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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Märchen

Von Marion Kaufmann

Jede Mutter und jede Oma wird es bestätigen: Es gibt viele Arten von Märchen. Und alle versprechen Glück oder Unglück, Gutes oder Böses. Nehmen wir mal das Pärchen Hänsel und Gretel: Die Eltern verlieren im Wald ganz absichtlich ihre Kinder, weil sie kein Essen mehr haben: Papa ist arbeitslos. Aber die Kinder sind schlau und erfinderisch, und finden den Rückweg. Die Brüder Grimm haben uns Hunderte Märchen hinterlassen, und jeder Mensch wird sich an jene, die er als Kind gehört oder gelesen hat, für immer erinnern. Aber sollte man sie nicht aktualisieren? Da hätten wir die Story der Zehn kleinen Negerlein, zum Beispiel, wo einer nach dem anderen auf mysteriöse Art verschwindet. Ein Märchen über einen Serienkiller? Und warum sind keine weißen Kinderlein verschwunden? Da haben wir alle das Märchen vom Rattenfänger gelesen, der alle Kinder des Dorfes entführt: Was mag aus ihnen geworden sein...? Unsereins denkt nichts dabei, aber die Kinder? Ebenso das Erlebnis vom Rotkäppchen und dem bösen Wolf. War er wirklich so böse oder wollte er das Kind nur er schrecken? Vielleicht hat er nur an eine Art Stockholm-Syndrom gedacht. Psychologen und Kinderärzte diskutieren immer noch, ob diese, manchmal richtig grausigen Geschichten, mit ihren beeindruckenden Themen, den Kindern schaden können.

Auch Historiker und Politiker erzählen Märchen, wie zum Beispiel als die Kolonialherrschaft in Südafrika seinerzeit berichtete, dass aus dem streng bewachten Gefängnis auf Robben Island nur ein einziger Mann entfliehen konnte. Allerdings haben sie vergessen zu erwähnen, dass dieser Mann zwar entkam, aber dann in dem eiskalten Meer ertrunken ist.

Märchen hin, Märchen her, man darf annehmen, dass die allerkleinsten Leser die Märchen lieben und sie jeden Abend aufs Neue hören wollen. Die Größeren sind ja schon mit Superman und kriegerischen Helden aufgewachsen; alles weitere ist ihnen egal, Hauptsache viele Menschen werden umgebracht; wenn’s geht, die ganze Welt.

Und wir, die Erwachsenen, glauben heute den Märchen nicht mehr.




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