EU-Gipfel debattiert über Abkommen mit Großbritannien
Brüssel (dpa) - Im Streit über ein Brexit-Handelsabkommen mit Großbritannien zeigt die Europäische Union klare Kante. „Wir wollen ein Abkommen, aber nicht um jeden Preis“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag beim EU-Gipfel in Brüssel. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron stellte klar, dass er keinen Deal zulasten französischer Fischer akzeptieren werde. Die EU will aber weiter verhandeln - während Großbritannien den Abbruch der Gespräche in Erwägung zieht.
Neben dem Brexit-Streit standen auf der Gipfel-Agenda eine Debatte über die Verschärfung des EU-Klimaziels - hier zieht Deutschland mit - sowie die mit Macht zurückgekehrte Corona-Krise. Zudem wollten die Staats- und Regierungschefs unter anderem den Erdgasstreit mit der Türkei und den Ausbau der Beziehungen mit Afrika beraten. Zu Beginn ging es um die stockenden Verhandlungen mit dem Europaparlament über den EU-Haushaltsrahmen und das Corona-Aufbaupaket. Hier stellte Parlamentspräsident David Sassoli Nachforderungen, die laut Diplomaten einhellig zurückgewiesen wurden.
Das wohl größte Kopfzerbrechen bereitet den EU-Staaten aber vorerst der drohende wirtschaftliche Bruch mit Großbritannien. Zum Jahresende scheidet das Vereinigte Königreich aus dem Binnenmarkt und der Zollunion aus. Der anvisierte Handelspakt soll Zölle und andere Handelshemmnisse verhindern, doch er ist längst nicht fertig. Der britische Premier Boris Johnson hatte eine Einigung bis 15. Oktober verlangt. Er will nach dem Gipfel entscheiden, ob er die Verhandlungen auch in den nächsten Wochen weiter führt.
Merkel sagte, man müsse zu einer fairen Vereinbarung kommen, von der beide Seiten profitieren könnten. „Es lohnt sich alle Mühe.“ EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen lobte, es sei schon viel gute Arbeit geleistet worden. Zwei entscheidende Punkte seien aber offen: die Frage gleicher Wettbewerbsbedingungen im Gegenzug für britischen Zugang zum EU-Binnenmarkt sowie die Fischerei-Rechte.
Vor allem Frankreich verlangt mit Nachdruck, dass EU-Fischer weiter in britischen Gewässern fangen dürfen. „Auf keinen Fall dürfen unsere Fischer die Opfer des Brexits sein“, sagte Macron und betonte ebenfalls: „Es wird nicht um jeden Preis eine Einigung geben.“ Mehrere Staats- und Regierungschefs äußerten aber Zuversicht, dass ein Deal möglich sei, so etwa Estlands Ministerpräsident Jüri Ratas.
Mit Blick auf das anvisierte neue EU-Klimaziel ergriffen elf der 27 Staaten vor dem Gipfel die Initiative und stellten sich ausdrücklich hinter den Vorschlag der EU-Kommission, die Treibhausgase bis 2030 um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 zu senken. Dafür signalisierte auch Merkel erneut Unterstützung. Es wäre wichtig, wenn sich die EU-Mitgliedstaaten bis Dezember gemeinsam zu diesem Ziel bekennen würden, sagte die CDU-Politikerin. „Deutschland wird das jedenfalls tun.“ Bisher gilt als Ziel für 2030 minus 40 Prozent.
Einige EU-Staaten sind noch skeptisch, darunter Polen, das stark auf Kohle angewiesen ist. Auch der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis sagte, sein Land werde eine so starke Reduzierung der Treibhausgase nicht schaffen. Er sei aber nicht grundsätzlich gegen das 55-Prozent-Ziel, wenn andere Staaten mehr Reduktion übernähmen.
EU-Ratschef Charles Michel sagte, nun müsse man sehen, welche „Bausteine“ nötig seien, um alle EU-Staaten von dem 55-Prozent-Ziel zu überzeugen. Es geht unter anderem um Finanzhilfen für den Umbau der Wirtschaft. Klimaschutz sei enorm wichtig, sagte Michel. Mit dem neuen Klimaziel will die EU dazu beitragen, das Pariser Klimaabkommen umzusetzen und die gefährliche Überhitzung der Erde zu stoppen.
Sehr besorgt zeigte sich Michel wegen der stark steigenden Corona-Zahlen überall in Europa. Mit dem Thema werde sich der Gipfel am Freitag eingehend befassen. Ziel sei eine engere Koordinierung unter anderem bei der Kontaktnachverfolgung und bei Quarantäneregeln, um die Ausbreitung des Virus zu begrenzen.
Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen sagte der Agentur Ritzau, auch der Gipfel hätte besser online statt vor Ort stattfinden sollen. Tatsächlich musste von der Leyen das Ratsgebäude gleich nach Auftakt wieder verlassen: Nachdem jemand aus ihrem Stab positiv getestet wurde, begab sich die 62-Jährige in Quarantäne.
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