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Licht und Schatten der argentinischen Wirtschaft

Von Juan E. Alemann

Die argentinische Wirtschaft befindet sich in einer tiefen Krise. Die Wirtschaftsleistung lag gemäß dem EMAE-Index des INDEC im Dezember um 10% unter dem gleichen Vorjahresmonat. Doch wenn man den Jahresdurchschnitt nimmt, dann ist die Abnahme viel höher. In drei Jahren ist das Bruttoinlandsprodukt um 14,2% gefallen, und pro Einwohner sogar um 16,7%. Seit 2011 verzeichnet die Wirtschaft Schwankungen, aber per Saldo kein Wachstum. Kein Wunder, dass die Armut jetzt auf etwa 45% der Bevölkerung geschätzt wird, und die Arbeitslosigkeit (richtig berechnet) über 25% der aktiven Bevölkerung ausmacht. Und was ebenfalls kein Wunder ist, ist dass unter diesen Umständen die persönliche Sicherheit stark abgenommen und die Kriminalität einen Höhepunkt erreicht hat.

Für dieses Jahr ist eine Erholung vorgesehen, die private Ökonomen auf 5% bis 6% berechnen. Es wird davon ausgegangen, dass sich die Wirtschaft zunehmend normalisiert, einmal, weil man es besser versteht, mit der Pandemie umzugehen und extreme Maßnahmen vermeidet. Und dann auch weil zunehmend geimpft wird. Wenn die Hälfte der Bevölkerung geimpft wird, dann nehmen die Ansteckungen und die Todesfälle viel stärker ab, eventuell um über zwei Drittel, weil die Impfung die aktivsten Ansteckungsorte ausschließt und besonders ältere Jahrgänge umfasst.

Allein, es kommen dieses Jahr noch weitere positive Aspekte hinzu. Der internationale Preis für Sojabohne ist von um die u$s 350 auf über u$s 500 pro Tonne gestiegen, ebenfalls, wenn auch weniger, der von Mais. Auch Sonnenblume, Weizen und andere Arten haben viel bessere Preise. Es wird damit gerechnet, dass dies einen zusätzlichen Exporterlös von über u$s 10 Mrd. schafft, der das kritische Zahlungsbilanzproblem entschärft.

Diese hohen Preise sollten die Landwirte anregen, dieses Jahr mehr zu säen und intensiver zu düngen. Wenn die Wetterbedingungen normal sind, kann man somit eine neue Rekordernte erwarten, von über 160 Mio. Tonnen, die den Rekord von 145 Mio. Tonnen übertrifft, der vor drei Jahren erreicht wurde. Jedes Jahr schreitet der technologische Fortschritt in der Landwirtschaft weiter voran, was zu höheren Erträgen pro Hektar beiträgt. Höhere Preise führen auch zur Ausdehnung der bebauten Fläche auf Grenzgebiete, in den es weniger regnet und die Erträge niedriger sind.

Die Gefahr, die jetzt auftritt, ist die, dass die Regierung einen Teil der zusätzlichen Einnahmen, die bei Getreide und Ölsaaten entstehen, durch Exportsteuern abschöpfen will. Da die Staatsfinanzen ein untragbares Defizit aufweisen, ist die Versuchung groß, zu dieser einfachen und sicheren Einnahmequelle zu greifen. Mit höheren Exportzöllen bleiben die Inlandspreise für Getreide und Ölsaaten, und somit auch für Mehl und Speiseöl, und auch für Futtermittel für Geflügel und Schweine niedriger, was sich auf die Nahrungsmittelpreise auswirkt, die der Regierung eine besondere Sorge bereiten. Es wäre jedoch gesamtwirtschaftlich ein großer Fehler, auf die Möglichkeit zu verzichten, einen Sprung bei der Produktion und dem Export von Getreide und Ölsaaten zu erreichen, der auf hohen Preisen für landwirtschaftliche Produkte beruht.

Als positives Zeichen ist jetzt hinzugekommen, dass bei der jüngsten Zusammenkunft der Staaten, die die G-20 bilden, die Vertreterin der Vereinigten Staaten, Janet Yellen, die Initiative vorbrachte, das Kapital des Internationalen Währungsfonds zu erhöhen. Das wurde von den anderen Mitgliedern im Prinzip gutgeheißen, obwohl noch die Zustimmung der Regierungen fehlt. Der IWF würde dann zusätzliche Ziehungsrechte ausgeben, und angeblich würden u$s 3 bis u$s 4 Mrd. auf Argentinien entfallen. Das löst das argentinische Problem mit der Umschuldung gegenüber dem IWF zwar nicht, schafft jedoch eine unmittelbare Erleichterung. Die großen Staaten wollen die weltweite Liquidität, die sie im Rahmen der Pandemie geschaffen haben, weiterführen, wenn auch milder, und das ist eine günstige Voraussetzung für Argentinien.

Hinzu kommt noch ein wenig beachteter Faktor. Der Journalist Jorge Castro, der sich intensiv mit der Wirtschaftsentwicklung der USA und China befasst, weist in einem jüngsten Artikel in der Zeitung “Clarín” darauf hin, dass die Wirtschaft der genannten Länder nach der Pandemie einen außerordentlichen Aufschwung erleben werden, der in einer BIP-Zunahme von 9% in einem Jahr zum Ausdruck kommen werde. Er stützt diese These auf den phänomenalen Impuls, den die technologische Revolution dank Covid-19 erhalten hat, der die Produktivität (Castro dixit) um ca. 30% erhöht habe. Fernarbeit, Handel über Internet und Nutzung der Möglichkeiten, die die Computertechnologie und das Internet bieten, haben der Wirtschaft einen phänomenalen Schub gegeben.

Diese Entwicklung hat auch in Argentinien stattgefunden, wo sehr viele Menschen ein besonderes Talent für die Nutzung dieser Technologie aufweisen. Argentinische Unternehmen, die auf diesem Gebiet tätig sind, wie Globant, sind schon auf die große Welt übergegangen. Die Pandemie hinterlässt somit auch hier einen Produktivitätssprung, der sich auf Computer, Internet und alles was dazugehört stützt. Aber darüber hinaus profitiert Argentinien auch vom Aufschwung der USA, China u.a. Staaten, der auch in einer Importzunahme dieser Länder zum Ausdruck kommt, an der sich Argentinien beteiligen kann. Die hohen Preise für Getreide und Ölsaaten, die gestiegene Nachfrage nach Rindfleisch und Bergbauprodukten, sind schon ein Ausdruck dieser Erholung der goßen Staaten.

Die günstigen Umstände, die wir erwähnt haben, reichen jedoch nicht entfernt aus, um die tiefe Krise zu überwinden, in der sich Argentinien befindet. Aber sie erleichtern die Lösung. An erster Stelle wird dabei das Zahlungsbilanzproblem entschärft, und an zweiter dürfte der IWF bei seinen Forderungen weniger streng sein. Aber die Erhöhung der Tarife öffentlicher Dienste, die die Regierung schon eingeleitet hat, verbleibt, und bei der Verringerung der Staatsausgaben wird auch viel geschehen müssen. Bisher hat die Regierung eine Eindämmung der Ausgaben durch eine drastische Verringerung des Realeinkommens von Staatsangestellten und Pensionären erreicht, womit die Ausgaben des Bundesstaates im Januar (ohne Zinsen) nur 22% über dem gleichen Vorjahresmonat lagen, also real um über 10% gefallen sind. Solange die Umschuldung mit dem IWF nicht abgeschlossen ist, stehen allerlei bedeutende Investitionsinitiativen still. Das weiß auch Minister Guzmán, der sich deshalb bemüht, das Abkommen so bald wie möglich abzuschließen. Allein die vorgesehenen chinesischen Investitionen und Kredite für Lieferungen von Eisenbahnmaterial u.a. Zwecke, würden der Wirtschaft einen weiteren Impuls verleihen.

Am meisten macht die Senkung der Inflation der Regierung zu schaffen. So wie sich die Preise gegenwärtig entwickeln, wird die Inflation im Jahr 2021 nicht unter 50% liegen. Zu den normalen Preiserhöhungen bei Lebensmitteln u.a. Waren des täglichen Konsums der Haushalte, kommen jetzt noch allgemeine Erhöhungen bei öffentlichen Diensten und Brennstoffen hinzu. Der Gleichung geht nur mit einer Verringerung des Reallohnes, der realen Pensionen und des realen Einkommens der Bevölkerung im Allgemeinen auf. Das bedeutet, dass die Regierung ihre Haltung gegenüber den Gewerkschaften, besonders den aggressiven, wie die der Lastwagenfahrer, verhärten muss. Was u.a. auch bedeutet, dass sie die Reform des Arbeitsrechts in Angriff nehmen muss, auch wenn sich die Gewerkschafter widersetzten. Angenommen, die Regierung überzeugt die Gewerkschaften, sich an das Ziel einer Lohnzulage von 30% im ganzen Jahr zu halten, dann muss die Inflation höher sein, und den Verlust müssen die Gewerkschaften eben schlucken. Das ist politisch nicht einfach, entspricht jedoch der Lage eines verarmten Landes.

Die Inflation muss in einer ersten Etappe auf etwa 20% im Jahr sinken. Das klingt im internationalen Vergleich zwar als untragbar, ist jedoch für argentinische Verhältnisse normal, was bedeutet, dass die Wirtschaftssubjekte verstehen, mit dieser Inflation umzugehen. Erst wenn dies erreicht wird, kann man eine einstellige Jahresinflation zum Ziel aufstellen. Die Regierung will die Inflation jetzt vornehmlich durch Preiskontrollen bändigen, mit denen jedoch nicht viel erreicht wird. Sie muss sich auf die Staatsausgaben und die Löhne konzentrieren, und das ist politisch nicht einfach.


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