Als die Royals aus Hannover kamen
Von Thomas Strünkelnberg
Hannover - Wer eine Ausstellung über Kolonialismus und Sklaverei macht, muss damit rechnen, rassistische Untiefen zu durchwaten. Da gilt es aufzupassen, was man sagt - und was man besser nicht sagt. Um den Besucherinnen und Besuchern dies klarzumachen, wird ihnen zu Beginn ein Glossar gezeigt: Das N-Wort wird nicht verwendet, sondern der Begriff „People of Color“, wie Kuratorin Katharina Rünger erklärt. Mit dem Begriff „N-Wort“ wird eine rassistische Bezeichnung für Schwarze umschrieben.
Die Ausstellung „Von goldenen Kutschen und kolonialer Vergangenheit: Hannover, England und die Sklaverei“ im Historischen Museum Hannover will seit Dienstag bis zum 13. November einen neuen Blick auf die Epoche der Personalunion werfen, als die Kurfürsten von Hannover zugleich englische Könige waren: Gab es schon damals in Deutschland Profiteure der „Versklavungsökonomie“ in den Kolonien?
„Wir bemühen uns um ein anderes Narrativ“, erklärt Thomas Schwark, der Direktor des Historischen Museums Hannover. Das bedeutet: Gängigerweise werde die Zeit der sogenannten Personalunion, als die Welfen bis 1837 und damit für 123 Jahre die britischen Regenten stellten, unter der Überschrift betrachtet: „Als die Royals aus Hannover kamen“. Jetzt aber gehe es um einen anderen Blick auf die Epoche, hinterfragt werde die Bedeutung der Kolonien für den Handelsboom im 18. Jahrhundert - und die Sklaverei. Denn in „genau dieser Zeit“ habe sich Großbritannien unglaublich entwickelt und sei zum weltweiten Kolonialreich aufgestiegen, sagt Schwark. Nur: „Was haben wir in Hannover damit zu tun?“
Zumal die Zeit Deutschlands als Kolonialmacht nach gängigem Verständnis erst später begann - nämlich gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Auch dieses Thema ist wieder ganz aktuell: Ein Abkommen zur Aufarbeitung von Gräueltaten während der deutschen Kolonialzeit in Namibia soll neu verhandelt werden. Kritiker des Abkommens hatten wiederholt klargemacht, dass es ihnen nicht weit genug gehe. Das Deutsche Reich war von 1884 bis 1915 Kolonialmacht im damaligen Deutsch-Südwestafrika und schlug Aufstände brutal nieder. Während des Herero-und-Nama-Kriegs von 1904 bis 1908 kam es zu einem Massenmord, der als erster Genozid im 20. Jahrhundert gilt.
Aber: Die Epoche der „Personalunion“ war viel früher. Dennoch hätten weite Kreise Hannovers vom Kolonialismus profitiert, auch wenn der transatlantische Handel überwiegend in britischen Händen lag, erklärt Schwark. Denn sie schätzten Luxusgüter wie Tabak, Kaffee, Kakao, Zucker und den aus China importierten Tee. Doch beispielsweise der Zucker wurde angebaut und geerntet von versklavten Menschen auf den karibischen Inseln. Die Ausstellung fragt nun erstmals nach den Spuren von Sklaverei und dem Handel mit versklavten Menschen in der Zeit der hannoversch-britischen Personalunion. Angesichts des Konsums der Luxusgüter müsse es konkrete Verbindungen nach Hannover gegeben haben, sagt Rünger. Zumindest habe man Sklaverei und Menschenhandel in Kauf genommen.
Zwei konkrete Profiteure der Sklaverei aus dem damaligen Deutschland seien ausgemacht worden - ein Arzt und späterer Sklavenhändler aus dem Kurfürstentum Hannover und ein Bankier aus der Nähe von Stade, sagt Schwark. Es sei aber noch viel Forschungsarbeit nötig.
Mit Hilfe eines Rechnungsbuches eines Segelschiffs aus Bristol, das digitalisiert vorliege, lasse sich der sogenannte Dreieckshandel zwischen Europa, Westafrika und Nord- oder Mittelamerika nachweisen, sagt der Museumsdirektor. Das lief folgendermaßen ab: Aus dem englischen Bristol wurden etwa Glasperlen nach Afrika gebracht, dort wurden Sklaven unter grausamen Bedingungen verschleppt und in die Karibik oder nach Nordamerika transportiert, von dort wiederum brachten die Schiffe Luxusgüter wie Kaffee, Baumwolle oder Zucker nach Europa. 1833 wurde die Sklaverei in Großbritannien offiziell abgeschafft - noch während der Zeit der Personalunion.
An diese Zeit erinnert die Ausstellung - auf teils eigenwillige Weise. So werden die prächtigen Kutschen des Hauses Hannover verhüllt. Das gilt auch für die Porträts von Königen, Kaisern und Kurfürsten, die eingepackt und von der Wand genommen werden, als Zeichen dafür, dass nun andere im Mittelpunkt stehen: die Opfer und Leidenden, aber auch ihre Unterdrücker - und die Gegner der Sklaverei. Gezeigt werden neben dem Rechnungsbuch auch eine Originaluniform von König Georg III. oder Schiffskanonen der East India Company - insgesamt mehr als 140 Objekte.
Impulse aus Bristol gaben den Anstoß zum Perspektivwechsel beim Blick auf die Personalunion, wie Rünger erklärt. Aber kann man noch mehr von der englischen Stadt lernen? Demonstranten hätten dort während eines Black-Lives-Matter-Protests im Juni 2020 die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston umgekippt und ins nahe gelegene Hafenbecken geworfen, erzählt die Kuratorin. In Hannovers Südstadt dagegen stehe noch immer das Denkmal für Carl Peters - ein Kolonialist und Rassist, wie Schwark sagt. Und bis heute lebten mindestens 40 Millionen Menschen in moderner Sklaverei. (dpa)
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