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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Italien feiert einen Propheten

100 Jahre Pier Paolo Pasolini

Von Johannes Neudecker

Für manche war er ein Prophet, für andere ein unbequemer Spalter der Gesellschaft. Pier Paolo Pasolini provozierte - mit Sexorgien und Kritik an Großbürgertum und Konsum. Der mysteriöse Mord an ihm gibt bis heute Rätsel auf.

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Pier Paolo Pasolini bei Dreharbeiten 1962 in Rom. (Foto: dpa)

Rom - "Ali mit den blauen Augen", ein Kind, das wie Tausende andere in einem Boot aus Afrika nach Europa übersetzt: Fast 60 Jahre nach Erscheinen dieses Gedichts scheint Regisseur und Schriftsteller Pier Paolo Pasolini ("Mamma Roma") angesichts der heutigen Flüchtlingsströme immer noch aktuell sein. Der 1922 in Bologna geborene Italiener galt als einer der wichtigsten Kritiker und als scharfsinniger Beobachter der italienischen Gesellschaft. Gegner der Bourgeoisie, Kirchenkritiker und Feind der Konsumgier - der Sohn eines Offiziers wurde in seinem Leben für viele unbequem. Bis heute gibt seine Ermordung im Jahr 1975 Rätsel auf.

Am 5. März wäre Pasolini 100 Jahre alt geworden: "PPP 100" steht auf Bildschirmen an Flughäfen, es gibt Sonderbeilagen in den Zeitungen, ihm gewidmete Sendungen im Fernsehen. Gut 46 Jahre nach seinem Tod feiert Italien einen seiner prägendsten Intellektuellen. "Es wundert mich nicht, dass er noch so bekannt ist. So eine intellektuelle Figur gibt es in Italien nicht mehr", sagt der deutsche Regisseur und Oscar-Preisträger Pepe Danquart ("Schwarzfahrer"). Er drehte 2017 die Pasolini-Doku "Vor mir der Süden" - eine Auto-Reise um den italienischen Stiefel auf den Spuren Pasolinis.

Danquart nennt Pasolini einen Helden: "Er stand zu dem, was er von der Welt hielt." Aufgewachsen im Nordosten Italiens, wo er zunächst als Lehrer arbeitete, zog er später nach Rom. Er habe sich immer näher beim Subproletariat, also denen, die in der Gesellschaft unter den schlechtesten Bedingungen leben, gesehen, sagt Danquart. Mit der Bourgeoisie habe Pasolini nichts anfangen können.

Die Werke des Fußball-Fans steckten voller Sozialkritik, was nicht zuletzt dazu führte, dass er ausgegrenzt wurde und allein dastand. Er habe aber nicht aufgegeben, erklärt Danquart. "Sie haben ihn nicht kleingekriegt." Pasolini war Kommunist, wegen seiner Homosexualität schloss ihn die Partei jedoch aus. Im Fernsehen sagte er einmal, die Menschen, die er wohl am meisten möge, seien die, die nicht mal die vierte Klasse geschafft hätten.

Der Intellektuelle übte scharfe Kritik am Konsumismus. "Italien verfault in einem Wohlstand, der Egoismus, Dummheit, Unkultiviertheit, Klatsch, Moralismus, Zwang und Spießertum darstellt", schrieb er 1962 in einer kommunistischen Zeitschrift. Auch mit der Kirche verstand er sich nicht. "Das Evangelium ist für mich ein großes intellektuelles Werk, ein großes Gedanken-Bauwerk, das keinen Trost spendet", sagte er einst in einer Talkshow.

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Das Grab Pasolinis neben seiner Mutter auf dem Friedhof von Casarsa della Delizia in Norditalien. (Foto: Sebi1)

Anfang der 1970er Jahre recherchierte Pasolini für seinen Enthüllungsroman "Petrolio" (Erdöl). In der Geschichte ging es um die Machenschaften von Italiens Energie-Konzern Eni mit der Mafia, Macht und Sexorgien. Veröffentlichen sollte er sie jedoch nie. Es war bekannt, dass Pasolini mit Strichern verkehrte, sie abholte, zum Abendessen einlud. In einer kalten, regnerischen Nacht zum 2. November 1975 fuhr er mit dem 17-Jährigen Giuseppe Pelosi an den Strand im römischen Küstenvorort Ostia. Am nächsten Morgen wird Pasolinis Leiche gefunden - tot mit 53 Jahren. Offenbar wurde er verprügelt und mit seinem eigenen Wagen überfahren.

Pelosi gestand im anschließenden Prozess den Mord, gab aber an, in Notwehr gehandelt zu haben. Pasolini habe von ihm Dienste verlangt, zu denen er nicht bereit war. "Pino, la Rana" wurde zu neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Am Ende seiner Haftstrafe widerrief er 2005 jedoch sein Geständnis und behauptete, er sei nicht allein gewesen, sondern der Lockvogel für eine Falle für Pasolini. Mehrere Männer hätten auf den Künstler eingetreten. Um den Mord an Pasolini ranken sich deshalb seit jeher verschiedenste Theorien, unter anderem auch, dass es ein Auftragsmord im Zusammenhang mit seinem Roman "Petrolio" gewesen sei. (dpa)

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