Von Juan Alemann
Buenos Aires (AT) - Der Polizist Luis Chocobar wurde vom zuständigen Gericht der Bundeshauptstadt zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, die er jedoch nicht hinter Gittern absitzen wird. Dieses Urteil hat allgemeine Empörung hervorgerufen, da es nicht den Tatsachen entspricht und das Wohl der Verbrecher vor das der Opfer stellt. Das entspricht der Doktrin des ehemaligen Mitgliedes des Obersten Gerichtshofes, Eugenio Raul Zaffaroni.
Der Fall ist objektiv gesehen wie folgt: Der nordamerikanische Tourist Joe Wolek spazierte im Stadtteil La Boca, als er von einem Verbrecher angegriffen wurde, der ihn zwölfmal mit einem Messer stach, so dass er auf den Boden fiel und langsam verblutete. Dass er nicht sofort gestorben ist, ist ein Wunder. Der Angreifer raubte ihm seine Fotokamera, was der Zweck des Angriffs war. Dennoch ist es falsch, dass die Richter den Fall als Raub einstuften. Denn es ist klar, dass es Mord war, auch wenn der Mordversuch misslang. Denn man kann nicht auf einen Menschen mehrmals mit einem Messer stechen, wenn keine Mordabsicht besteht, oder zumindest der Tod des Opfers nicht ausgeschlossen werden kann.
Der Polizist Chocobar, der sich nicht im Dienst befand und zufällig in der Nähe war, bemerkte den Vorfall und griff ein. Er rief sofort einen Krankenwagen und sorgte dafür, dass Wolek in ein Hospital eingeliefert wurde, wo er behandelt und nach einiger Zeit heil entlassen wurde. Ohne dies wäre er an Ort verblutet. Chocobar hat ihm das Leben gerettet. Doch das spielt für die Richter offensichtlich keine Rolle.
Dann verfolgte der Polizist den Verbrecher, der davonrannte und nicht anhielt, als es ihm Chocobar anordnete. Daraufhin schoss er auf ihn, und der junge Mörder starb. Doch Chocobar hatte nicht auf den oberen Teil des Körpers gezielt, sondern auf den unteren. Er verfehlte dabei das Ziel: Die Kugel prallte auf dem Boden ab und sprang von dort auf den Körper des Verbrechers und tötete ihn. Reiner Zufall. Hier gab es einen Toten, aber keine Mordabsicht, umgekehrt wie beim Angriff auf Wolek.
Danach empfing der damalige Präsident Mauricio Macri den Polizisten Chocobar und gratulierte ihm. Was Macri tat, entspricht dem Wunsch der Gesellschaft. Doch die Richter, die den Fall behandelten, waren anderer Meinung: Sie betrachten das Vorgehen von Chocobar als übertrieben. Sie bezeichnen den Angriff auf den Touristen als Diebstahl, statt als Mordversuch, was es im Wesen war. Und dann wiesen sie darauf hin, dass Chocobar den Verbrecher hätte verfolgen müssen, ohne zu schießen. Doch genau das hat er zunächst getan, aber der Mörder floh und war nicht mehr zu erreichen, so dass ihm nichts anderes übrig blieb, als zu schießen. Dass der Mörder dabei umgekommen ist, ist ein Risiko, das man in Kauf nehmen sollte. Denn sonst kann die Polizei nie gegen fliehende Verbrecher vorgehen. Außerdem: Beim Tod eines Mörders denken die meisten Menschen, “einer weniger!”. Man muss sich ohnehin fragen, wie viele andere Menschen dieser Mörder umgebracht hätte, wenn er am Leben geblieben wäre.
Beiläufig sei bemerkt, dass ein Schöffengericht Chocobar freigesprochen hätte. Schon in mehreren analogen Fällen haben diese Gerichte, die aus normalen Bürgern bestehen, immer einstimmig für den Freispruch der Angeklagten gestimmt. Warum es hier kein Schöffengericht gab, wurde nicht geklärt. Dass Richter ganz anders als die normalen Bürger denken, ist bedenklich. Kein Wunder, dass die Justiz allgemein einen schlechten Ruf genießt.
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