Von Juan E. Alemann
Obwohl Wirtschaftsminister Sergio Massa persönlich nicht viel von direkten Preiskontrollen hält, hat er in letzter Zeit versucht, Großunternehmer zu überzeugen, dass sie die monatlichen Preiserhöhungen zumindest auf 4% begrenzen. Angeblich haben sich die großen Supermarktketten gegenüber dem Handelssekretariat verpflichtet, diese Grenze bei den Preiserhöhungen von Nahrungsmitteln bei ihren Lieferanten einzuhalten, und nicht zu kaufen, wenn die Zunahmen höher sind. Allgemein haben die Unternehmer darauf hingewiesen, dass Zunahmen von 4% nur möglich sind, wenn auch die Abwertung, die Lohnerhöhungen und Tariferhöhungen nicht höher ausfallen. Das Problem für die Unternehmen besteht in den Wiederbeschaffungspreisen, die sie bei ihrer Preiskalkulation berücksichtigen müssen, um Verluste zu vermeiden, die sie dann nicht decken können. Dabei erscheinen die Bruttomargen, bezogen auf die effektiv gezahlten Preise für Rohstoffe und andere Produkte, die einem Endprodukt einverleibt werden, überhöht.
Mit der Textilindustrie wurde eine Preiseinfrierung für 60 Tage vereinbart. Die Preise für Bekleidung waren in einem Jahr stark gestiegen, weit über dem Index der Konsumentenpreise, was wegen Ausfall von Importen möglich war. Somit sollte eine Marge bestehen, um jetzt die Preise nicht weiter zu erhöhen. Das müssen die Unternehmer der Branche ohnehin tun, um verkaufen zu können. Massa zeigt hier erneut seine Politik der Lösung von Einzelfällen.
Massa steht bezüglich Preisen unter dem Druck von Cristina Kirchner. In ihrer Rede vom letzten Freitag in Pilar, vor einer Menschenmenge, die von der Gewerkschaft der Metallarbeiter organisiert wurde, hat sie die Grundlagen ihrer Auffassung klar dargestellt. Sie geht davon aus, dass wenige Großunternehmen den Markt von Lebensmitteln und Produkten für den täglichen Haushaltskonsum beherrschen, und dass es keine Konkurrenz gibt. Das stimmt jedoch nicht. Bei frischen Lebensmitteln (Obst und Gemüse) gibt es unzählige Produzenten und Verkaufsstellen. Hier besteht das Hauptproblem darin, dass die Differenz des Preises, den der Landwirt erhält mit dem, den der Konsument beim Gemüsehändler zahlt, sehr hoch ist, und bei den meisten Produkten über eins zu fünf liegt. Dieses Problem wird von der Regierung ignoriert. Doch es müsste eine Lösung geben.
Auch bei industriellen Lebensmitteln, wie Teigwaren, Polenta, Reis und Speiseöl, gibt es effektive Konkurrenz, was u.a. in sehr unterschiedlichen Preisen im Supermarkt u.a. Verkaufsorten zum Ausdruck kommt, die auch eventuelle Qualitätsunterschiede nicht rechtfertigen. Bei Milch und Milchprodukten hat die Firma Mastellone (Marke „La Serenísima“) eine beherrschende Marktposition. Aber die Bilanzen der Firma weisen niedrige Gewinne aus, in Vorjahren sogar Verluste. Die Konkurrenzfirma SanCor, die ebenfalls einen hohen Anteil am Markt hatte, ist vor Jahren pleite gegangen, musste sich stark verkleinern, und ist bei Supermärkten kaum noch präsent. Die Bilanzen der großen Lebensmittelunternehmen, Molinos Río de la Plata und Arcor, die öffentlich sind, weisen auch keine übertriebenen Gewinne aus.
Cristina hat in ihrer Rede behauptet, dass die Großunternehmen ihre Bilanzen fälschen, um geringere Gewinne auszuweisen und Steuern zu hinterziehen. Das stellt an erster Stelle eine schwere Beschuldigung der Regierung dar, an der sie als Vizepräsidentin teilnimmt, und besonders der AFIP, deren Vorsitzender auf Empfehlung von ihr ernannt wurde. In der Tat ist es so, dass Großunternehmen eine minimale Möglichkeit haben, Bilanzen zu fälschen. Einmal lassen dies die Buchprüfer nicht zu, die die Bilanzen unterzeichnen und dabei auch eine große persönliche Verantwortung übernehmen. Dann werden die Bilanzen von der nationalen Wertpapierkommission geprüft, und wenn die Unternehmen ihre Aktien an der Börse kotieren, auch von dieser. Im Steueramt, DGI, das ein Teil der AFIP bildet, gibt es eine spezielle Abteilung, die sich mit der ständigen Kontrolle von Großunternehmen befasst, Wenn es sich um lokale Filialen multinationaler Unternehmen handelt, gibt es ohnehin prinzipiell keine Steuerhinterziehung, weil der lokale Geschäftsführer weis, dass bei Aufdeckung eines Hinterziehungsmanövers die Konzernleitung ihn dafür verantwortlich machen wird, und dies ihm seine Karriere kosten kann.
Dass es bei der Gewinnsteuer eine anormal hohe Hinterziehung gibt, ist etwas anderes. Dies ergibt sich auch aus dem Vergleich des Anteils der Gewinnsteuer am Bruttoinlandsprodukt zwischen Argentinien und den USA, In den USA beträgt er das Vielfache des argentinischen Koeffizienten, obwohl die Steuersätze niedriger sind. Die Hinterziehung konzentriert sich in Argentinien auf natürliche Personen, besonders selbstständig Tätige, deren Einkommen schwer zu kontrollieren ist, und Kleinunternehmen, die von der AFIP kaum kontrolliert werden. Doch diese Firmen sind auf alle Fälle nicht preisbildend. Sie müssen sich an den Markt anpassen und sehen wie sie überleben. Oft erreichen sie das nur mit Steuerhinterziehung.
Cristina berief sich bei ihrer Ausführung auf eigenartige Statistiken, die sie in großen Plakaten zeigte. Sie haben keine seriöse Grundlage, und es gab auch keine Quellenangabe. Einmal zeigte sie eine graphische Darstellung, auf der eine Linie eine enorme Produktivitätszunahme in den letzten Jahren aufweist. Diese Statistik ist frei erfunden. Produktivitätsstatistiken gibt es nur für einzelne Unternehmen, und meistens erstrecken sie sich auf lange Perioden. Produktivitätszunahmen hängen in der Regel mit Einführung von stark automatisierten Fabrikationsverfahren und Einsatz von Informatik zusammen, wobei Arbeitnehmer, die dabei konkret betroffen werden, viel besser bezahlt werden. Was Cristina sagte, dass nämlich die starke Produktivitätszunahme nicht von einer entsprechenden Erhöhung des Reallohnes begleitet worden sei, und dies somit jetzt aufgeholt werden müsste, ist reiner Blödsinn, und hat eine verheerende Wirkung auf die ohnehin schon schwierigen Lohnverhandlungen.
Dann hat sie sich auf eine angeblich offizielle Statistik über Einkommensverteilung bezogen, die angeblich zeigt, dass das Arbeitseinkommen zur Zeit, als sie Präsidentin war, über 50% des Gesamteinkommens (sie sagte, des Bruttoinlandsproduktes, was nicht das Gleiche ist) erreicht hätte und jetzt viel niedriger liege. Diese Statistik, die vor Jahrzehnten schon aufgegeben wurde, und in letzter Zeit wieder veröffentlicht wurde, ist in einem Land mit einer hohen und in den letzten Jahren stark gestiegenen Schwarzwirtschaft von vornherein falsch, weil nur die Arbeitnehmer erfasst werden, die bei der ANSeS eingetragen sind. Dabei ist auch zu beanstanden, dass selbstständig Tätige und Kleinunternehmen, deren Einkommen auf persönlicher Arbeit beruht, bestenfalls zum geringeren Teil bei ihrem Arbeitseinkommen erfasst werden. Und auf der anderen Seite gibt es keine Statistik über reale Gewinne, Die Statistik, auf die sich Cristina bezog, sollte man in den Papierkorb werfen.
Dieser statistische Unfug von Cristina gibt den Gewerkschaften ein Argument für ihre überhöhten Lohnforderungen, die die Inflation in die Höhe treiben. Wenn die Wirtschaftspolitik davon ausgeht, dass als erstes die Einkommensverteilung korrigiert werden muss, und dies an erster Stelle mit bedeutenden Lohnerhöhungen erreicht werden soll, dann kann die Inflation nicht wirksam bekämpft werden. Denn zu diesem Zweck müssen diese Lohnerhöhungen von über 100% jährlich aufhören. Als in Spanien nach der Franco-Diktatur eine gefährlich zunehmende Inflation aufkam, wurde im sogenannten Pakt von La Moncloa u.a. bestimmt, dass die Lohnerhöhungen sich dem Inflationsziel anpassen müssen, und nicht auf die vergangene Inflation bezogen werden.
In der Gewerkschaft der Metallindustrie, „Union Obrera Metalúrgica“, wurde der gemäßigte Generalsekretär Antonio Caló letztes Jahr von Abel Furlan abgelöst, der eine aggressive Politik vertritt, etwa wie die der Gewerkschaft der Lastwagenfahrer und der Reifenindustrie. Jetzt hat Cristina ausgerechnet diesem Gewerkschafter Rückendeckung gegeben und ihn verleitet, noch mehr zu fordern, als es ohnehin schon der Fall ist. Das ist politisch schlimm, und erschwert die Arbeit der Regierung, die sich bemüht mit gemäßigten Gewerkschaftern auszukommen. Auf alle Fälle müssen die nominellen Erhöhungen viel geringer sein, um die Inflationsraten stark zu senken.
Beiläufig hat Cristina eine allgemeine Lohnerhöhung, mit einem festen Betrag für alle, gefordert. Das würde zu einer Verflachung der Lohnstruktur führen, weil der feste Betrag für ungelernte Arbeiter eine hohen und für Facharbeiter einen viel geringeren darstellt. Die Gewerkschaftszentrale CGT hat gegen diesen Vorschlag Stellung bezogen. Und in der Metallindustrie, wo es infolge Automatisierung einen hohen Anteil an Fachleuten gibt, kommt der Vorschlag besonders schlecht an. Zum Glück sind Präsident Alberto Fernández und Wirtschaftsminister Sergio Massa auch dagegen.
Die Wirtschaftspolitik, die bei der Rede von Cristina zum Ausdruck kommt, zielt nicht auf Stabilität ab, wie die von Massa. Ihre jugendliche marxistische Ideologie und ihre Vorurteile gegenüber großen Privatunternehmen sind erneut offen zum Vorschein gekommen. Zum Glück ist Präsident Fernández mit ihr zerstritten. Aber Massa beachtet sie immer noch, weil er an ihrer politischen Macht nicht ganz vorbeigehen will. Doch wenn er sich jetzt nicht von ihr distanziert, dann ist er zum Scheitern verurteilt. Denn die Empfehlungen von Cristina, die offenen und noch mehr die unterschwelligen, laufen auf ein höheres Defizit, einen Bruch mit dem Internationalen Währungsfonds und Hyperinfation hinaus. Er muss jetzt davon ausgehen, dass Cristina zur Opposition gehört, und zwar zu einer linken und aggressiven, und nichts mit der Regierung zu tun hat. Handelt sie so, weil sie die Absicht hat, sich 2023 als Präsidentschaftskandidatin aufzustellen und dabei nicht vom Versagen dieser Regierung belastet sein will? Das wird sich noch zeigen. Es ist eine merkwürdige Situation, mit der die Regierung, und besonders Wirtschaftsminister Massa, fertig werden müssen. Sie müssen sich bewusst sein, dass Cristina jetzt Opposition ist, und dabei links von der Koalition „Juntos por el cambio“ liegt.
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