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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Im Blickfeld: Österreich hat gewählt

Von Stefan Kuhn

Das Interregnum zwischen der Ära Kurz und Kurz währte nur... Nein, keine Plattitüden, es könnte noch weitere Wochen dauern, bis Sebastian Kurz wieder österreichischer Bundeskanzler wird. Der klare Wahlsieg seiner konservativen ÖVP war erwartet worden. Die Österreicherinnen und Österreicher waren zufrieden mit der Regierung, und es war klar, dass der rechtspopulistische Regierungspartner FPÖ nach der Ibiza-Affäre Federn lassen würde. Schließlich war es Vizekanzler Heinz Christian Strache, der FPÖ-Chef, der einer vermeintlichen russischen Oligarchentochter gegen entsprechendes Entgelt staatliche Dienstleistungen angeboten hatte. Zudem hatte die FPÖ die Regierung platzen lassen und zusammen mit der SPÖ den beliebten Kanzler gestürzt, nur weil sich Kurz geweigert hatte, den Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) im Amt zu belassen. Dabei wäre es ein schlechter Witz gewesen, wenn ausgerechnet Kickl die Oberaufsicht über die Ermittlungen gegen seinen Ex-Parteichef gehabt hätte. Nein, in Sachen „Ibiza“ hat Kanzler Kurz eine gute Figur gemacht.

Dass es jetzt dennoch nicht so leicht wird, liegt an der FPÖ. Sie hat nicht nur Federn gelassen, sie ist regelrecht gerupft worden. Reichen würde es für eine Neuauflage von Schwarz-Blau, wie man das in Österreich euphemistisch nennt, denn FPÖ-Politiker haben sich in anderthalb Jahren Regierungsbeteiligung allzu oft in Österreichs braune Vergangenheit gewagt. Kurz wäre einer Fortsetzung der Zusammenarbeit trotz allem nicht abgeneigt, denn der Abstand zum Juniorpartner beträgt nicht mehr rund viereinhalb Prozentpunkte, sondern mehr als 20. Doch das ist auch den Rechtspopulisten klar. Sie sind mit dem Wunsch nach einer Fortsetzung der Koalition in den Wahlkampf gezogen. Jetzt wollen sie sich unter ihrem neuen Parteichef Norbert Hofer in der Opposition regenerieren.

Mit der SPÖ dürfte es ebenfalls nichts werden. Die Sozialdemokraten haben unter ihrer Spitzenkandidatin Pamela Rendi-Wagner mit 21,2 Prozent das schlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte eingefahren. Auch für Kurz sind die Sozis nicht der Idealpartner. Er steht für Erneuerung, und Österreich wurde in den letzten sieben Jahrzehnten 43 Jahre von einer großen Koalition regiert. Sollte Kurz dennoch mit der SPÖ koalieren, würde er die FPÖ wiederbeleben.

Da es mit den liberalen NEOs nicht reicht, bleiben nur noch die wiedererstarkten Grünen. Die Partei hatte sich vor den Nationalratswahlen 2017 gespalten und war an der Vierprozenthürde gescheitert, während die abtrünnige Liste des ehemaligen Grünenpolitikers Peter Pilz knapp ins Parlament einzog. Diesmal scheiterte Pilz, und die Grünen kamen auf fast 14 Prozent. Mit ihnen hätte Kurz eine bequeme Mehrheit, doch die Verhandlungen dürften schwierig werden. Die Migrationspolitik des Ex-Kanzlers will nicht so recht ins grüne Weltbild passen. In Sachen Klimapolitik dürften die Grünen allerdings offene Türen einrenne.

Die Grünen haben ihren Wahlerfolg wohl mehr Greta Thunberg als ihrem Spitzenkandidaten Werner Kogler zu verdanken. Die 16-jährige schwedische Schülerin hat in Sachen Klimapolitik im letzten Jahr mehr bewegt als Umweltpolitiker in einem Jahrzehnt. Die SPÖ geht derzeit den Weg ihrer deutschen Schwesterpartei SPD, und der führt nach unten. Die 48-jährige Spitzenkandidatin Rendi-Wagner hat dabei ähnliche Probleme wie ihre frühere deutsche Amtskollegin Andrea Nahles sie hatte: ständige Querschüsse seitens der Altvorderen in der Partei. Im Gegensatz zu Nahles hat Rendi-Wagner allerdings keinen „Stallgeruch“. Sie trat erst 2017 in die SPÖ ein. Die fast gleichaltrige Nahles wurde schon mit 18 Jahren SPD-Mitglied. Viele Männer in beiden Partei trauten der jeweiligen Parteichefin das Amt der Bundeskanzlerin allerdings nicht zu. Und das überträgt sich auch auf die Wählerschaft.

Die ÖVP verdankt ihre Gewinne wohl in erster Linie ihrem Spitzenkandidaten und dann der FPÖ. Seit Kurz die Konservativen 2017 übernahm, und anders kann man das nicht ausdrücken, haben sie in der Wählergunst fast 14 Prozentpunkte zugelegt. Die Partei war am Ende, hatte in zehn Jahren fünf Parteivorsitzende verschlissen, und dann kam ein 31-jähriges Wunderkind.

So richtig erklärbar ist der Erfolg von Sebastian Kurz nicht. Man könnte Vergleiche zum französischen Präsident Emmanuel Macron bemühen, es bringt nichts. Kurz ist Kurz, ein einzigartiges politisches Phänomen. Er hat griffige Botschaften, geht nicht ins Detail und damit auch Widersprüchen aus dem Weg. Er ist so glatt wie seine Gelfrisur und so freundlich wie der Nachbarsjunge. Warum man ausgerechnet ihm, der keine Ausbildung abgeschlossen hat, mehr zutraut als der 15 Jahre älteren Medizinerin, Mutter und Ex-Ministerin Pamela Rendi-Wagner wird wohl ein Geheimnis der Österreicher bleiben.

Aber Kurz hat auch Glück gehabt. Glück, das sich in vier Prozentpunkten messen lässt. Wenige Tage vor der Wahl holte die FPÖ auch noch eine Spesenaffäre ein, nach der Ex-Chef HC Strache Parteigelder in die eigene Tasche gesteckt haben soll. Ob wahr oder nicht, es hat der Partei geschadet. In den Umfragen lag die FPÖ trotz Ibiza bis kurz vor der Wahl noch bei 20 Prozent. Am Ende wurden es 16 Prozent. Die ÖVP legte im Vergleich zu den Umfragen vier Prozent zu. Strache hat inzwischen seinen Ausstieg aus der Politik erklärt, seine Parteimitgliedschaft ruht. Ein Rausschmiss ist nicht ausgeschlossen. Für die FPÖ brechen schwierige Zeiten an, denn Strache war die Partei, genauso wie sein Ziehvater Jörg Haider. Ob der weniger polarisierende Norbert Hofer eine ähnliche Rolle spielen kann, darf man bezweifeln. Aber Strache wurde damals auch unterschätzt.

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