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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Kreuze für 100.000 Corona-Tote

Brasilien zwischen Ignoranz und Angst

Copacabana
Die NGO "Rio de Paz" hat zum Gedenken der Opfer der Covid-19-Pandemie 1000 rote Luftballons und 100 Kreuze an der Copacabana platziert. (Foto: dpa)

Rio de Janeiro (dpa) - Marco Antonio do Nascimento ist an den Strand von Copacabana gekommen. Mit seinem Sohn Lucas Cruz steht er zwischen 100 schwarzen Kreuzen im Sand, die an die Kreuze auf einem Friedhof erinnern, auf dem Opfer der Corona-Pandemie in Rio de Janeiro begraben wurden. Die beiden Männer halten eine brasilianische Fahne, während 1000 rote Luftballons zu Ehren der Opfer des Coronavirus aufsteigen. Das ist am Morgen, nur wenige Stunden später - am Samstagabend - hat Brasilien die Marke von 100.000 Toten im Zusammenhang mit der Lungenkrankheit Covid-19 durchbrochen.

Und wieder, wie bei der ersten Aktion von "Rio de Paz" im Gedenken an die Corona-Opfer und aus Protest gegen das Krisenmanagement der Regierung, pöbelt ein vorbeigehender Anhänger des rechten Präsidenten Jair Bolsonaro Teilnehmer an. "Fake News" nennt er die Zahl der Corona-Toten. Nascimento, der ein Kind im Zusammenhang mit Covid-19 verloren hat, weist ihn zurecht. "Sag' nicht, dass das "Fake News" sind", fordert er den Passanten auf - und zeigt ihm ein Foto seines Sohnes Hugo, gestorben im Alter von 25 Jahren.

Brasilien ist das von der Corona-Pandemie am zweitstärksten betroffene Land nach den USA, hat inzwischen 3.012.412 Infizierte und 100.477 Tote. "Lassen Sie uns das Leben berühren", sagte Bolsonaro, während Friedhofsarbeiter in Schutzkleidung Särge mit Corona-Toten trugen. Bolsonaro war selbst infiziert und hatte Corona als "kleine Grippe" verharmlost. Inzwischen sind seine Umfragewerte gut wie lange nicht.

"Die hohe Opferzahl in Brasilien führt nicht - wie man von außen erwarten würde - zu einer hohen Ablehnung", sagt der deutsch- brasilianische Politikwissenschaftler Oliver Stuenkel von der Fundação Getulio Vargas in São Paulo der Deutschen Presse-Agentur. Ein großer Teil der Bevölkerung stelle nicht den Zusammenhang her, dass ihr Land - das 24 Mal so groß ist wie Deutschland - im internationalen Vergleich schlecht dasteht. Brasilien ist sehr mit sich selbst beschäftigt.

Zuletzt ist die Zustimmung in Umfragen sogar auf 45 Prozent gestiegen. Bolsonaro hat es geschafft, dass viele Brasilianer glauben, 100.000 Corona-Tote, eine tiefe Wirtschaftskrise und die Zerstörung des Regenwaldes hätten nichts mit dem Präsidenten zu tun.

Einige wenige soziale Bewegungen und Gewerkschaften - wie am Freitag vor der Kathedrale in São Paulo - demonstrieren noch gegen ihn. Mit Kreuzen, auf denen "100 MIL MORTES - FORA BOLSONARO" (100 000 Todesfälle - Bolsonaro raus) steht, oder einem Banner mit den Worten "100 MIL VIDAS PERDIDAS" (100.000 verlorene Leben).

Die einzige gesellschaftliche Regung, die zählt, sei wie viele Leute auf die Straße gehen, sagt Politikwissenschaftler Stuenkel. Zwischenzeitlich hatten Tausende Brasilianer ihrem Unmut über den laxen Umgang des Präsidenten mit dem Coronavirus Luft gemacht; eine neue Demokratiebewegung, angeführt von Fußballfans, bildete sich. Aber viele, die Bolsonaro kritisch sehen, haben Angst, sich bei Demonstrationen anzustecken und bleiben zu Hause. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Leute bei 100.000 Toten sagen: "Oh Gott!"", sagt Stuenkel. Und es noch einmal zu einem Moment der Mobilisierung komme.

Ein persönliches Schicksal berührt ohnehin mehr als Zahlen, besonders in einem Land, in dem die Familie über allem steht. Doch selbst das gilt im Fall von manchen Corona-Infizierten mit heftigen Symptomen nicht, wenn Familienangehörige Bolsonaro-Anhänger sind.

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