Deutschland in der Corona-Krise / Öffnungsmöglichkeiten
Berlin (dpa) - Der Lockdown zur Bekämpfung der Corona-Pandemie in Deutschland wird angesichts weiter hoher Infektionszahlen grundsätzlich bis zum 28. März verlängert. Allerdings soll es je nach Infektionslage viele Öffnungsmöglichkeiten geben. Das haben Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Länder-Ministerpräsidenten am Mittwoch in Berlin in mehr als neunstündigen Verhandlungen beschlossen. Vereinbart wurde eine stufenweise Öffnungsstrategie mit eingebauter Notbremse: Führen in einer Region einzelne Lockerungen zu einem starken Anstieg der Infektionszahlen, werden dort automatisch alle schon erfolgten Erleichterungen wieder gestrichen.
Merkel sagte im Anschluss, man stehe an der Schwelle zu einer neuen Phase der Pandemie. Deutschland habe Stärke gezeigt in seiner Reaktion auf die zweite Welle. "Und jetzt liegt die Aufgabe der Politik darin, die nächsten Schritte klug zu gehen. Es sollen Schritte der Öffnung sein und gleichzeitig Schritte, die uns in der Pandemie nicht zurückwerfen dürfen." In Europa gebe es viele Beispiele für eine "dramatische dritte Welle", sagte die Kanzlerin. "Diese Gefahr, da dürfen wir uns nichts vormachen, besteht auch für uns."
Merkel betonte aber: "Der Frühling 2021 wird anders sein als der Frühling vor einem Jahr." Inzwischen habe man bei der Bekämpfung der Pandemie zwei starke Helfer: die Impfstoffe und die erweiterten Testmöglichkeiten.
Die Kanzlerin machte deutlich, dass die Impfkampagne beschleunigt werden solle. "Wir glauben, dass wir hier noch Steigerungspotenzial haben", sagte sie. Vereinbart wurde, dass Ende März/Anfang April die haus- und fachärztlichen Praxen umfassend in die Impfkampagne eingebunden werden. Kostenlose Schnelltests - mindestens einer pro Woche für jeden Bürger - sollen von nächster Woche an kommen. Der Bund will die Kosten übernehmen. Bund und Länder erwarten zudem, dass auch Unternehmen als gesamtgesellschaftlichen Beitrag ihren in Präsenz Beschäftigten pro Woche das Angebot von mindestens einem kostenlosen Schnelltest machen.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) warnte: "Wir haben die zweite Welle besiegt, und die dritte Welle rollt." Die Gefahr und Dimension der dritten Welle hänge von jedem Einzelnen ab. "Deshalb müssen wir sehr aufpassen, dass wir nicht unbedacht in den nächsten großen Lockdown kommen. Wenn viele über Ostern reden, dann haben wir Ostern entweder eine schöne Zeit oder vielleicht den nächsten Lockdown." Deshalb habe man jetzt "einen Dreiklang aus Vorsicht, Vertrauen und Verantwortung" beschlossen. Eine besondere Kontaktregelung für Ostern wurde nicht beschlossen.
Berlins Regierungschef Michael Müller (SPD) betonte, man sei vielleicht in der "sensibelsten Phase" der Pandemiebekämpfung. "Es ist keine Zeit der einfachen Antworten. Es geht nicht mehr um Aufmachen oder Zumachen, sondern es geht darum, wie wir sehr besonnen mit dieser Situation umgehen."
Schon vom kommenden Montag an sollen nach den Beschlüssen die stark beschränkten privaten Kontaktmöglichkeiten gelockert werden. Dann werden wieder private Zusammenkünfte des eigenen Haushalts mit einem weiteren Haushalt möglich sein, jedoch beschränkt auf maximal fünf Personen. In Regionen mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von unter 35 neuen Infektionen pro Woche können es auch Treffen des eigenen Haushalts mit zwei weiteren Haushalten mit zusammen maximal zehn Personen sein. Kinder bis 14 Jahre sind hiervon jeweils ausgenommen. Bisher darf sich ein Hausstand mit maximal einer Person eines anderen Hausstandes treffen.
Nach den schon vorgenommenen ersten Öffnungen bei Schulen und Friseuren sollen nun in einem zweiten Schritt Buchhandlungen, Blumengeschäfte und Gartenmärkte folgen. In einzelnen Ländern sind diese bereits offen, jetzt sollen sie nach dem Beschluss der Bund-Länder-Runde bundesweit einheitlich dem Einzelhandel des täglichen Bedarfs zugerechnet werden. Voraussetzung ist, dass Hygienekonzepte und eine Kundenbegrenzung eingehalten werden. Auch Fahr- und Flugschulen können den Betrieb unter Auflagen wieder aufnehmen.
"Epidemische Lage"
Berlin (dpa) - Der deutsche Bundestag hat wegen der Corona-Pandemie weiterhin eine "epidemische Lage von nationaler Tragweite" festgestellt. Einem entsprechenden Antrag der großen Koalition stimmten gestern auch Grüne und Linke zu. Die FDP enthielt sich, die rechtspopulistische AfD votierte dagegen.
Diese festgestellte Lage gibt der Regierung besondere Befugnisse, direkt ohne Zustimmung des Bundesrates Verordnungen zu erlassen, etwa zu Tests und Impfungen. Der Bundestag hatte die "epidemische Lage" erstmals am 25. März 2020 festgestellt und sie im November bestätigt.
Das Parlament beschloss nun aber auch ein Gesetz der Koalition, das hierfür künftig einen Drei-Monats-Mechanismus vorsieht: Entscheidet der Bundestag nicht spätestens drei Monate nach Feststellung einer solchen Lage, dass sie fortbesteht, soll sie automatisch als aufgehoben gelten. Laut Infektionsschutzgesetz liegt die "epidemische Lage" vor, "wenn eine ernsthafte Gefahr für die öffentliche Gesundheit in der gesamten Bundesrepublik Deutschland besteht".
AfD wird Verdachtsfall
Berlin (dpa) - Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat in Deutschland die gesamte AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft. Damit kann die größte Oppositionspartei im deutschen Bundestag ab sofort auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln ausgespäht werden.
Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur setzte der Präsident des Inlandsgeheimdienstes, Thomas Haldenwang, die Landesämter für Verfassungsschutz darüber am Mittwoch in einer internen Videokonferenz in Kenntnis. Zuerst hatte der "Spiegel" über die Entscheidung berichtet.
"Das Vorgehen des Verfassungsschutzes ist skandalös", sagte der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla. "Obwohl die Behörde die Einstufung als Verdachtsfall nicht bekannt geben darf, lanciert sie entsprechende Informationen an die Medien, um auf diese Weise den demokratischen Parteienwettstreit zu Lasten der AfD zu beeinflussen."
Wegen eines noch nicht abgeschlossenen Gerichtsverfahrens gibt das Bundesamt derzeit öffentlich keine Stellungnahme zur Frage der Einschätzung der AfD ab. "Mit Blick auf das laufende Verfahren und aus Respekt vor dem Gericht äußert sich das Bundesamt für Verfassungsschutz in dieser Angelegenheit nicht öffentlich", teilte die Kölner Behörde auf Anfrage mit.
Das Bundesamt hatte dem Kölner Verwaltungsgericht diese Woche jedoch umfänglich Einblick in seine Einschätzung zur AfD gewährt. Die AfD wehrt sich in einem Eilverfahren mit juristischen Mitteln gegen eine mögliche Einstufung als rechtsextremistischer Verdachtsfall. Diese Einstufung ermöglicht grundsätzlich auch das Anwerben von Informanten, die aus der Partei an den Inlandsgeheimdienst berichten.
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