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Massa löst unmittelbare Probleme und vertieft die kommende Krise

Von Juan E. Alemann

Die Rechnung mit der Zahlungsbilanz geht nicht auf. Trotz strenger Importbegrenzung, erschöpfen sich die ZB-Reserven, und es naht der Moment, in dem die ZB den Wechselkurs nicht mehr kontrollieren kann, Dann wäre ein Abwertungssprung unvermeidlich, der die Inflation noch mehr in die Höhe treiben würde und die Rezession, die schon sanft eingetreten ist, stark vertiefen würde. Die Regierung von Alberto Fernández und Cristina Kirchner würde dabei ein noch schlechteres Ende erleben, als es ohnehin schon erwartet wird.

Um das Zahlungsbilanzproblem hinauszuschieben hat Wirtschaftsminister Sergio Massa jetzt zum zweiten Mal zur Sojabohne gegriffen, um unmittelbare Deviseneinnahmen zu erhalten. Es verbleibt noch ein Bestand, der kurzfristig Exporte von u$s 3 Mrd. schaffen kann. Um dies zu erreichen, wurde für Sojabohne ein Wechselkurs von $ 230 pro Dollar eingeführt, der vom Montag dieser Woche bis zum 31. Dezember 2022 gilt. Es sind, in Dollar, 15% mehr als beim vorangehenden Sojadollar, der $ 200 pro Dollar betrug. Dieser Wechselkurs ist genau so willkürlich wie der vorangehende, und stellt ein schlechtes Signal für die Wirtschaft dar. Denn das veranlasst die Produzenten anderer landwirtschaftlicher Produkte, auch einen Sonderkurs zu fordern. Das System der multiplen Wechselkurse ist irrational und hat im Endeffekt eine negative Wirkung auf die Wirtschaft.

Gleichzeitig wurde der Exportzoll für Sojaöl und Sojamehl von 33% auf 31% gesenkt. Die Differenz zwischen dem Exportzoll für Sojabohne und den Produkten, die mit der Sojabohne erzeugt werden, die traditionell bestand und von Macri abgeschafft wurde, wurde wieder hergestellt, In der Tat dient diese Differenz als Ausgleich für die Diskriminierung, die in der EU u. Staaten besteht, wo der Importzoll für Sojaöl- und Sojamehl höher ist als für Sojabohne. Der Fall sollte eigentlich von Argentinien bei der Welthandelsorganisation (WTO) vorgelegt werden. Doch darum kümmert sich die argentinische Regierung nicht, sowohl diese wie die vorangehenden. Wenn jetzt wieder mehr Sojaöl- und Mehl statt Sojabohne exportiert wird, dann erhält das Land dabei mehr Devisen, weil ein Zusatzwert geschaffen wird. Aber der Fiskus macht dabei ein schlechtes Geschäft.

Massa hat noch weitere Sondersysteme für sogenannte regionale Produkte in Aussicht gestellt, aber dann ist nichts geschehen. In der Tat könnte bestimmt mehr Wein, Oliven und Olivenöl, Obst, Baumwolle, Tabak, Zucker, Yerba Mate, Tee, bestimmte Gemüsearten, auch Holz und Holzprodukte u.a. Produkte exportiert werden. Die nicht erfüllte Ankündigung führt dazu, dass die Produkte, um dies geht, zunächst einbehalten werden, in Erwartung eines günstigeren Wechselkurses. Das System des Sonderkurses für einzelne Produkte hat eine nicht gewollte negative Wirkung.

Man hat den Eindruck, dass Massa diese eigenartigen Wechselkurspolitik nicht zu Ende gedacht hat, sondern eben nur einzelnen Impulsen folgt, um unmittelbar auftretende Probleme zu lösen. Mit einem besseren Wechselkurs würde automatisch viel mehr von genannten Produkten, auch von anderen, exportiert werden. Im Grunde ist es eben so, dass sich Argentinien diesen zurückgebliebenen Wechselkurs nicht leisten kann. Auch wenn ein real höherer Wechselkurs sich negativ aus das Realeinkommen der Bevölkerung auswirkt, ist diese Wirkung bestimmt nicht so schädlich wie die des fehlenden Exports. Es klingt gewiss leicht absurd, dass ein Land mit so vielen Exportmöglichkeiten ungenügende Exporte aufweist.

Die Vorverlegung bestimmter Exporte führt dazu, dass der Export danach geringer ausfällt. Das trifft dieses Mal mit einer viel geringeren Ernte zusammen, die einen viel niedrigeren Export voraussehen lässt. Das bezieht sich unmittelbar auf Weizen, und dann auch auf Mais u.a. Arten, so dass der Export von Getreide, Ölsaaten und seiner Industrieprodukte auf alle Fälle um über u$s 10 Mrd. unter dem Vorjahr liegen dürfte. Einmal hat sich die intensive Dürre dieses Jahres ausgewirkt, zu der noch Spätfröste hinzukommen. Und dann kommt noch der Mangel an Düngemitteln hinzu, die zum großen Teil aus Russland stammen, das jetzt weniger liefert. Außerdem werden auch diese Importe von der ZB beschränkt, obwohl dies sehr irrational ist. Denn die zusätzliche Produktion, die mit Einsatz von Düngemitteln erreicht wird, schafft Exporte, deren Wert weit über dem der Düngemittelimporte liegt.

Die Devisenknappheit führt jetzt unvermeidlich zu einer noch schärferen Importkontingentierung, die die lokale Produktion zunehmend hemmt. Und das vertieft die Rezession, die ohnehin schon eingetreten ist, und in den letzten Wochen zunehmend auftritt. Nebenbei bemerkt: die Verwaltung dieses Systems der Importkontingentierung ist schwierig und wird es immer mehr. Das führt auch zu einer intensiven Lobbytätigkeit der betroffenen Unternehmen, wobei auch eine gewisse Korruption nicht auszuschließen ist. Diejenigen, die ihre Importe mit eigenen Dollar zahlen, also formell importieren ohne zu zahlen, erhalten jetzt die Importgenehmigungen. Doch das ist mit viel höheren Kosten verbunden, was ein Problem schafft. Es sei denn, es handelt sich um geringere Importe, die bei einem lokalen Produktionsprozess ein kritisches Problem lösen.

Abgesehen von der zukünftigen Wirkung des neuen Sojadollars, führt dieser zu einer neuen monetären Expansion, die das schon bestehende Problem vergrößert. Der höhere Wechselkurs für Sojabohne wird nicht durch einen höheren Kurs für Importe u.a. Zahlungen ausgeglichen, so dass die Differenz von der ZB gezahlt werden muss.

Massa hat einen guten persönlichen Dialog mit den Vertretern der landwirtschaftlichen Verbände. Doch im Grunde besteht ein tiefer Abgrund zwischen der Auffassung der Landwirte und der von Massa. Die Landwirte weisen darauf hin, dass sie einen Bruchteil des Preises erhalten, den ihre Kollegen in Brasilien, der USA u.a. Ländern beziehen. Zu den Exportzöllen, die es in keinem anderen Land gibt, kommt noch der künstlich niedrig gehaltene Wechselkurs hinzu. Sie betonten, dass sie mit angemessenen Preisen viel mehr produzieren könnten. In der Tat kann durch intensivere Düngung (die sehr kostspielig ist) und Nutzung von Land, in dem es weniger regnet und die Ernten nicht so sicher wie in der zentralen Gegend des Landes sind, wobei auch die Erträge viel geringer sind, viel mehr produziert werden. Argentinien hat bisher vor einigen Jahren einen Rekord von etwa 140 Tonnen Getreide und Ölsaat (genaue Zahlen gibt das Landwirtschaftssekretariat nicht bekannt, weil sie sie selber nicht hat) und die Landwirtschaftsexperten gelangen zum Schluss, dass es gut 200 Mio. Jato sein könnten. Es kann auch mehr Rindfleisch erzeugt werden, und auch bei den sogenannten regionalen Produkten bestehen gute Möglichkeiten für höhere Exporte.

Wenn man bei der Wirtschaftspolitik die Exportförderung in den Vordergrund stellt, kann man auch mehr Wirtschaftswachstum erwarten. Aber gleichzeitig tritt dabei zunächst eine Umverteilung des Volkseinkommens zu Gunsten der Landwirte und zum Schaden der städtischen Bevölkerung, an erster Stelle der Lohnempfänger, statt. Und das ist faktisch und politisch schwer zu verkraften. Es muss eben eine Kompromisslösung angestrebt werden, bei der jedoch den Reallohn und auch das reale Einkommen der meisten selbstständig Tätigen und der Gewinn von Industrieunternehmen u.a. Unternehmen zurückgehen.

An Juli 2023 wird erwartet, dass die höhere Gasförderung, die potentiell schon vorhanden ist, zu den Konsumzentren und dem Hafen gelangt, über den Gas exportiert wird. Das solle bei der Zahlungsbilanz, durch Ausfall von Importen und durch Exporte eine Differenz von über u$s 5 Mrd. gegenüber diesem Jahr ausmachen. In Zukunft kann ein hoher Gasexport erwartet werden, weil die Gasreserven in Vaca Muerta sehr hoch sind. Aber Argentinien ist bezüglich Gas gegenüber arabischen Staaten im Nachteil, deren Gas viel billiger als das argentinische ist, wobei auch viel geringere Transportkosten nach Europa u.a. Ländern bestehen. Wir sollten uns zunächst zufrieden geben, wenn kein Gas mehr per Schiff importiert wird.

Man hat den Eindruck, dass Massa die Problematik der Zahlungsbilanz so sehr in den Vordergrund stellt, dass er vergisst, dass auch ein komplexes monetäres Problem besteht, bei dem improvisiert wird, aber kein Grundkonzept über eine Lösung besteht. Und schließlich sollte man auch nicht vergessen, dass noch sehr viel getan werden muss, um die Staatsausgaben auf ein Niveau senken, mit dem die argentinische Wirtschaft auskommen kann. Massa, eigentlich mehr sein Staatssekretär Rubinstein als er, hat schon viel auf diesem Gebiet getan, aber er ist dabei Grundentscheidungen ausgewichen, wie die Schließung des Kohlenbergwerkes Río Turbio, die Rationalisierung der Eisenbahnverwaltung u.a. Staatsunternehmen, und die Abschaffung überflüssiger staatlicher Ämter, die die Kirchnerregierungen geschaffen haben. Wenn nur das Zahlungsbilanzproblem angegangen wird, und auch dies ohne es grundsätzlich zu lösen, dann verschärft sich die Krise, und die Gesamtlage wird extrem kritisch.

Die Stimmung in der Wirtschaftswelt ist nicht gut, und das kommt schon auf dem Schwarzmarkt für Devisen zum Ausdruck

Die Stimmung in der Wirtschaftswelt ist nicht gut, und das kommt schon auf dem Schwarzmarkt für Devisen zum Ausdruck. Der sogenannten „blue-Kurs“ ist gestiegen, obwohl die Liquidität in der Wirtschaft gefallen ist, also weniger Pesos für den Dollarkauf zur Verfügung stehen. Ohnehin ist der Schwarzkurs seit länger Zeit hinter der Inflation zurückgeblieben.

Was wir an dieser Stelle schreiben ist nichts Neues. Der Wirtschaftswelt kann man nichts vormachen, und die zahlreichen guten Fachökonomen, die heute in Argentinien beratend tätig sind, weisen auf eine kommende Megakrise hin. Melconian, der jetzt die Mediterránea-Stiftung leitet (aus der Cavallo und seine Mannschaft seinerzeit hervorgegangen sind), sollte eigentlich ein Programm für die nächste Regierung ausarbeiten, so dass von Anfang an die notwendigen Maßnahmen getroffen werden und die Wirtschaftswelt weiß, wohin die Regierung geht. Doch jetzt steht er vor dem Problem, dass er nicht weiß, wie es im Dezember 2023 aussieht. Es wird immer unwahrscheinlicher, dass Massa mit seiner Politik der Lösung von Einzelproblemen bis zum Ende dieser Regierungsperiode gelangt. Es wird befürchtet, dass es vorher schon zu einer Explosion (lies Hyperinflation mit akuter Rezession und Gewaltausbrüchen) kommt. Wie die Regierung auf eine solche Konstellation reagiert ist ungewiss. Dabei besteht auch die Möglichkeit eines vorzeitigen Rücktrittes von Präsident Fernández, wie es bei Alfonsín 1989 der Fall war. Und Cristina wird dabei die Regierung gewiss nicht übernehmen wollen.

Diese Politik von Wirtschaftsminister Sergio Massa, stets unmittelbar auftretende Probleme zu lösen, endet in eine Sackgasse, und zwar in nicht langer Zeit. Im Grunde ist eben eine grundsätzliche Entscheidung beim Wechselkurssystem unvermeidlich. Einmal muss auf dem offiziellen Markt ein Abwertungssprung eintreten, so dass Importe verteuert werden und somit abnehmen. Und dann führt dies dazu, dass sofort mehr exportiert wird, weil die Rechnung dann bei vielen regionalen Produkten, und eventuell auch bei reinen Industrieprodukten aufgeht. Gleichzeitig muss ein freier Devisenmarkt zugelassen werden, über den alle Transaktionen, die nicht zur Leistungsbilanz gehören, abgefertigt werden. Gleichzeitig müsst es eine Weißwaschung für Kapitalimporte geben. Mit einem verwalteten Kurs für den Warenverkehr und einem freien für den Rest wäre das Problem zunächst gelöst. Die Vereinheitlichung des Devisenmarktes, wie sie auf der ganzen Welt besteht, käme dann in einer zweiten Etappe.

Innerhalb der Regierung denken einige Wirtschaftler, angefangen mit Vizeminister Gabriel Rubinstein, angeblich ähnlich wie wir. Sie müssen jetzt Massa und dann auch Präsident Fernández überzeugen. was nicht so einfach ist. Erst wenn Massa sich überzeugt, dass er mit seiner gegenwärtigen Politik der Stopfung von Löchern und der kleinen Schritte eine zunehmend unhaltbare Lage schafft und in eine Sackgasse gerät, dürfte er auf unser Konzept übergehen. Doch dabei muss er sich auch bewusst sein, dass dies zunächst zu einem Rückgang des Reallohnes führt, und er die immer höheren nominellen Lohnerhöhungen bremsen muss. Ein staatlicher Eingriff in die Lohnpolitik ist unvermeidlich. Die Alternative ist schließlich die Hyperinflation, die viele Ökonomen schon in Aussicht stellen und in einigen Fällen für unvermeidlich halten. Das Gespenst der Hyperinflation, das Rubinstein schon angedeutet hat, muss genutzt werden, um die Wirtschaftspolitik durchzusetzen, die die einzige Möglichkeit für eine Überwindung der strukturellen Krise darstellt.



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