Von Marion Kaufmann
Ja, aber wie wird der Unterricht dann aussehen? Um etwas darüber zu erfahren: wer könnte besser darauf antworten als Mariana Biro, Direktorin der Escuela del Sol, erfahrene Pädagogin und Lehrerin von denen, die lernen und von denen, die lehren?
„Niemand weiß, wann der Unterricht aufgenommen wird“, meint Frau Biro in einem Online-Interview. „Dieses Jahr oder erst 2021? Und wird man auf die gewohnte Weise arbeiten, oder als Fernunterricht, wie er seit März stattgefunden hat? Es gibt viele Fachleute mit vielen Ideen, doch muss man bedenken, dass Argentinien ein riesiges Land ist, in jeder Stadt und in jedem Provinzdorf gibt es wohlhabende Familien und notleidende Familien, denen es an modernen Apparaten und Kenntnis fehlt, bei manchen sogar an Elektrizität.
„Doch was wir unbedingt den Schülern beibringen müssen“, sagt Frau Biro, „ist das Zusammenleben. In der heutigen Welt kann niemand allein überleben. Jeder braucht einen anderen Menschen. Und deshalb ist die Schule wichtig, denn dort verbringen Kinder täglich viele Stunden zusammen mit Kameraden. Ganz gleich wie alt die Schüler sind und in welchem akademischen Studiengrad sie sich befinden, ist immer das Wichtige die Pause. Im Falle der Älteren nennen wir es „break“, die Kaffeepause.
Und ich meine, für die Kinder, besonders in den ersten Schuljahren, ist die Pause das schwierigste Fach. Denn da müssen sie selbst für sich sorgen, sie müssen lernen zuzuhören, mit Kameraden Sachen zu teilen; zu verlieren; nachzugeben. Im Sportklub lernen sie es beim Spiel, in der Schule beim Unterricht. Beim Aufwachsen brauchen Kinder Freiheit und Autonomie; beim Lernen, die Beziehung zu ihren Lehrern und Schulkameraden. Seit März wurden diese Gewohnheiten durch die Ausgehsperren unterbrochen, und man fragt sich, ob sie durch andere, auch wichtige Gewohnheiten ersetzt wurden.
Nach all diesen Monaten des Online-Studiums kommt die Frage: Kann man die persönlichen Beziehungen wieder herstellen? Wie wird das Schulleben in der Zukunft aussehen? Möglicherweise wird man das einstige Programm mit dem Fernunterricht kombinieren. Das muss jedoch gut geplant und systematisch aufgestellt werden; zuerst müssen die Lehrer neue Modelle studieren und vor allem, die sozialen Beziehungen wieder aufbauen.“
„Natürlich sieht die Lage in kleinen Provinzdörfern anders aus als in den Städten“, sagt Frau Biro, die häufig mit ihren Mitarbeitern entlegene Dörfer aufsucht, um die Leistungsfähigkeit der Lehrer zu stärken. „In Jujuy, zum Beispiel, haben wir gesehen, dass meistens der Lehrer nur über einen Raum verfügt, wo alle Kinder, ganz gleich welchen Alters, zusammen lernen. Die Schüler laufen täglich sechs Kilometer, barfuß, zur Schule und wieder zurück. Manch ein Lehrer wohnt 350 Kilometer entfernt, kommt montags mit dem Omnibus, bleibt in der Schule und fährt freitags nach Hause. Die Kinder lernen zu kochen und zu putzen, sich zu ernähren und andere zu respektieren. Man erklärt ihnen die Bedeutung von Ernährung und Hygiene. Das ist wichtiger als das Einmaleins“, meint Frau Biro zum Schluss.
Später kam mir noch eine Frage: Viele von uns, die hier oder woanders zur Schule gingen - lang ist´s her - erinnern uns heute noch an manche Lehrer, an ihre Namen oder Spitznamen, an ihre Gesichter oder Stimmen, und an manche Unterhaltungen. Woran werden sich später die heutigen Schüler vom Fernunterricht erinnern? An ein Gesicht auf der Mattscheibe?
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