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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Kreative Buchhaltung statt echte Ausgabensenkung

Von Juan E. Alemann

Melconian
Carlos Melconian.

Der Kernpunkt der Überwindung der kritischen Wirtschaftslage und der Schaffung einer Grundlage für wirtschaftliches Wachstum besteht in der Senkung der Staatsausgaben. Einmal gibt es keine Möglichkeit, diese überhöhten Ausgaben, die dieses Jahr stark über der Inflation gestiegen sind, durch Einnahmen aus Steuern im weiteren Sinn zu decken, und dann kann das Defizit, das dabei entsteht, nur zum geringsten Teil durch Neuverschuldung und Geldschöpfung gedeckt werden.

Immer wieder wird auf die Notwendigkeit eines Wirtschaftsplanes hingewiesen, den sich die verschiedene Befürworter gemäß ihrem Wunschdenken vorstellen, wobei im Grunde kaum einer weiß, was dieser Plan beinhalten müsste. Jetzt hat angeblich der Ökonom Carlos Melconian, der zum Präsidenten der Stiftung Fundación Mediterranea ernannt wurde (aus der Domingo Cavallo als Wirtschaftsminister u.a. als seine Staatssekretäre hervorgingen) die Arbeit aufgenommen, ein Programm für die nächste Regierung auszuarbeiten. Es ist auf alle Fälle sehr positiv, dass derjenige, der am 1. Dezember 2023 die Regierung übernimmt, und auch seine engsten Mitarbeiter, von einem konkreten Programm ausgehen, mit vollem Bewusstsein der Probleme, die sie bewältigen müssen.

Allein, die Grundlage jedes Programmes liegt in der Senkung der Staatsausgaben. Dieses Problem besteht seit Jahrzehnten schon. Nur Menem hat durch umfassende Privatisierungen erreicht, dass die Staatsausgaben nicht ausufern. Der Umfang der Senkung, die jetzt notwendig ist, macht auch politisch schwierige Entscheidungen notwendig, wie die Schließung des Kohlenbergwerkes von Río Turbio, das überhaupt keinen Sinn hat. Beim Treffen der G7 Staaten wurde beschlossen kurzfristig aus der Kohle auszusteigen. Dem sollte sich Argentinien jetzt anschließen.

Nicolás Dujovne, ein sehr solider Ökonom, der unter Macri Wirtschaftsminister war, hat in einem Artikel in der Zeitung La Nación (28.5.22) auf Fortschritte hingewiesen, die unter der Macri-Regierung bezüglich Ausgabensenkung erreicht wurden, die die gegenwärtige Regierung rückgängig gemacht hat. Allgemein besteht der Eindruck, dass Macri wenig auf diesem Gebiet getan hat. Dujovne zeigt, dass es hingegen sehr viel war, aber weitergeführt werden musste, um eine effektive Wirkung zu haben.

Dujovne weist als erstes darauf hin, dass die Ausgaben des Bundesstaates, ohne Zinsen, jetzt real (also ohne die Inflation zu berücksichtigen) 87% über 2019 liegen, und allein im April 2022 real um 25% über April 2019 liegen. Die Hauptursache der Zunahme liegt in den Subventionen für öffentliche Dienste und Staatsunternehmen, die von 2015 bis 2019 von (umgerechnet) u$s 19,5 Mrd., im Jahr 2019 auf u$s 1,7 Mrd. zurückgegangen waren. Jetzt liegen die Subventionen jährlich um die u$s 4 Mrd. Der größte Teil davon entfällt auf Strom, gefolgt vom öffentlichem Personentransport. Die konsolidierten öffentlichen Ausgaben (Bundesstaat, Provinzen und Gemeinden) seien unter der Macri-Regierung von 42% auf 35% des Bruttoinlandsproduktes gesenkt worden, was erlaubt habe, ein primäres Defizit von 4% des BIP (Jahr 2015) fast ganz abzuschaffen. Dujovne erinnert beiläufig auch daran, dass die Regierung von Alberto Fernández die Ausschreibung für den Bau einer Gasleitung annulliert hat, die die angepeilte Zunahme der Gasförderung von Vaca Muerta in die Konsumzentren befördern sollte. Diese Gasleitung wurde erst vor kurzem angekündigt, und die Legung der Röhren ist noch nicht zugeteilt worden. Der hohe Gasimport, zu horrenden Preisen, der jetzt die Staatsfinanzen und auch die Zahlungsbilanz belastet, hätte vermieden werden können, wenn die Gasleitung schon 2020 in Angriff genommen worden wäre, wie es vorgesehen war.

Die Regierung geht jetzt nur halbherzig an das Problem der Staatsausgaben heran. Nachdem die Subventionen für Strom dieses Jahr (gemäß Berechnungen privater Ökonomen) um ca. 166% über dem Vorjahr liegen, sollen sie schließlich verringert werden, was jedoch erst im Juli voll in Kraft tritt. Dabei ist die Staffelung der Tarife gemäß dem (angenommenen ) Einkommen der Familien immer noch nicht klar, und wird hinausgeschoben. Die Initiative, einfach bestimmte Stadtteile von Buenos Aires und auch Teile der Vororte, in denen angeblich wohlhabende Familien wohnen, von der Subvention ganz oder zum größten Teil auszuschließen, stößt in der Praxis auf unlösbare Probleme. In der Tat wohnen in diesen Bezirken auch Familien mit niedrigem Einkommen, und ebenfalls wohnen reiche Leute auch woanders. Auch vom legalen Standpunkt lässt sich dies beanstanden, da der elektrische Strom keine Steuer ist. Wenn man somit einen Aufschlag auf einen allgemeinen Tarif einführen will, der eine Steuer wäre, dann müsste dies vom Parlament genehmigt werden, und würde dabei auf den Widerstand der Opposition stoßen, die in der Deputiertenkammer die Mehrheit hat. Aber auch die allgemeine Erhöhung, bei der von 40% die Rede war, soll schließlich etwa die Hälfte betragen und nicht entfernt die Inflation aufholen. Man hat den Eindruck, dass auch Guzmán den Ernst der Lage nicht voll erfasst hat.

Abgesehen vom Problem der Tarife öffentlicher Dienste, hat die Regierung gewaltige Ausgabenerhöhungen verfügt. Die Subvention für arme Menschen, die besonders Schwarzarbeiter umfasst, soll 0,5% des BIP kosten. Dass ausgerechnet diejenigen subventioniert werden, die schwarz arbeiten, ist wirklich merkwürdig, wobei man sich auch fragt, wie man sie statistisch erfasst. Diese Subvention sollte vernünftigerweise für die Schwarzarbeiter bestimmt sein, die auf eine legale Arbeit übergehen, Das Signal, dass die Regierung mit dieser Subvention gibt, ist verheerend. Denn es bedeutet, dass Schwarzarbeit in Ordnung ist und sogar belohnt wird.

Abgesehen davon sind auch im staatlichen Bereich Lohnerhöhungen gewährt worden, die ein höheres Defizit beinhalten. Von Verringerung der staatlichen Angestellten ist nicht die Rede, auch nicht von einer Einfrierung öffentlicher Stellen, die durch Pensionierung, Tod oder Rücktritt frei werden. Und bei Staatsinvestitionen weisen Regierungssprecher stolz auf eine starke Zunahme hin, die keine Finanzierung hat. Am Schluss wird dann der Bau der einzelnen Objekte verlangsamt, was die Kosten auch real erhöht.

Wirtschaftsminister Guzmán hat das primäre Defizit im ersten Quartal 2022 unter der mit dem Internationalen Währungsfonds verpflichteten Grenze gehalten, aber nur mit kreativer Buchhaltung, indem er Einnahmen, die sich bei indexierten Staatstiteln dank Inflation ergeben, die der Staat zufällig hielt, als echte Einnahmen gebucht hat. Der IWF hat dabei angeblich ein Auge zugedrückt, aber er hat sich bestimmt nicht täuschen lassen. Im zweiten Quartal wird es jetzt nicht möglich sein die Defizitziele des Abkommens einzuhalten, auch mit kreativer Buchhaltung nicht. Die zuständigen Fondsbeamten haben die Zahlen des ersten Quartals schon begutachtet, und bei den Gesprächen mit den lokalen Fachbeamten bestimmt konkrete Kritik geübt. Die Gespräche fanden per Zoom statt. Die neue Technologie erlaubt jetzt an Fondsfachleuten, sich die Reise nach Argentinien und den Aufenthalt zu sparen. Die Gespräche dauern dabei praktisch ohne Unterbrechung an.

Der IWF war bisher gegenüber Argentinien sehr wohlwollend. Doch er kann schließlich nicht dulden, dass Argentinien seine Aufgaben nicht macht, und statt dessen auf eine Katastrophe zusteuert. Der Fonds weiß auch, dass zum Defizit, dass das Schatzamt ausweist, noch das der Zentralbank hinzukommt, die schließlich auch zum Staat gehört. Dieses Defizit macht dieses Jahr mindestens über 4% des BIP aus, wobei sich auch das Problem mit dem überhöhten Leliq-Bestand stellt, der auf Dauer unhaltbar ist. Zahlen kann weder die ZB noch das Schatzamt diese Leliq gewiss nicht, zumal dies eine so große Geldschöpfung bedeuten würde, dass eine Hyperinflation unvermeidlich wäre. Es ist vorauszusehen, dass es gelegentlich zu einer Art Bonex-Plan, wie der von 1990 kommt, in dem die Leliq durch langfristige Papiere (in Dollar oder indexiert) zwangsweise ersetzt werden.

In den nächsten Tagen soll angeblich das Gesetzesprojekt über den Staatshaushalt für 2022 per Notstandsdekret eingeführt werden. Der Kongress muss dann zustimmen oder es ablehnen, und wenn er dies nicht tut, tritt es in Kraft. Das ursprüngliche Budgetprojekt wurde in der Deputiertenkammer nicht angenommen, nachdem die Opposition gefordert hatte, dass es zunächst in einer technischen Kommission geprüft und korrigiert werde, und dies von der Regierungspartei abgelehnt wurde. Die Regierung stützt sich somit auf eine Wiederholung des Haushaltes von 2021, das jedoch allein wegen der hohen Inflation und zusätzlichen Ausgaben nichts mit den Staatsausgaben von 2022 zu tun hat. Somit greift die Regierung zu Notstandsdekreten, was in der Praxis bedeutet, dass es keine gesetzliche Restriktion für die Ausgaben gibt. Diese würde erst durch das neue Gesetz geschaffen. Dies bietet der Wirtschaftsführung die Gelegenheit, allerlei Ausgabenkürzungen in den Text einzuschleusen, die dann nicht mehr diskutiert werden. Ob Guzmán diese Gelegenheit nutzt, weiß man nicht.

Gelegentlich wird der argentinische Fall so dargestellt, dass man von dieser Regierung nichts erwarten kann und das Problem auf die nächste überträgt. Doch so lange kann man nicht warten. Denn dann kommt es schon lange vor dem Regierungswechsel zur Hyperinflation,und allgemein zu einer Lage, die das Verbleiben dieser Regierung in Frage stellt. Auch fragt man sich, wie lange der Fonds dulden wird, dass das Defizitproblem nicht ernsthaft in Angriff genommen wird. An einem gewissen Punkt heißt es dann, lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.



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