Tageblatt-Interview mit Ricardo López Murphy
Buenos Aires (AT) - Ricardo López Murphy gilt als Charakterkopf in der argentinischen Politik. Einst Verteidigungs- und Wirtschaftsminister, ist er heute als Abgeordneter für Juntos por el Cambio (Gemeinsam für den Wandel) in der Deputiertenkammer tätig. Gegenüber dem Tageblatt spricht er exklusiv über sein Nein zur Schuldenneuregelung mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), über falsche Träume und Argentiniens Potential als Gaslieferant Europas.
Argentinisches Tageblatt: Letzte Woche hat das Abgeordnetenhaus das Abkommen der Regierung mit dem IWF abgesegnet. Sie haben die Kompromissbereitschaft der Regierung gelobt und gesagt, das Abkommen stärke das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Landes. Trotzdem haben Sie gegen das Abkommen gestimmt. Warum?
Ricardo López Murphy: Viele Abgeordnete befanden sich in einem inneren Konflikt zwischen persönlicher Überzeugung und Verantwortung für das Land. Sie haben sich für die Verantwortung entschieden, ich für die Überzeugung. Viele hatten Angst vor einem Zahlungsausfall. Ich fürchtete, dass sich Opposition und Regierungsmehrheit etwas vormachen. Ich habe wenig Vertrauen in die Regierung, ich glaube nicht, dass sie ihren Teil der Abmachung einhalten werden. In sechs Monaten stehen wir vor den gleichen Problemen wie heute. Wie in Deutschland die Liberalen, die FDP, lehne ich Schulden und Steuererhöhungen ab. Der IWF-Deal ist ein Kompromiss. Er bietet kein tragfähiges Konzept eines Schuldenabbaus. Er wird den ohnehin schon stark angeschlagenen privaten Sektor weiter schwächen, statt den öffentlichen zu schrumpfen. Deswegen lehne ich diesen Deal ab.
Im Gegensatz zu Ihnen hat die Fraktion überwiegend für das Abkommen gestimmt.
Wir diskutieren schon lange über das Thema. Die Fraktionsführung kannte meine Meinung. Man wusste, wie ich abstimme. Wir sind aber nur an diesem Punkt uneins. Ich stehe hinter Juntos por el Cambio. Wir haben viel erreicht in den letzten Monaten.
Was bedeutet der Deal für Argentinien?
Der IWF hat der Regierung einen weiteren Kredit in Höhe von 44,5 Milliarden Dollar gewährt. Damit können wir fällige Rückzahlungen und Zinsen bedienen. Außerdem bekommt die Regierung einen neuen Kredit in Höhe von 4,5 Milliarden Dollar, die Summe, die Argentinien in den letzten beiden Jahren bereits an den Fonds zurückgezahlt hat. Mit dem Geld kann die Regierung im Grunde machen, was sie will. Zwar sollen wir unser Haushaltsdefizit reduzieren und die Notenpresse herunterfahren, allerdings schrittweise, bis 2024. Und vorher wird noch einmal gewählt in Argentinien. Ende kommenden Jahres sind Präsidentschaftswahlen.
Ein zentraler Bestandteil des Abkommens ist der Abbau staatlicher Energiebeihilfen.
Staatliche Zuschüsse für Strom und Gas müssen wir mit oder ohne den IWF reduzieren. Sie sind schlecht für die Umwelt, für den Wettbewerb, für unser Wachstum. Ein Beispiel: Wir könnten Deutschland anbieten, argentinisches statt russisches Gas zu kaufen. Wir verfügen über die zweitgrößten Gasreserven der Welt. Doch Subventionen hemmen unsere Produktion. Die argentinischen Verbraucher zahlen nur rund 25 Prozent dessen, was es eigentlich kosten müsste. Diese Politik ist schlicht unvernünftig.
Bei dem Abkommen handelt es sich um Argentiniens 22. Vertrag mit dem IWF. Warum kann Argentinien der Spirale aus immer neuen Schulden und Krediten nicht entkommen?
Argentinien hat nie eine solide Haushaltspolitik betrieben. Auch hier ist Deutschland für mich Vorbild. Wir brauchen nicht nur einen ausgeglichenen Haushalt, wir brauchen wieder Wachstum. Wir müssen unseren Schuldenberg abbauen, die Steuern senken, der Zivilgesellschaft mehr Freiheiten einräumen, uns stärker am Markt orientieren und den Umweltschutz in den Blick nehmen. Wir dürfen nicht weiter von einer Gesellschaft träumen, die es nicht gibt. Kirchnerismus und Populismus wollen uns glauben machen, dass der Wohlstand vom Himmel fällt. Nur wer naiv ist, glaubt an das Paradies. Aber wir sind erfahrener.
Letzten November kandidierten Sie nach zehnjähriger politischer Abstinenz mit großem Erfolg für das Abgeordnetenhaus. Was waren Ihre Beweggründe?
Argentinien befindet sich in einer Krise. Die Wahlen im vergangenen Jahr haben gezeigt, dass liberale Rezepte mittlerweile breitere Unterstützung finden. Meine Positionen sind durchaus populär. Ich bin weder Anarchist noch libertär. Ich bin ein klassischer Liberaler, der mit der deutschen FDP sympathisiert. Argentinien braucht eine starke liberale Stimme, und ich hoffe, dass eine solche auch 2023 Gehör findet.
Streben Sie ein politisches Amt an, falls es nächstes Jahr zu einem Regierungswechsel kommen sollte?
Das weiß ich hoffentlich nächstes Jahr im April. Dann spreche ich gerne noch einmal mit dem Argentinischen Tageblatt.
Herr López Murphy, vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Karoline Richter.
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