Von Juan E. Alemann
Im Oktober finden allgemeine Wahlen statt, in denen die Hälfte der Deputiertenkammer und ein Drittel des Senats erneuert wird. Vorher, im August, sollen die PASO-Wahlen stattfinden, bei denen theoretisch die Kandidaten der einzelnen Koalitionen gewählt werden, aber in Wirklichkeit schon das Ergebnis der allgemeinen Wahl vom Oktober zum Ausdruck kommt. Die Wahlen haben dieses Mal eine besondere Bedeutung für die Regierung - und vor allem für Cristina.
In einem Krisenjahr wie diesem ist es für die Regierung kaum möglich, bei einer Wahl ein günstiges Ergebnis zu erreichen. Eine Arbeitslosigkeit, die richtig berechnet über 25% der aktiven Bevölkerung liegt, eine Armut von über 45% der Bevölkerung, eine nach einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes von 11% im Jahr 2020 weiterhin gedrückte Konjunktur, und nicht zuletzt die hohe und stark gestiegene Kriminalität, all das schafft eine Stimmung, die für die Regierung ungünstig ist. Dass die Pandemie dafür verantwortlich gemacht wird, interessiert die Bevölkerung nicht. Man kann also davon ausgehen, dass die Regierungskoalition weniger Stimmen erhält als 2019 und die Opposition mehr.
Für Cristina Kirchner hat dies eine besondere Bedeutung. Ihre Prozesse schreiten weiter voran, wenn auch langsam, und in den wichtigsten Fällen stehen unmittelbare Urteile bevor, wobei nicht der geringste Zweifel besteht, dass Cristina für schuldig erklärt wird. Die einzige Möglichkeit, die ihr dann verbleibt, ist die Berufung beim Obersten Gerichtshof, mit der Hoffnung, dass dieser sie unschuldig erklärt oder einen Weg findet, um die Entscheidung ad calendas graecas hinauszuschieben. Doch genau das ist vom Obersten Gerichtshof in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung nicht zu erwarten.
Die Zahl der Mitglieder müsste von jetzt 5 auf 9 erhöht werden (wie es unter Menem war), mit neuen Richtern, die zu Cristina stehen. Doch dazu braucht sie eine Mehrheit in beiden Kammern. In der Deputiertenkammer dürfte die Regierung keine Mehrheit für dies zusammenbringen, weil die Deputierten von Lavagna sich kaum dafür hergeben würden. Die Regierungspartei braucht mehr Deputierte. Doch bei einer verlorenen Wahl tritt genau das Gegenteil ein. Und dann ist es aus mit den 9 Richtern.
Beiläufig sei bemerkt, dass ein schlechtes Ergebnis für die Regierung bei den PASO-Wahlen, die Richter dazu führen könnte, ihre Urteile zu beschleunigen, weil sie wissen, dass die Regierung nicht gegen sie vorgehen kann. Es ist daher begreiflich, dass die Regierung die PASO-Wahlen abschaffen will, auch mit der Erwartung, dass es bis Oktober wirtschaftlich besser geht.
Cristina gibt jedoch nicht auf. Ihre Leute meinen, dass die Wirtschaftskrise am besten durch eine totale Abschottung von der Welt überwunden werden kann. Das bedeutet: noch strengere Devisenbewirtschaftung, mit drastischer Verringerung der Importe, Abschöpfung des durch die Hausse bei Ölsaaten und Getreide erzielten Gewinnes der Landwirte und ein neuer Default, offen oder faktisch, gegenüber Gläubigern, was auch YPF, den Internationalen Währungsfonds, den Pariser Klub u.a. einschließt. Ohne Zahlung von Amortisationen und Zinsen auf die Staatsschuld tritt eine Erleichterung bei den Staatsfinanzen und der Zahlungsbilanz ein, wie es schon 2002 der Fall war. Dann braucht die Regierung sich keine Sorgen mehr über die politisch kostspielige strukturelle Verringerung der Staatsausgaben zu machen.
Kurzfristig mag das Schema einigermaßen aufgehen. Doch mittel- und langfristig ist es unhaltbar und führt Argentinien in eine Dauerstagnation. Doch Cristina denkt nicht so weit. Für sie geht es nur um die Oktoberwahlen und ihre Prozesse. (dpa)
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