhellen ihren Alltag.

Und hier kommt der dokumentarische Charakter des Dramas zum Vorschein: Bei diesen Bekanntschaften handelt es sich um waschechte Nomaden, die die 39-jährige Regisseurin bei ihrer Recherche-Reise kennenlernte. Da wäre zum einen Linda May, eine von Frans vertrautesten Freundinnen im Film, die sie mit dem Aussteiger Bob Wells bekannt macht. Wells ist eine wahrhaftige Kultfigur in der nordamerikanischen Van-Szene, er organisiert jährliche Treffen und gibt Tipps zum Überleben in der Wohnwagen-Welt.

Bei einem dieser Treffen lernt Fran Dave (David Strathairn) kennen, neben Fran einer der wenigen fiktiven Charaktere von „Nomadland“. Die Beziehung, die die beiden zueinander pflegen, ist so wunderschön pur und ehrlich wie der ganze Film. Mal reisen sie gemeinsam, unterstützen sich, dann trennen sich ihre Wege. Und trotzdem: Von Kitsch keine Spur. Keine Zeitlupen-Küsse, kein Händchenhalten, sondern erfrischende Authentizität.

Das ist es wohl, was Frances McDormand den Oscar als „Beste Hauptdarstellerin“ einräumte. Sie scheut sich in dem Drama vor rein gar nichts. Sie lässt sich beim Pinkeln filmen, zeigt ihr ungeschminktes, von den Jahren gezeichnetes Gesicht. Zwischen den vielen „echten“ Charakteren fällt sie durch ihr natürliches Schauspiel nicht auf.

Neben schönen, imposanten Naturaufnahmen und Roadtrip-Szenen (Kamera: Joshua James Richards) überzeugt der Film der 39-Jährigen Zhao mit tiefgründiger Systemkritik. Schließlich sind Fern und die anderen Nomaden diejenigen, die zum Überleben aus dem System ausbrechen mussten. Viele von ihnen landeten durch die Wirtschaftskrise 2008 auf der Straße - oder besser gesagt im Van -, andere erlebten tragische Schicksalsschläge wie den Verlust einer geliebten Person, und wieder andere müssen im Rentneralter noch weiterarbeiten, um sich eine Krankenversicherung leisten zu können.

Es sind die Menschen, die in den USA am Rand der Gesellschaft leben und gerne mal vergessen werden. Chloé Zhao hat diese durch ihren zuhauf prämierten Film sichtbar gemacht, ihnen eine Stimme gegeben und deren Leben ungeschönt und doch ästhetisch abgebildet. Fern ist fiktiv, doch dürfte sie eine Menge der US-amerikanischen Aussteiger*innen repräsentieren.

Frances McDormand
Für ihre Leistung in „Nomadland“ gewann die 64-jährige Schauspielerin einen Oscar. (Foto: dpa)

„Nomadland“ kommt genau zur richtigen Zeit in die Kinos. Es weckt den eigenen Abenteuergeist, sättigt das Fernweh in Zeiten großzügiger Reiseeinschränkungen durch imposante Bilder der diversen Natur Nordamerikas. Denn wenn man den Staaten eines neidlos anerkennen muss, dann ist es die Schönheit der Nationalparks. Fern arbeitet und bereist in „Nomadland“ Nebraska, Nevada, Kalifornien, Arizona und South Dakota, schaut sich Sterne und Steppen an. Im Laufe des Films gewöhnt sich selbst der Zuschauende an diese unglaublichen Weiten, und so ist es ungewohnt, die Hauptfigur später im Film in einem Haus übernachten zu sehen. Ein pompöses Doppelbett, wofür? Die Bilder engen ein, und man möchte wieder zurück in die Wildnis.

Das auf dem von Jessica Bruders Buch „Nomaden der Arbeit: Überleben in den USA im 21. Jahrhundert“ basierende Werk ist im Prinzip ein Film über eine ältere, weiße Frau. Aber es ist eben noch viel mehr als das. „Nomadland“ schaffte es, meine anfänglichen Vorurteile zu beseitigen, hat mich mitgenommen, beruhigt und berührt.

Zu sehen ist „Nomadland“ momentan in den Kinos Atlas Patio Bullrich, Cine Lorca, Multiplex Belgrano und Showcase Cinemas.

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