Britische Premierministerin kündigt Rücktritt an
London (dpa/mc) - Nach nur gut sechs Wochen im Amt hat die britische Premierministerin Liz Truss ihren Rücktritt angekündigt. "Ich habe mit dem König gesprochen, um ihm mitzuteilen, dass ich als Chefin der Konservativen Partei zurücktrete", sagte die konservative Politikerin gestern bei einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz in der Londoner Downing Street. Als Premierministerin will sie noch im Amt bleiben, bis eine Nachfolge gefunden ist. Dieser Prozess solle bereits innerhalb der kommenden Woche ablaufen.
Nach Angaben der britischen Nachrichtenagentur PA ist Truss damit auf dem Weg, als britische Regierungschefin mit der kürzesten Amtszeit in die Geschichte einzugehen. Der Pfund-Kurs im Verhältnis zum Dollar legte nach der Ankündigung kurzzeitig zu.
Wer ihre Nachfolge antreten wird, ist unklar. Es gab zunächst keine klare Favoritin oder klaren Favoriten. Der erst kürzlich ins Amt gekommene Finanzminister Jeremy Hunt lehnte Berichten zufolge eine Kandidatur umgehend ab. Ex-Finanzminister Rishi Sunak war im Sommer in einer Stichwahl um die Nachfolge von Ex-Premier Boris Johnson gegen Truss unterlegen. Doch er gilt als umstritten in der Fraktion. Als mögliche Alternativen gelten auch die für Parlamentsfragen zuständige Ministerin Penny Mordaunt und Verteidigungsminister Ben Wallace.
Gestern kursierten auch Berichte, dass Boris Johnson eine erneute Kandidatur plane. Das berichteten die Zeitungen "Times" und "Telegraph" unter Berufung auf nicht genannte Quellen. Johnson glaube, eine Kandidatur sei im „nationalen Interesse“, hieß es in der „Times“.
Wer auch immer es wird: Die konservative Fraktion will bis zum 31. Oktober einen neuen britischen Premierminister ins Amt gehoben haben, wie Graham Brady, der Vorsitzende des mächtigen 1922-Komitees der Konservativen Fraktion mitteilte. "Wir sind uns sehr bewusst über die Notwendigkeit im Sinne des nationalen Interesses, dies sehr schnell und klar zu regeln", sagte Brady. Im Sommer hat sich die Findung eines Nachfolgers des skandalgeplagten Ex-Premiers Boris Johnson wochenlang hingezogen.
Oppositionschef Keir Starmer von der Labour-Partei forderte eine sofortige Neuwahl. Truss war bereits ohne eigenes Mandat ins Amt gekommen, nachdem sie im vergangenen Monat den skandalumwitterten Boris Johnson abgelöst hatte. Auch die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon forderte eine Parlamentswahl. "Eine Neuwahl ist nun ein demokratischer Imperativ", schrieb die Chefin der Schottischen Nationalpartei SNP gestern auf Twitter.
Truss stand massiv unter Druck, seit sie mit geplanten Steuererleichterungen ein Finanzchaos ausgelöst hatte und später eine Kehrtwende hinlegen musste. Erst am vergangenen Freitag hatte Truss ihren Finanzminister Kwasi Kwarteng entlassen und durch den früheren Außenminister Jeremy Hunt ersetzt. Hunt machte am Montag fast alle Bestandteile ihrer erst Ende September verkündeten Steuerpolitik wieder rückgängig. Er kündigte an, die eigentlich für zwei Jahre vorgesehene Energiepreisdeckelung auf sechs Monate zu beschränken.
Am Mittwoch beschleunigte das Ausscheiden von Innenministerin Suella Braverman den Verfall der Regierung. Zudem kam es im Parlament zu tumulthaften Szenen. Teilweise sollen konservative Abgeordnete eingeschüchtert und bedrängt worden sein, damit sie für die Regierung abstimmen. Viele Beobachter bezeichneten die Szenen als nie da gewesen. Der Labour-Abgeordnete Chris Bryant sagte der BBC, konservative Kollegen hätten an seiner Schulter geweint.
Rund 24 Stunden vor ihrem Rücktritt hatte Truss bei der Fragestunde im britischen Unterhaus beteuert, nicht aufgeben zu wollen und "eine Kämpferin" zu sein. Nun wies sie zwar auf die schwierigen ökonomischen Zeiten und die politische Instabilität auf dem ganzen Kontinent hin, räumte aber auch ein, unter den aktuellen Bedingungen ihre Vision des radikalen Wirtschaftswachstums nicht mehr umsetzen zu können.
Kürzeste Amtszeit
London (dpa) - Sollte die konservative Tory-Fraktion wie angekündigt bis Ende Oktober eine Nachfolge bestimmen, so wäre die britische Premierministerin Liz Truss mit höchstens 55 Tagen die Regierungschefin mit der kürzesten Amtszeit gewesen. Diese wäre dann zwei Monate kürzer als die des bisherigen Rekordhalters aus dem 19. Jahrhundert.
Der Tory-Politiker George Canning regierte vor seinem Tod am 8. August 1827 genau 120 Tage. Er starb an einer Lungenentzündung. Auf der Internetseite der britischen Regierung heißt es über Canning: „Er wird von einigen als verlorener Anführer gesehen, mit vielen Spekulationen darüber, was passiert wäre, wenn er gelebt hätte“.
Im 20. Jahrhundert war bisher am kürzesten Andrew Bonar Law im Amt. Nach nur 209 Tagen trat der Konservative aus Gesundheitsgründen im Mai 1923 zurück und starb ein halbes Jahr später an Kehlkopfkrebs.
China geht auf Distanz
Peking (dpa) - Chinas Rückendeckung für Russland nach dem Einmarsch in die Ukraine hat Risse bekommen. Die Führung in Peking steckt im Dilemma: Die Gegnerschaft gegen die USA eint beide Länder - aber je länger der Konflikt dauert, desto stiller wird die Unterstützung für Moskau. Kritische Stimmen werden lauter. "Russlands Verhalten bei Beginn und Durchführung des Krieges beweist, dass sein militärisches Abenteuer rücksichtslos ist und seine konventionellen Streitkräfte schwach sind", sagt etwa der Professor für internationale Beziehungen, Shi Yinhong, von der Volksuniversität in Peking, der Deutschen Presse-Agentur.
Wichtig ist in China oft auch, was nicht gesagt wird: So erwähnten führende Außenpolitiker auf einer Pressekonferenz auf dem Kongress der Kommunistischen Partei die eigentlich "grenzenlose Freundschaft" mit Russland mit keinem Wort. Auch ist es üblich, dass ein russischer Journalist anfangs die zweite oder dritte Frage zur Partnerschaft mit Moskau stellen darf. Diesmal nicht.
Russlands Präsident Wladimir Putin hatte im Oktober bei einem Treffen mit Staats- und Parteichef Xi Jinping schon "Sorgen und Fragen" auf chinesischer Seite anerkannt - wissend, dass er Peking einiges abverlangt. Mit den Rückschlägen der russischen Streitkräfte auf dem Schlachtfeld habe sich Chinas Position "schnell auf eine neue Stufe entwickelt", glaubt Professor Shi Yinhong. Die Annexion der besetzten Gebiete in der Ukraine nach den Scheinreferenden habe die Unterstützung offenbar weiter schwinden lassen.
Wenn Olaf Scholz am 4. November zu seinem ersten Besuch als Kanzler in Peking erwartet wird, wird der Ukraine-Krieg eine wichtige Rolle spielen. Aber auch die forsche Außenpolitik Chinas, die mit ihrem propagierten "Kampfgeist" zunehmend auf Gegenwind stößt.
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