Von Juan E. Alemann
Mit der Ernennung von Gabriel Rubinstein zum Vizeminister, formell Staatssekretär für Programmierung, hat Wirtschaftsminister Sergio Massa an erster Stelle einen neuen politischen Erfolg erreicht, der seine Stellung stärkt. Cristina hatte sich der Ernennung zunächst widersetzt, weil Rubinstein sich früher über Twitter abfällig über sie geäußert hatte, gab aber schließlich nach. Nach der Ernennung von Flavia Royón als Energiesekretärin, die den cristinahörigen Dario Martínez ersetzt, und der von Leandro Cleri zum Vizepräsidenten der Zentralbank, zeigt sich Massa schrittweise als ein politisch starker Wirtschaftsminister. Das ist die Voraussetzung, um die verfahrene Lage einrenken zu können.
Doch im Grunde beruht die starke Stellung von Massa darauf, dass sein Rücktritt für die Regierung eine Katastrophe wäre. Das Vertrauen in die Möglichkeit, dass diese Regierung die Lage einigermaßen einrenkt, wäre dann im Eimer, und es würde Alberto und Cristina sehr schwer fallen, bis zum 10. Dezember 2023 weiter zu regieren. Ist sich Massa seiner Macht bewusst? Ein erster Machtkonflikt ist schon aufgekommen. 13 Gouverneure der Regierungspartei sind schon in La Plata zusammengekommen, unter dem Vorsitz des mächtigen Gouverneurs Axel Kicillof, um sich gegen Kürzungen der Zuwendung von nationalen Mitteln auszusprechen. Indessen wird es auch hier einen Schnitt geben müssen, sei es direkt oder indem die bestehenden zugesprochenen Beträge nominell beibehalten werden.
Gleich am ersten Tag von Rubinstein im Amt wurden Staatsausgaben, die im Haushaltsgesetz vorgesehen waren, um $ 128 Mrd. gekürzt, was zur Inflationswirkung hinzukommt, die die nominell vorgesehenen Ausgaben real verringert. In 6 Ministerien werden Ausgaben für $ 210 Mrd.. gestrichen, und zusätzliche Ausgaben für $ 82 Mrd. genehmigt. Die Kürzungen umfassen besonders Programme des Produktionsministeriums und des Erziehungsministeriums, in geringeren Umfang auch andere Bereiche, und beziehen sich weitgehend auf staatliche Investitionen. Diese Kürzungen sind ein klares Zeichen, der neuen Richtung der Wirtschaftsführung.
Rubinstein ist ein bekannter und erfahrener Ökonom von 68 Jahren, der unter Roberto Lavagna als Wirtschaftsminister (2002/05) die Verbindung zur ZB pflegte und den Minister vor allem bei Finanzthemen beriet. Er war jetzt als Berater im privaten Bereich tätig, und genießt im wirtschaftlichen Establishment einen guten Ruf. Dazu haben auch seine intelligenten Artikel in der Zeitung “El Cronista” beigetragen. Er wird jetzt im Wirtschaftsministerium ein entscheidendes Mitspracherecht haben, denn Massa ist ein reiner und geschickter Politiker, der die wirtschaftliche Thematik nur oberflächlich versteht. Positiv ist dabei, das er sich dessen bewusst ist.
In der Tat weist die Wirtschaft gegenwärtig Probleme auf, die zunächst als unlösbar erscheinen und nur gelöst werden können, wenn man von einem anderen Grundkonzept ausgeht. Die bisherige Politik der kleinen Korrekturen, die die Probleme nur hinausschiebt, muss durch eine mittelfristige Politik, mit klaren Zielen ersetzt werden. Es geht grundsätzlich um Folgendes:
Senkung der Inflation, durch geringere Geldschöpfung, aber auch durch Einkommenspolitik, was sich vornehmlich auf die Begrenzung der Lohnerhöhungen bezieht. Das setzt voraus, dass die These der Erhaltung des Reallohnes aufgegeben wird, für die Präsident Fernández und Cristina eintreten. Die Stabilisierung wirkt in einer ersten Phase rezessiv und drückt das Realeinkommen allgemein, nicht nur bei Arbeitnehmern, wobei es auch Ausnahmen gibt, die zur Normalisierung der Lage gehören.
Effektive Verringerung des Defizites der Staatsfinanzen. Das wurde jetzt mit den Tariferhöhungen eingeleitet, die jedoch zunächst eine geringe Bedeutung haben. Es muss allgemein bei den Staatsausgaben energisch gespart werden, und dabei ist es unvermeidlich, dass auch die Gehälter der Staatsangestellten und die Pensionen weniger als die Inflation steigen. Schatzsekretär Raul Rigo, der ein guter Kenner der staatlichen Ausgabenstruktur ist, weiß bestimmt, wo kurzfristig gespart werden kann. Mit der Unterstützung von Rubinstein kann er sich jetzt durchsetzen.
Reform des Devisenmarktes, mit einem Markt für den Außenhandel mit Waren und einem freien Markt für den Rest. Das löst das Zahlungsbilanzproblem weitgehend, mit einer beschränkten Inflationswirkung. Dabei sollte die Weißwaschung, die jetzt erneut für Bauvorhaben eingeführt wurde, auch auf Bildung von Arbeitskapital und Investitionen von Unternehmen ausgeweitet werden. Das würde ein zusätzliches Devisenangebot schaffen und auf den freien Kurs drücken, so dass die Marge mit dem offiziellen zurückgeht, aber gleichzeitig vielen lokalen Unternehmen eine Expansion erlauben, die heute wegen Mangel an Arbeitskapital gehemmt ist.
Bisher konnte Massa wenig konkrete Maßnahmen vorweisen. Er hat zwar die Ankündigung von Frau Batakis über Einfrierung der Zahl der öffentlichen Angestellten bestätigt, aber das Dekret ist immer noch nicht da. Und dabei bleiben Fragen offen: bezieht sich dies auch auf Einfrierung freiwerdender Stellen? Werden die Provinzen aufgefordert (und unter Druck gestellt) sich dem System anzuschließen? Hoffentlich sorgt Rubinstein jetzt dafür, dass es hier einen Fortschritt gibt.
Wichtig ist auch, dass Massa die einzelnen Minister angewiesen hat, sich bei Krediten der Weltbank, der BID u.a. Förderungsbanken darum zu kümmern, dass die konkreten Projekte, die dabei finanziert werden, fortschreiten und die Mittel, die bereitstehen, so bald wie möglich abgehoben werden. In vielen Fällen wurden sie in mehreren Jahren nur zu 1% bis 3% eingesetzt. Doch wenn Massa jetzt nicht ununterbrochen Druck auf die Minister ausübt, kann man kaum erwarten, dass viel geschieht. Denn im staatlichen Bereich geht alles langsam, mit allerlei Hindernissen, die beseitigt werden müssen.
Rubinstein muss als erstes dafür sorgen, dass die Wirtschaftspolitik in Schwung gerät. Die Wirtschaftswelt, und auch weite Teile der Gesellschaft, haben den Eindruck, dass nichts wesentliches geschieht, und die Titanic, die als Symbol der argentinischen Wirtschaft genommen wird, auf einen Eisberg zusteuert. Die Wirtschaftsführung muss es jetzt verstehen, Unternehmer u.a. zu überzeugen, dass das Schiff am Eisberg vorbeifährt und einem sicheren Hafen zusteuert. Man erwartet viel von Massa mit Rubinstein. Sie haben die politische Kraft, um sich durchzusetzen, auch gegen Alberto und Cristina. Der Präsident weiß ohnehin nicht, ob er in Wirklichkeit sein Amt noch ausübt, und Cristina ist durch ihren Prozess, bei dem der Staatsanwalt 12 Jahre Haft für sie fordert, und auch durch die tiefe Gesellschaftskrise, geschwächt, und kann nicht viel tun, wenn ihr Massa und Rubinstein nicht gehorchen. Und wenn dies in einem konkreten Fall bekannt wird, dann tritt Massa mit noch mehr Macht hervor.
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