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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Kunst ohne Barrieren

Im Gespräch mit „Admirarte“-Gründerin Luciana Zapata

Von Catharina Luisa Deege


Luciana Zapata
Sie übersetzt Kunstwerke für Menschen ohne Augenlicht: Luciana Zapata. (Foto: Hernan Gunas)

Buenos Aires (AT) - „Ihr Mund simuliert ein fast unmerkbares Lächeln. Durch die Schatten, die durch die dünnen Farbschichten entstehen, wird mehr Volumen in Richtung der Mundwinkel projiziert.“ Um welches berühmte Lächeln könnte es sich hier bloß handeln? Richtig, um kein Geringeres als das der Mona Lisa - dem weltberühmten Ölgemälde von Leonardo Da Vinci.

Luciana Zapata, ausgebildete Sprecherin und studierte Kommunikationswissenschaftlerin, hat es sich zur Aufgabe gemacht, Kunstwerke wie diese für Menschen mit Sehschwäche oder -behinderung zu beschreiben. Das 2021 initiierte Projekt nennt sich „Admirarte“. „Während meiner Ausbildung stellte ich mir vor, etwa für das Radio, im Fernsehen oder in den Printmedien zu arbeiten.“ Nachdem sie mehrere beruflich Erfahrungen in den Bereichen sammelte, stieß sie auf eine frustrierende Frage: „Ich habe mir gesagt: ‚Was kann ich hier beisteuern?‘“ Als Frau hatte sie es nicht leicht in dem männerdominierten Feld und politische Meinungsverschiedenheiten ließen sie oft an Grenzen stoßen.

Schließlich fand sie einen Job bei einer Produktionsfirma für barrierefreie Inhalte, die Audiobeschreibungen für verschiedene Fernsehsender erstellt, damit Sehbehinderte den Programmen folgen können. Zapata arbeitet auch heute noch dort, beschreibt live unter anderem Kochprogramme und Seifenopern. Diese Arbeit erfüllte sie schon mehr, sie spürt einen Sinn hinter ihren Worten, doch: Es muss eben schnell gehen im Live-Fernsehen. Genug Zeit um alles detailgetreu darzulegen gibt es schlichtweg nicht.

„Ich konsumiere ganz viel Kunst, ich mag Kino, Theater, ich gehe auf Konzerte. Ich mag es zum Beispiel, Musikkonzerte ganz genau wahrzunehmen: ‚Ah, das Schlagzeug spielt laut, der Bass spielt leise‘... Ich analysiere gerne alles“, erklärt Zapata im Interview mit dem Argentinischen Tageblatt. Eine Gesamtsituation in aller Ruhe zu umschreiben reizte die aus Córdoba stammende Argentinierin und brachte sie auf die Idee, Gemälde zu analysieren - und zwar für diejenigen, die von der Kunstsparte komplett ausgeschlossen sind: Blinde und Personen, die im Laufe ihres Lebens das Augenlicht verloren haben.

Was als Einfall in der Quarantäne begann, wurde zu einem Projekt mit mehreren freiwilligen Mitarbeitern, die etwa für den Social-Media-Auftritt, Videoschnitt und die Bearbeitung der Drehbücher zuständig sind. Auf der Website www.admirarte.com.ar und dem YouTube-Kanal @Admirarte hat man Zugriff auf Audiobeschreibungen von sieben verschiedenen Kunstwerken auf Spanisch. Diese wurden sorgfältig ausgesucht, die Auswahl ist divers. Es handelt sich um berühmte Werke, unter ihnen: „Die Beständigkeit der Erinnerung“ von Salvador Dalí, „Die Geburt der Venus“ von Sandro Botticelli und „Der Sohn des Mannes“ von René Magritte.

Zu letzterem Werk erzählt Luciana Zapata eine amüsante Anekdote. Nach der Veröffentlichung des Videos zu dem surrealistischen Kunstwerk erhielt sie eine Sprachnachricht von einer von Geburt an blinden Person. „Er war total wütend“, erinnert sich die Journalistin. „Ich finde es absurd, lächerlich - wie kann man nur einen grünen Apfel als Gesicht malen?“, habe er sich bei ihr emotional entladen. Zapata stoppte ihn und sagte: „Ist dir klar, dass du heute die Wahl hast zu sagen, was dir an der Kunst gefällt und was nicht?“

Nach der Rückmeldung habe sie geweint; vor Freude. „Das ist genau, was ich will: ein neues Interesse säen. Zugang zu etwas Neuem schaffen, und ich glaube, dass gerade Kunst etwas mit einem macht, einen verwandelt. Es gibt jemand anderen, der etwas zum Ausdruck bringt, mit dem ich mich vielleicht identifizieren kann oder auch nicht“, erklärt Zapata. In dieser Welt würde so viel über Gemälde und Kunst im Allgemeinen geredet, dass Blinde häufig außen vor blieben.

Der Sohn des Mannes
„Der Sohn des Mannes“ von René Magritte.

Luciana Zapatas Wunsch ist es, eines Tages von „Admirarte“ zu leben. Das YouTube-Video der Mona-Lisa-Beschreibung wurde schon über 5000 mal aufgerufen. Rückmeldungen erhält sie aus ganz Lateinamerika und Teilen Europas. Die Arbeit ist jedoch auch zeitaufwändig, beim Verfassen der Drehbücher zieht sie Blinde und Menschen mit Sehschwäche zu Rate. Jedes einzelne Wort wird hinterfragt und sorgfältig recherchiert. Für das Drehbuch der Mona Lisa habe sie zwei Monate gebraucht, an einer Audiodeskription zu Pablo Picassos „Guernica“ sitzt sie bereits seit Dezember vergangenen Jahres.

Ihre große Vision für „Admirarte“ ist auch die Beschreibung von Werken noch unbekannter lokaler Künstler und Künstlerinnen. „Sie haben uns viel über die verschiedenen Regionen zu erzählen. Denn durch Kultur lernt man auch Zivilisationen, die Gefühle und Bräuche bestimmter Orte kennen“, so Zapata. Das habe jedoch noch Zeit. Sie sei froh damit, dass heute Menschen mit Sehbehinderung über den kuriosen Apfel in Magrittes Gemälde, Dalís zerlaufene Uhr und Da Vincis schmunzelnde Mona Lisa urteilen können und sagt: „Wenn dir Kunst nicht gefällt, kannst du auch mit dem Kino oder etwas anderem weitermachen. Aber zumindest hast du die Möglichkeit, zu wählen.“


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