Eine unendliche Geschichte
Weinstadt / Deutschland
Das Wort „Sozialversicherungsabkommen“ besteht aus 27 Buchstaben. Ein typisches Beispiel für das, was in der Schulgrammatik ein zusammengesetztes Hauptwort heißt. Eine Eigenschaft der deutschen Sprache, die in anderen Sprachen so nicht existiert. Auf Spanisch heißt so etwas “Convenio de Reciprocidad en Materia de Seguridad social”. Dieser Titel besteht aus 8 Wörtern mit insgesamt 48 Buchstaben und 7 Leerstellen. Simultanübersetzer können ein Leid darüber singen, wie schwer es ist, die spanische Übersetzung für einen solchen Begriff in derselben Zeit auszusprechen, in der er in der deutschen Sprache vorgetragen wird.
Noch viel, aber viel länger als der Begriff - egal in welcher Sprache - ist die Historie hinter dem Nicht-Zustandekommen eines „Sozialversicherungsabkommens“ zwischen der Republik Argentinien und der Bundesrepublik Deutschland. Aber: Wozu taugt überhaupt so ein Abkommen? Es ist wichtig für diejenigen Menschen, deren (Berufs-) Leben sich auf die beiden Länder aufteilt. Nur wenn es so ein Abkommen gibt, werden die Arbeitszeiten im anderen Land z.B. auf die Rentenzeiten angerechnet. Und wenn das mangels „Sozialversicherungsabkommen“ nicht erfolgt, kann man u.U. nicht in Rente gehen: weder in Deutschland noch in Argentinien. Dazu sollte man wissen, dass schätzungsweise 1.000.000 Nachkommen von Deutschen in Argentinien leben, in Deutschland wiederum rund 15.000 Argentinier leben. Fälle von Menschen, die dringend so ein „Sozialversicherungsabkommen“ bräuchten, sind mehr als genug bekannt.
Argentinien hat Sozialversicherungsabkommen mit Ländern wie Spanien, Italien, Brasilien, USA etc. Deutschland mit den EU-Ländern, Brasilien oder Chile. Aber nicht mit Argentinien. Und es war nicht die Politik, sondern die Betroffenen, die aktiv geworden sind: Anträge wurden gestellt, Petitionen beim Bundestag eingereicht, etc. etc. Das begann vor über 20 Jahren. Leider hat das die Regierenden wenig interessiert, es gab andere Prioritäten. Bis 2011 endlich Bewegung in die Sache kam. Es wurde eine Verhandlungsrunde zusammengestellt, Vertreter vom „Ministerio de Trabajo, Empleo y Seguridad Social“ und vom „Bundesministerium für Arbeit und Soziales“ tagten im Wechsel zwischen Argentinien und Deutschland. Ein Vertrag war praktisch unterschriftsreif, und sehr groß war die Enttäuschung bei den Betroffenen, als 2014 - kurz vor der Unterschrift - plötzlich die Verhandlungen unterbrochen wurden: Die deutsche Seite forderte eine „Direktzahlung“, die argentinische Seite machte einen Rückzieher.
Da hilft die Erkenntnis auch nicht weiter, dass es bei der Direktzahlung um Bankkosten von jährlich 84.000 € handelt. Das ist nämlich schätzungsweise weniger als die Reisekosten der Delegationen, die den Vertrag ausgehandelt haben. Und seither hat sich nichts mehr getan. Da hat es auch nicht geholfen, dass 2016 - anlässlich des Besuchs des argentinischen Präsidenten Mauricio Macri in Berlin - eine Absichtserklärung unterzeichnet wurde: Die Verhandlungen sollten wieder aufgenommen werden. Aber Papier ist ja bekanntermaßen geduldig, und die, die die Absichtserklärung unterschrieben haben, sehen sich nicht bemüßigt, sich um das Thema zu kümmern. In den Ministerien gibt es andere Prioritäten. Vielleicht erreicht diese Nachricht auch einen Verantwortlichen, der die Dringlichkeit erkennt und bereit ist, das Heft in die Hand zu nehmen, den Vertrag zum Abschluss zu bringen und einen Schlussstrich unter einen unhaltbaren Zustand zu ziehen.
Das neue Jahr 2021 startet mit neuen Vorsätzen und einem erneuten Versuch. Mit der Unterstützung von Persönlichkeiten wie Frau Cornelia Schmidt-Liermann (Mitglied im CARI, der Argentinische Rat für Internationale Beziehungen) und Abgesandten beider Botschaften in Berlin und Buenos Aires. Die Betroffenen hoffen, dass es endlich klappt!
Federico Buehler
Argentinischer Kreis Baden-Württemberg
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