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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Inflationsbekämpfung ohne Überzeugung

Von Juan E. Alemann

Die jährliche Inflationsrate bewegt sich um die 100%, und das wird in- und außerhalb der Regierung als zu viel angesehen. Die Wirtschaftsführung begnügt sich in einer ersten Etappe mit einer Senkung der monatlichen Raten von jetzt um die 5% auf 4%. Doch auch das fällt ihr schwer. Eine echte Stabilisierungspolitik erfordert einmal, dass das Defizit der Staatsfinanzen stärker zurückgeht, als es jetzt der Fall ist, und spätestens im Laufe des nächsten Jahres verschwindet. Aber außerdem müssen viele andere Maßnahmen getroffen werden, die kaum erwähnt werden, an erster Stelle eine rationelle und stabilitätskonforme Arbeits- und Lohnpolitik.

Die argentinische Gesellschaft nimmt auf Anfrage für Stabilität Stellung, ist aber nicht bereit, die Kosten zu tragen, die mit einer echten Stabilisierung verbunden sind. An erster Stelle hätte eine harte Stabilisierungspolitik zunächst eine stark rezessive Wirkung. Auf der anderen Seite muss bemerkt werden, dass sich die Wirtschaft trotz hoher Inflation nicht schlecht entwickelt hat. Der EMAE-Index des INDEC, der eine grobe Schätzung des Bruttoinlandsproduktes darstellt, die erfahrungsgemäß nicht stark von der definitiven Zahl abweicht, lag im September um 4,8% über dem gleichen Vorjahresmonat. Auch Zahlen über Industrie und Bauwirtschaft weisen in die gleichen Richtung. Die Abkühlung der Konjunktur hat erst im September eingesetzt, und sie ist vorläufig noch mild. Und dies, obwohl die Wirtschaft die Folgen der extremen Dürre spürt, die große Teile des Landes betrifft, besonders der sogenannten „feuchten Pampa“, auf die sich die Produktion von Getreide und Ölsaat konzentriert.

Die Inflation hat die Konjunktur angetrieben. Weil sich die Bevölkerung bewusst ist, dass die Preise ständig steigen, geben die Haushalte das Geld so schnell wie möglich aus. Dass dies die Spartätigkeit betrifft, interessiert hier nicht. Denn Sparen und investieren haben eine langfristige Wirkung.

Diese Lage erinnert an das Schwundgeld von Silvio Gesell. Dieser deutsche Kaufmann schlug vor fast einem Jahrhundert ein Währungssystem vor, bei dem sich die Geldscheine entwerteten, was auf dem Schein selber aufgezeichnet würde. Das sollte die Menschen zwingen, ihr Geld sofort auszugeben, womit für die Erhaltung einer guten Konjunktur gesorgt würde. Keynes erwähnt Gesell in seinem Werk und weist beiläufig darauf hin, dass die schleichende Inflation, die er für eine normale und positive Erscheinung hält, die gleiche Wirkung wie das Schwundgeld von Gesell hat. Was wir jetzt in Argentinien haben, geht in seiner Intensität weit über die Vorstellungen von Gesell und Keynes hinaus. Wir haben ein Superschwundgeld.

Das Problem mit der Inflation besteht darin, das sie eine natürliche Tendenz hat, sich zu beschleunigen.

Das Problem mit der Inflation besteht darin, das sie eine natürliche Tendenz hat, sich zu beschleunigen. Denn keiner will zurückbleiben. Das hat in Argentinien schon dazu geführt, dass die relativen Preise sich stark verändert haben, was störend wirkt und unhaltbar ist. Auf der einen Seite sind die Tarife für öffentliche Dienste anormal niedrig, und auf der anderen sind die Preise für Obst, Gemüse und viele andere Produkte überhöht. Auch bei den Löhnen sind die Unterschiede zwischen einzelnen Branchen stark gestiegen, ohne dass dies durch höhere Produktivität gerechtfertigt wird. Einzelne Gewerkschaften haben bessere Druckmöglichkeiten als andere und haben sie dank der passiven Haltung der Regierung nutzen können.

Auch die Unternehmerschaft hat bezüglich Inflation eine widersprüchliche Haltung. Auf der einen Seite befürworten Besitzer und Leiter von Unternehmen Stabilität, was ihre Kalkulation und ihre Finanzen spürbar erleichtern würde, aber auf der anderen Seite wollen sie keine Rezession, bei der sie zunächst Umsatz einbüßen, eventuell Personal entlassen müssen und auch schwierige Strukturreformen in Angriff nehmen müssen.

Bei den Staatsfinanzen ist der Fall auch nicht einfach. Die Hochinflation hat bei den Staatsfinanzen die positive Wirkung, dass (wie jetzt), Gehälter, Pensionen, Hinterbliebenenrenten u.a. Ausgaben hinter der Inflation zurückbleiben und somit real abnehmen. Das kommt der Politik der Defizitsenkung zu Gute. Bei Stabilität hört dies auf, wobei zunächst sogar eine reale Zunahme stattfindet. Das ist beim Indexierungssystem der Pensionen eine unvermeidliche Folge.

Die Regierungssprecher, sowohl Präsident Alberto Fernández, wie Wirtschaftsminister Sergio Massa und auch andere, betonen stets die Erhaltung des Reallohnes als Ziel der Stabilisierungspolitik. Indessen ist es genau umgekehrt. Wenn stabilisiert wird, dann geht der Reallohn zunächst zurück. Erst in einer zweiten Etappe kann er dann steigen, aber differenziert, also besonders dort, wo Produktivitätsfortschritte dies rechtfertigen. Doch die Gewerkschaften wollen von einer produktivitätsgebundenen Lohnpolitik nichts wissen. In bestimmen Fällen, wie besonders im Bankensektor, wo die neue Computertechnologie und das Internet weniger persönlichen Einsatz fordern, hat die Gewerkschaft den Abbau von überflüssigen Angestellten einfach geduldet. Er geschah durch Pensionierungen, aber nicht durch Entlassungen. Aber in anderen Fällen widersetzen sich die Gewerkschafter der Rationalisierung. Doch das wird bei erfolgreicher Stabilisierung immer schwieriger, weil die Unternehmen ohne Rationalisierung nicht konkurrieren können und schließlich Schwierigkeiten haben, zu überleben. Bei Inflation stellen sich diese Probleme kaum.

Cavallo ist es 1991 als Wirtschaftsminister gelungen, eine erfolgreiche Stabilisierung einzuleiten, weil er außer dem fixen Wechselkurs von eins zu eins zum Dollar (der auch eine starke psychologische Wirkung hatte) eine umfangreiche Privatisierungspolitik durchführte. Das brachte einmal viel Kapital ins Land, und dann führte es es zu einem enormen Effizienzfortschritt auf breiter Ebene, der sich auf Unternehmen im allgemeinen übertrug. Gleichzeitig wurde dereguliert, was die Konkurrenz verschärfte, und es fand auch eine Öffnungspolitik statt, mit geringeren Zöllen und Importen, die die Preise analoger lokal erzeugter Produkte drückten. Die Textilindustrie versorgte vorher fast den gesamten Bedarf an Bekleidung und im Laufe der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts schließlich nicht einmal die Hälfte. Jetzt ist der lokale Anteil am Bekleidungskonsum wieder stark gestiegen, weil der Import gehemmt wird. Doch das bedeutet höhere Preise und wirkt inflationär. Eine Öffnung,wie die von Cavallo, kann sich die argentinische Wirtschaft jetzt nicht erlauben, es sei denn zu einem viel höheren Wechselkurs, der auch inflationär wirkt.

Mehrere Ökonomen, von denen, die öffentlich auftreten, sind überzeugt, dass eine Stabilisierungspolitik erst nach einer neuen Hyperinflation möglich ist. Denn dann nimmt die Gesellschaft, und besonders Politiker, Gewerkschafter und Unternehmer, harte Maßnahmen an, die sie ohne dies ablehnen. In gewissem Sinn war auch die Stabilitätspolitik von Cavallo nur möglich, nachdem die zwei Hyperinflationswellen, die von 1989 und die von 1990, der Gesellschaft, und besonders den Politikern, einen tiefen Schrecken eingeflößt hatten, was Menem erlaubt hat, die Gesetze über Privatisierung und Staatsreform im Parlament durchzusetzen, die für das Cavallo-Programm wesentlich waren.


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