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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Im Blickfeld: Wunderschön langweilig

Von Stefan Kuhn

Angeblich war nie ein Duell der Vizepräsidentschaftskandidaten im US-Wahlkampf so wichtig wie dieses. Ein derartiger Superlativ ist zwar nötig, um die Einschaltquoten zu erhöhen, aber im Vorfeld des Duells zwischen Kamala Harris, der Vizekandidatin von Joe Biden, und Mike Pence, dem derzeitigen Vizepräsidenten unter Donald Trump, traf das durchaus zu. Aus zwei Gründen: Das Duell der Präsidentschaftskandidaten vor einer Woche war ein Desaster, und die Spitzenkandidaten Trump (74) und Biden (77) sind nicht mehr die Jüngsten. Als Trumps Covid-19-Erkrankung bekannt wurde, rückte der bisher recht blasse Vize plötzlich in den Vordergrund.

Die Debatte der beiden Vizekandidaten war im Vergleich zu der ihrer Chefs eine Art Wellness-Urlaub. Sie war sachlich, keine*r fiel der bzw. dem anderen ins Wort, und der gegenseitige Respekt war vorhanden. Sie war allerdings auch nichtssagend. Pence und Harris verteidigten die Positionen von Trump und Biden. Harris tat das überzeugender, aber Wahldebatten sind so etwas wie Fußballspiele. Anhänger eines Vereins mögen dem Gegner Respekt zollen, aber selbst bei krassen Fehlern nie die Anhängerschaft aufkündigen. Es kommt auf die neutralen Zuschauer an, im Wahlkampf die Unentschlossenen, und die dürften in der Debatte zwischen Pence und Harris kaum zu einer Entscheidung gekommen sein.

Man könnte sagen, Pence hat die Debatte gewonnen. Er hat die fast tollwütigen Attacken Trumps in der Debatte mit Biden etwas relativiert. Er hat zumindest versucht, die Fettnäpfchen, die sein Präsident hinterlassen hat, zu verwässern. Das mag ihm gelungen sein, denn der Faktencheck seiner Aussagen interessiert nach der Debatte kaum einen.

Deshalb ist es auch unbedeutend, dass Harris in dieser Hinsicht klare und präziser war. Allerdings hat sie die Debatte gewonnen, weil sie effektiver Eigenwerbung betrieben hat. Beide Vizekandidaten machten in erster Linie Wahlpropaganda für den jeweiligen Präsidentschaftskandidaten, aber Harris konnte mit ihrer Kompetenz in Rechtsfragen punkten.

Die Frage, wer von den beiden präsidiabler ist, konnte die Debatte allerdings nicht beantworten. Das hängt von der politischen Grundeinstellung der Wähler*innen ab. Und in dieser Hinsicht hat Kamala Harris die schlechteren Karten. Sie ist die Tochter von Einwanderern, befürwortet das Recht auf Abtreibung und ist eine Frau. Wenn die US-Amerikaner*innen zwischen Pence und Harris entscheiden müssten, würde der nächste Präsident der Vereinigten Staaten wohl Mike Pence heißen. Ganz abgesehen von seiner Kompetenz.

Und seiner Aufrichtigkeit. Pence hat in der Debatte offensichtliche Trump-Lügen verbreitet. Er hat geradezu irrwitzige Aussagen seines Chefs relativiert. Das mag in gewisser Weise unwichtig erscheinen. Aber wenn man Lügen permanent wiederholt, werden sie am Ende zur Wahrheit.

Die Debatte der Vizepräsidentschaftskandidaten wurde im Vorfeld überschätzt. Sie dürfte wie in den vergangenen Wahljahren keinen Einfluss auf das Wahlergebnis haben. Harris und Pence habe sich gut geschlagen, aber am Ende geht es nur um Trump und Biden.

In den landesweiten Umfragen sieht es gut aus für Biden. Landesweit hat er einen Vorsprung von fast acht Prozentpunkten. Aber das mag nichts heißen. Hillary Clinton hatte 2016 rund drei Millionen Stimmen mehr als Trump. Es kommt auf die Wahlmännerstimmen an, und Trump hatte in den entscheidenden "Swing States", die mal republikanisch und mal demokratisch wählen, die Nase vorn. Bei den nächsten Wahlen kommt es vor allem auf Ohio und Florida an. Laut den letzten Umfragen ha Biden in diesen Staaten eine hauchdünne Mehrheit. Darauf kann er sich allerdings nicht verlassen.

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