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Im Blickfeld: Zweiter Versuch

Von Stefan Kuhn

Anti-Trump
Anti-Trump-Demonstranten brachten ein großes “Remove Trump”-Banner auf der Straße vor dem US-Kapitol an. (Foto: dpa)

Man kann sich noch gut an das Triumph-Gehabe Donald Trumps vor einem Jahr erinnern. Am 5. Februar 2020 entschied sich der US-Senat mit republikanischer Mehrheit gegen eine Amtsenthebung des Präsidenten. Lediglich der republikanische Senator Mitt Romney, ein erklärter Trump-Gegner, stimmte beim Anklagepunkt „Machtmissbrauch“ mit den Demokraten. Dabei war offensichtlich, dass Trump seine Macht missbrauchte, als er den ukrainischen Präsidenten in einem Telefongespräch aufforderte, Ermittlungen gegen Joe Bidens Sohn Hunter einzuleiten. Jetzt gibt es ein zweites Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump. Am Mittwoch verabschiedete das von den Demokraten dominierte Repräsentantenhaus eine Anklage gegen den Präsidenten. Kernpunkt ist dessen Rolle bei dem Sturm seiner Anhänger auf den Kongress am 6. Januar. Aller Voraussicht nach wird es enden wie das erste: mit einem Freispruch für Donald Trump.

Dennoch sind die Umstände jetzt anders. Die Anklage, „Anstiftung zum Aufstand“, wiegt ungleich schwerer. Dass Trump den Wahlkampf seines gefürchtetsten Gegners Joe Biden torpedieren wollte, indem er den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj unter Druck setzte, scheint fast schon ein Kavaliersdelikt dagegen. Dann war 2020 ein Wahljahr - für die Republikanische Partei wäre es politischer Selbstmord gewesen, ihren natürlichen Kandidaten zu demontieren. Doch der hat die Wahl verloren und noch schlimmer, er weigert sich diese Niederlage anzuerkennen. Noch immer spricht Trump von einem „Erdrutschsieg“ und einer „gestohlenen Wahl“. Dies hat wohl entscheidend dazu beigetragen, dass die Republikaner beide Stichwahlen in Georgia und damit die Senatsmehrheit verloren haben.

Die Senatsmehrheit ist der dritte Punkt. Die Demokraten haben mit der Stimme der designierten Vizepräsidentin Kamala Harris eine Mehrheit von 51 zu 50 Stimmen im Senat. Das reicht zwar nicht für die zur Amtsenthebung notwendige Zweidrittelmehrheit, aber das Ergebnis im Senat wäre zumindest nicht so blamabel wie vor einem Jahr. Man kann davon ausgehen, dass sich eine deutliche Mehrheit für die Amtsenthebung des Präsidenten ausspricht. Das wäre zumindest ein symbolischer Akt.

Der Haken an der Sache ist, dass der Präsident zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr im Amt sein wird. Am 20. Januar ist die Amtseinführung von Joe Biden, der neue Senat kommt wohl erstmals am 19. zusammen. Von Bedeutung ist deshalb die Möglichkeit, Trump von politischen Ämtern auszuschließen. Es dürfte nicht wenige Republikaner geben, die froh wären, wenn der Unsägliche in vier Jahren nicht mehr antreten könnte. Es wäre eine einmalige Chance für die Partei, sich von Trump zu befreien. Ob allerdings 17 republikanische Senatorinnen und Senatoren offen den „Verrat“ wagen, darf man bezweifeln. Noch hat der Präsident enorme Macht bei der Parteibasis. Die fast 70 Millionen Stimmen, die Trump bei den Wahlen eingefahren hat, sind ein gewichtiges Argument. Er kann innerparteiliche Gegner vernichten, selbst sein treuer Vize Mike Pence geriet ins Visier des Präsidenten. Weil Pence sich weigerte, die parlamentarische Beglaubigung des Wahlergebnisses zu verhindern, nannte ihn Trump einen Verräter. Einige, die am Dreikönigstag das Kapitol stürmten, wollten ihn lynchen.

Pence ist allerdings immer noch treu. Er hat sich geweigert, den 25. Zusatzartikel der US-Verfassung anzuwenden, mit dem der Präsident durch einen vom Vize eingereichten Kabinettsbeschluss wegen „Amts-

unfähigkeit“ abgesetzt werden kann. Allerdings werden Pence auch Ambitionen auf eine Kandidatur 2024 nachgesagt. Selbst wenn er damit durchgekommen wäre, hätte er seine politische Karriere begraben können. Die Erfolgschancen waren allerdings minimal. Im Kabinett gibt es seit dem 6. Januar keine kritischen Geister mehr. Andere sind schon davor zurückgetreten oder rausgeworfen worden, weil sie Trumps Weigerung, die Wahlniederlage anzuerkennen und einen geordneten Machtübergang einzuleiten, kritisierten.

Das zweite Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump mag scheitern, aber es ist dringend nötig. Der Kongress darf einen Angriff auf sich selbst nicht aus politischer Räson unbeantwortet lassen. Und es ist offensichtlich, dass Trump der Anstifter des Aufruhrs war. Selbst wenn er nicht direkt zur Stürmung des Parlaments aufgerufen hat, er hat die Meute aufgehetzt und die Gewalt billigend in Kauf genommen. Es hätte schon große politische Symbolwirkung, wenn die Befürworter*innen einer Amtsenthebung in die Nähe der Zweidrittelmehrheit kämen. Das wäre ein Freispruch zweiter Klasse, über den Trump nicht jubeln könnte.

Es gibt dennoch gute Argumente gegen dieses Amtsenthebungsverfahren. Das gewichtigste ist, dass es den Amtsantritt des designierten Präsidenten Joe Biden erschwert. Statt mit dringenden politischen Fragen beschäftigt sich der Senat damit, einen Präsidenten des Amtes zu entheben, das er gar nicht mehr innehat. Biden ist deshalb auch kein Befürworter der Prozedur. Aber in dieser Hinsicht überwiegen die Vorteile. Trump ist sich bewusst, dass ein Damoklesschwert über ihm schwebt. Das wird ihn hoffentlich daran hindern, in der letzten Amtswoche noch größeres Unheil anzurichten. Eine Wahl zu verlieren ist für diesen Narzissten schon unerträglich, aber mit Schimpf und Schande aus dem Amt gejagt zu werden oder keines mehr bekleiden zu können, dürfte er nicht riskieren. Er ist seit dem 6. Januar auf Bewährung.

Dies auch in Hinsicht auf künftige Strafprozesse. „Anstiftung zum Aufruhr“ ist ein Bundesdelikt. Auch Trumps Drohanruf beim Wahlleiter von Georgia, seinem Parteifreund Brad Raffensperger, den er aufforderte, die nötigen Stimmen für seinen Wahlsieg zu „finden“, könnte strafrechtlich relevant sein. Es sind nicht die einzigen Fälle, in denen der Präsident andere zu Straftaten aufgefordert oder genötigt hat. Man kann davon ausgehen, dass auf Trump nach dem 20. Januar eine Prozesswelle zukommt. Er genießt dann keine Immunität mehr. Auch die Steuerermittlungen in New York könnten Bedeutung bekommen.

Es wird zwar immer noch genug Leute geben, die ihrem Idol glauben und von einer „Hexenjagd“ sprechen, aber es werden wohl weniger werden.

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