Von Juan E. Alemann
Die argentinische Wirtschaft ist im zweiten Halbjahr 2022 in eine schwierige Phase eingetreten. Im ersten Halbjahr lag der EMAE-Index (der eine Schätzung des BIP auf Grund kurzfristig verfügbarer Daten darstellt) um 6,3% über dem Vorjahr, und private Ökonomen rechnen für diese Periode mit einer interannuellen Zunahme des Bruttoinlandsproduktes von ca. 3,5%. Diese Entwicklung, die der allgemeinen Weltuntergangsstimmung krass widerspricht, flaut im 2. Halbjahr ab, mit der Gefahr eines Rückganges der Wirtschaftsleistung.
Dazu trägt besonders die Sparpolitik der Regierung bei, die sich auf die Gesamtnachfrage auswirkt. Es wurden schon viele im Haushaltsgesetz vorgesehenen Ausgaben gestrichen oder stark verringert, abgesehen davon, dass die Beträge nicht wertberichtigt werden und somit infolge der Inflation real weniger darstellen. Und dabei entsteht eine Multiplikatorwirkung, die die originäre Wirkung verstärkt. Die Kürzung der Staatsausgaben hat erst begonnen. Es muss noch viel mehr gespart werden, und daran arbeiten Vizeminister Rubinstein, Schatzsekretär Rigo u.a. Wirtschaftler, die Massa nahe stehen, intensiv. Massa gibt ihnen dabei die notwendige politische Rückendeckung.
Hinzu kommt noch die Wirkung der Produktionsstörungen, die durch die allgemeine Importkontingentierung der ZB entsteht, die extreme Knappheit bei unzähligen Produkten geschaffen hat, die Teile einer Produktionskette bilden. Dies beeinträchtigt die Produktion, und führt auch zu Preiserhöhungen wegen geringerer Offerte. Besonders schlimm ist es bei Reifen für Automobile, Lastwagen und Landmaschinen bestellt, wo die lokale Produktion durch einen aggressiven Streik gelähmt wurde, und die geringere Produktion nicht durch Importe ausgeglichen werden kann. Kfz-Fabriken können dabei bestimmte Fahrzeuge nicht verkaufen, weil die Reifen fehlen. Auch das wirkt rezessiv, wie alle Störungen des wirtschaftlichen Kreislaufs.
Gelegentlich kommt dann noch das Problem der hohen ZB-Verschuldung mit Leliq-Titeln und passiven Swaps hinzu, das wir letzte Woche eingehend erläutert haben. Eine Erneuerung der Titel, die verfallen, zu immer höheren Zinsen, wie es bisher geschah, führt zu einer Katastrophe. Hier ist ein Bonex-Plan unvermeidlich, wie der von 1990, bei dem die Banken, die diese Titel halten, dafür langfristige Staatspapiere wertberichtigt oder auf Dollar lautend , erhalten, die niedrig verzinst werden. Wenn dieses Problem nicht gelöst wird, geht die Gesamtrechnung nicht auf. Argentinien muss darauf anzielen, die finanzielle Lage zu sanieren, und zwar ganz, um wieder glaubwürdig zu sein und nicht vom Risiko eines neuen Defaults belastet zu sein.
Abgesehen davon wirkt auch die hohe Inflation rezessiv. Für ganz 2022 wird schon mit 100% und mehr gerechnet, Der Staat verdient an der Inflation, einmal weil bei der Gewinnsteuer auch inflationäre Buchgewinne erfasst werden, und viele natürliche Personen in eine höhere Stufe der progressive Skala rutschen, und dann weil die Gehälter von Staatsangestellten und auch Pensionen und Hinterbliebenenrenten hinter der Inflation zurückbleiben. Das ist unvermeidlich, um das primäre Defizit der Staatsfinanzen auf den mit dem IWF verpflichteten Betrag zu senken. Da die Regierung jedoch gleichzeitig nominelle Zunahmen zulässt oder direkt verfügt, die die vergangene Inflation ausgleichen sollen, bleibt die Inflation hoch, mit der Aussicht auf eine Zunahme, so dass schließlich doch eine reale Abnahme der genannten Einkommen stattfindet, die zu einer geringeren Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen führt und rezessiv wirkt. Dies wird jetzt durch die Tariferhöhung bei Strom, Gas, Wasser und Personentransport erhöht, die das für Konsum verfügbare Familieneinkommen verringert.
Wirtschaftsminister Massa will jetzt in den Vereinigten Staaten Dinge erreichen, die dieser rezessiven Tendenz entgegenwirken. Einmal geht es im Mittel, die der IWF im Rahmen von Krediten für Schwellenländern gewährt, dann um Kredite der Weltbank, der BID und der Andenköperschaft, und schließlich um Investitionen. Dabei ist ein Treffen mit Vertretern der großen Erdölfirmen vorgesehen, um sie für Investitionen in Vaca Muerta zu interessieren. Aber es kommen eventuell auch andere Bereiche in Frage. Massa zeigt sich stets bereit, den Unternehmen der einzelnen Branchen Sonderbedingungen zu gestehen, wie er es jetzt bei den Sojaproduzenten getan hat. Bei den Erdölunternehmen bezieht sich das an erster Stelle auf die automatische Importgenehmigung für die notwendigen Kapitalgüter, und dann um die freie Verfügbarkeit eines Teils des Exporterlöses und auch der Mittel, die nicht als Kapital, sondern als Kredit beigetragen werden.
Massa hat gute persönliche Beziehungen in der US-Regierung, die ohnehin guten Willen gegenüber Argentinien hat. Doch dies wird durch die argentinische Außenpolitik gestört, die weiter die Diktaturen von Kuba, Venezuela und Nicaragua unterstützt, die außerdem auf wirtschaftlichen Gebiet jämmerlich versagt haben. Vielleicht erreicht der realistische Pragmatiker Massa jetzt eine Abkühlung der Beziehungen zu diesen Ländern. Denn Cristina Kirchner hat durch die Aufdeckung ihrer Megakorruption im bösen Prozess über Kartellierung und Überpreise von Straßenbauten, der jetzt in die Endphase gerät, an effektiver Macht verloren. Außerdem beschäftigt dies sie so sehr, dass sie Massa tun lässt. Wenn er einigermaßen erfolgreich ist, wirkt das auch positiv für sie, weil sie schließlich Teil dieser Regierung ist.
Massa hat auch ein klares Konzept über das Problem der Staatsschuld. Er ist sich klar bewusst, dass er sichern muss, dass es nicht zu einem Default kommt. Im Gegensatz zu Guzmán, der sich selber mit der Verhandlung mit den Gläubigern befasste, überlässt Massa dies seinen Mitarbeitern und kümmert sich um die Rahmenbedingungen. Einmal geht es darum, dass die bestehenden Schulden erneuert werden. Das hat er jetzt durch die neuen sogenannten “dualen” Titeln erreicht, die gemäß internen Preisen oder Wechselkurs berichtigt werden, wobei der Inhaber wählt, welche Berichtigung er jeweils haben will. Das Problem dabei besteht darin, dass der Schuldbetrag bei noch höherer Inflation ausufert. Die Illusion, dass die Inflation die Staatsschuld verwässert, ist weg.
Dann geht es um die zusätzliche Verschuldung, die sich aus dem Staatsdefizit ergibt. Hier stellt sich ein Problem, wenn die Inflation zunimmt. Was Neuverschuldung betrifft, so hofft Massa, sie zum Teil mit Förderungskrediten zu decken. In diesen Sinn bemüht er sich als erstes schon um die baldige Auszahlung schon gewährter Kredite, die wegen lokaler Schlamperei nur in geringem Ausmaß erfolgt. Und dann will er weitere Kredite haben.
Massa dezentralisiert die Entscheidungen. Er vertraut seinen Mitarbeitern und lässt diesen einen großen Spielraum für Entscheidungen. Das hat schon dazu geführt, dass in der öffentlichen Verwaltung, vor allem was seinen Bereich betrifft, viel Bewegung eingetreten ist. Nicht nur ist sein Vizeminister Gabriel Rubinstein sehr aktiv, der ein klares Konzept über die Lage und die notwendigen Maßnahmen hat, sondern auch viele andere Mitarbeiter.
Bei der Konjunkturprognose muss man auch berücksichtigten, dass die Federal Reserve die Geldpolitik zunehmend verhärtet. In den Vereinigten Staaten wird die Inflation besonders ernst genommen. 1980, als die Jahresrate auf über10% gestiegen war, führte der damalige Fedpräsident Paul Volcker eine so restriktive Politik ein, dass die Passivzinsen der Banken auf 20% stiegen. Das warf die Weltwirtschaft zusammen und verursache eine allgemeine Rezession, auch in Argentinien. Das dürfte der jetzige Fed-Präsident nicht wiederholen, aber die Richtung ist die gleiche. Die Fed hat schon den Referenzzinssatz mehrmals erhöht, und gleichzeitig den Umfang der finanziellen Mittel verringert, mit der sie für Liquidität gesorgt hatte, was als “quantitative easing” bezeichnet wurde. In den Vereinigten Staaten ist die Wirtschaft überhitzt, mit einer Arbeitslosigkeit von nur 3,6%, was dazu geführt hat, das Restaurants einen Teil schließen, weil es kein Bedienungspersonal gibt, und Hotels ganze Stockwerke schließen, weil sie kein Personal haben, das die Zimmer reinigt und die Betten macht.
Die Inflation hat in den USA schon die Marke von 8% überschritten, und die Fed will sie auf ca. 2% jährlich zurückführen. Dann ist der Dollar auch für Haltung von Reserven im Ausland, besonders in Russland und Argentinien, nicht gefährdet. Wenn die Sparer in diesen Ländern spüren, dass der Dollar schwächelt und aus dieser Währung aussteigen, dann haben die USA ein Problem. Die restriktive Geldpolitik der USA wirkt sich indirekt auch auf Argentinien aus. Es wird schwieriger, und auf alle Fälle teurer sein, Dollarschulden im Ausland zu erneuern, und auch argentinische Exporte werden betroffen. All das hätte keine große Bedeutung, wenn die interne Konjunktur gut ginge. Aber, eben, sie schwächelt immer mehr.
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