Von Juan E. Alemann
Die argentinische Wirtschaft steht vor einem extrem schwierigen Finanzproblem, das in absurd hohen Zinssätzen und einem geringen und dazu noch abnehmendem Bankkredit zum Ausdruck kommt. Diese Lage ist einer der Hauptfaktoren der Rezession, die ab April 2018 eingetreten ist und bisher nicht überwunden wurde, die auch zu dem für die Regierung katastrophalen Wahlergebnis beigetragen hat. Die Macri-Regierung kann nicht mehr viel tun, um auf ein finanzielles System überzugehen, das mit einer normalen wirtschaftlichen Entwicklung vereinbar ist. Alberto Fernández und seine Ökonomen sollten sich schon jetzt gründlich mit dem Thema befassen, das sie bisher nur politisch behandelt haben. Die Kritik an den überhöhten Zinsen kommt politisch gut an. Aber es geht um die Überwindung des Problems, und dabei tappt auch A. Fernández im Dunkeln.
Die Zinsen betragen bei den Leliq-Schatzscheinen (die nur die Banken zeichnen dürfen) über 70%. Auf Fristdepositen von über einer Million Pesos zahlen die Banken etwa 60%, und bei geringeren etwas weniger. Bei Zinsen auf Kredite und auch auf Konsumkredite, die über Kreditkarten erteilt werden, liegen die Zinsen effektiv über 80%.
Die einzige Möglichkeit, sich am formellen Markt zu niedrigeren Sätzen zu finanzieren, besteht beim Diskont vordatierter Schecks, die an der Börse gehandelt werden. In diesem Fall liegen die Zinsen für Sparer und Kreditnehmer leicht unter 50%, wobei beide noch die Börsengebühren und die Maklerprovision hinzurechnen müssen, die beim Sparer vom Zinssatz abgezogen und beim Kreditnehmer hinzugefügt wird. Dieser Markt für vordatierte Schecks ist eine argentinische Erfindung, die nur in einem Land sinnvoll ist, in dem der Bankkredit spärlich und für viele Unternehmen nicht verfügbar ist.
Abgesehen davon besteht ein sehr ausgedehnter Kreditmarkt über nicht bei der ZB eingetragene Finanzanstalten, die angeblich nur ihre eigenen Mittel ausleihen, und keine Depositen aufnehmen. Hier liegen die Zinssätze über 100%, was oft dadurch vertuscht wird, dass die Zinsen auf den gesamten Kreditbetrag berechnet werden, dieser jedoch monatlich amortisiert wird, so dass der Betrag der Zinsen auf etwa den halben ausgeliehenen Betrag berechnet werden muss, und somit auf etwa das doppelte des angegebene Satzes steigt. Diese Kredite fallen in den Bereich des Wuchers und meistens auch der Schwarzwirtschaft, so dass auf diese Zinsen keine Steuer gezahlt wird. Der Umfang ist nicht bekannt, dürfte jedoch über dem der Bankkredite liegen. Für Kleinunternehmen, die faktisch vom Bankkredit ausgeschlossen sind, weil sie die geforderten Formalitäten nicht erfüllen können und das Geld meistens sofort brauchen, ist dies eine schwere Belastung. Auch diesen ausgedehnten Wucherkreditmarkt gibt es nur in Argentinien.
Der gesamte Bankkredit in Pesos liegt bei $ 1,68 Bio., was umgerechnet etwa u$s 27 Mrd. ausmacht. Bezogen auf ein Bruttoinlandsprodukt, das zum gegenwärtigen Wechselkurs leicht über u$s 300 Mrd. liegen dürfte, sind es unter 10%, wobei jedoch ein großer Teil auf Konsumkredite entfällt, die über Kreditkarten oder direkt erteilt werden, so dass für Unternehmen sehr wenig übrig bleibt. In vergleichbaren Ländern liegt der Bankkredit bei ca. 50% des BIP, und bei fortgeschrittenen über 100%. Der Zugang zum Bankkredit zu angemessenen Bedingungen gehört zur Marktwirtschaft und erleichtert den Unternehmen ihre Tätigkeit, weil sie dann nicht gezwungen sind, eine so strikte Finanzplanung durchzuführen wie in Argentinien. Ohne ein “normales” Kreditsystem ist wirtschaftliches Wachstum kaum möglich.
In einem Jahr ist der gesamte Kreditbetrag in Pesos praktisch unverändert geblieben, sodass er real um etwa ein Drittel abgenommen hat. Nachdem die Regierung die subventionierten Konsumkredite wieder eingeführt hat, ist die Abnahme für Unternehmen noch größer. Die Subventionen (in Form von Zinsen, die weit unter der Inflation und auch unter den üblichen Bankzinsen liegen) werden von den Banken mit den hohen Zinseinnahmen bei ihren Leliq-Anlagen finanziert, die auf die obligatorischen Mindestreserven angerechnet werden. Auf diese Weise zahlt schließlich der Staat auch diese Subvention.
Der Gesamtbetrag der Leliq liegt schätzungsweise schon über $ 1,2 Bio., nicht weit unter der monetären Basis. Erinnern wir uns daran, dass die Lebac-Wechsel der ZB, die der IWF für unhaltbar hielt und zu dessen Abbau beitrug, einen Höchststand von $ 1,2 Bio. erreicht hatten. Wenn die Wirtschaftsführung so weitermacht wie bisher, und die hohen Zinsen mit einer entsprechend höheren Ausgabe von Leliq finanziert, dann kann man vorwegnehmen, dass das System platzt. Es ist, in anderer Form, etwas ähnliches wie das Ponzi System, bei dem ein Finanzmann dieses Namens vor etwa einem Jahrhundert in den USA hohe Zinsen zahlte, die er dann mit Aufnahme neuer Depositen zahlte, bis alles platzte. Vor etwa einem Jahrzehnt hat Bernard Madoff dieses Schema in viel größeren Umfang angewendet. Das erstaunliche dabei ist, dass auch Großbanken und Investmentfonds Geld bei Madoff anlegten. Machen sich die Banken, die die Leliq übernehmen und auf ihre Zwangsreserven anrechnen, Gedanken über dies?
Die hohen Zinsen, die die Unternehmer und Konsumenten zahlen, setzen eine hohe Inflation voraus. Wenn die Inflationsrate stark zurückgeht, wird der Zinssatz real untragbar. So verrückt es klingt, für Unternehmen, die in Pesos stark verschuldet sind, wäre eine Hyperinflationswelle willkommen, weil dann diese Pesoschulden real schrumpfen. Unternehmen, die hohe Zinsen zahlen, rechnen somit bewusst oder unterschwellig mit der Beibehaltung einer hohen Inflation, was sie auch dazu führt, hohe Lohnerhöhungen zu gewähren, die nur mit Preiserhöhungen zahlbar sind, also zum Schema einer andauernden Inflation passen.
Um diesen Teufelskreis zu überwinden, muss das ganze Zins- und Kreditsystem grundsätzlich anders aufgefasst werden. Das bimonetäre System, das effektiv besteht, muss auch formell anerkannt werden. Man kann der Gesellschaft nicht die Verwendung des Peso bei Ersparnissen, Wertmessungen und Transaktionen, die sich über eine bestimmte Zeit erstrecken, aufzwingen, wie es auch angesehenen Wirtschaftlern vorschwebt. Die Anerkennung des Bimonetarismus als Tatsache, hat zur Folge, dass dann auch der Bankkredit allgemein auf Dollar übergeht. Das wurde in den 90er Jahren, unter Domingo Cavallo als Wirtschaftsminister, allgemein erlaubt, so dass es besonders Hypothekarkredite in Dollar gab, und auch Kontokorrentkonten in Dollar. Das wurde dann unter der Regierung von Eduardo Duhalde im Rahmen der Pesifizierung abgeschafft (eine riesengroße Fehlentscheidung, die die Wirtschaft bis heute belastet), wobei Dollardepositen weiter zugelassen wurden, aber nur für Kredite eingesetzt werden konnten, die mit dem Außenhandel in Zusammenhang stehen. Diese Bestimmung, die immer noch gilt, sollte sofort abgeschafft werden.
Die Dollardepositen der Banken liegen jetzt bei u$s 35,64 Mrd., liegen also, in Dollar umgerechnet, um u$s 10 Mrd. über den Fristdepositen in Pesos. Die Zunahme betrug in 12 Monaten 12,4%, was sich mit einer bedeutenden Abnahme bei den Pesodepositen (in Dollar umgerechnet) vergleicht. Die Sparer sind trotz hoher Zinsen bei Pesodepositen massiv auf Dollardepositen übergegangen. Aber die Dollarkredite betragen nur u$s 16,66 Mrd., 0,42% über einem Jahr zuvor, gegen umgerechnet u$s ca. 26 Mrd. bei Pesokrediten. Bei Dollardepositen betragen die Pflichtreserven nur 20%, so dass theoretisch u$s 32 Mrd. ausgeliehen werden könnten, fast doppelt so viel wie es effektiv sind, womit die Dollarkredite dann auch viel höher als die Pesokredite wären.
Eine Dollarfinanzierung zu angemessenen Zinsen (um die 8%) wäre für die Unternehmen viel tragbarer als ein Pesokredit zu 70% und mehr. Denn dabei müssen sie die Abwertungwirkung hinzurechnen, die sie bei ihrer Kalkulation nur begleiten, aber nicht vorwegnehmen, müssen. Die Schrumpfung des Bankkredites in Pesos, die in letzter Zeit akut eingesetzt hat, wirkt rezessiv. Das könnte durch entsprechend höhere Dollarkredite ausgeglichen werden. Selbstverständlich sollten dann Kurssprünge vermieden werden, wobei in diesem Fall die Amortisation der Kredite gestreckt werden müsste. Der Wechselkurs muss in Argentinien verwaltet werden, und dabei sollte er etwa mit der internen Inflation im Gleichschritt gehen. Der Bimonetarismus muss nicht nur legal anerkannt und beim Finanzsystem effektiv eingesetzt werden, sondern er muss auch im Einvernehmen mit dem Gleichgewicht der Wirtschaft verwaltet werden.
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