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Im Blickfeld: Wladimir der Wahnsinnige

Von Stefan Kuhn

Wladimir Putin
Wladimir Putin. (Foto: dpa)

Er lügt die Welt an und überfällt grundlos einen weit unterlegenen Nachbarn. Er droht der Welt mit einem Atomkrieg. Die Gründe, die Russlands Präsident für die Invasion der Ukraine vorschiebt, sind frei erfunden und so schamlos, dass sie jeden vernünftigen Menschen sprachlos machen. Wladimir Putin will einen Genozid stoppen, ein "faschistisches System" zerstören und das ukrainische Brudervolk befreien. Er beklagt das Vordringen der Nato, die angeblich Russland bedroht und die Ukraine in das Militärbündnis holen will. Das ist natürlich alles haarsträubender Unsinn, aber selbst wenn ein Funken gefühlte oder "alternative" Wahrheit darin stecken würde, hätte sich Putin gewaltig verschätzt. Er hat schon jetzt das Gegenteil von dem erreicht, was er wollte.

Das "Brudervolk" hält rein gar nichts von derart violenter Geschwisterliebe. Putin hat den Widerstand gewaltig unterschätzt. Die Ukrainer und Ukrainerinnen verteidigen ihr Land mit einer Verbissenheit, die selbst im Westen mit staunender Bewunderung wahrgenommen wird. Sie kämpfen für eine Nation, der Putin die Existenzberechtigung abspricht. Gut, dass die Ukraine Republik war, hat sie Lenin zu verdanken. Stalin dann, dass sie neben der Sowjetunion UN-Mitglied war. Unabhängig war die Ukraine aber bis zum Zerfall der UdSSR nie. Selbst nach der Unabhängigkeit 1992 war das Land gespalten: in einen europafreundlichen Westen und einen Russland-affinen Osten. Mit seiner Invasion hat Putin vor allem eines erreicht. Er hat der Ukraine zu einer nie dagewesenen nationalen Identität verholfen.

Man muss sich keine Illusionen über die militärische Aussichtslosigkeit des ukrainischen Widerstands machen, aber zumindest eines ist sicher. Russland wird viele Opfer zu beklagen haben, und das dürfte in der Heimatfront nicht gut ankommen. Die ukrainischen Opfer werden Russland zum internationalen Paria machen. Das Putin-Reich wird am Ende nicht größer und glänzender sein, sondern weltweit geächtet. Als Besatzer werden die Russen kaum in dem zweitgrößten Flächenland Europas bleiben können, das dürfte in jeder Hinsicht teuer werden.

Auch die Nato, deren Osterweiterung viele westliche Putin-Versteher ja als berechtigten Grund für die Invasion der Ukraine sehen, geht gestärkt aus der Krise hervor. Putin hat das Verteidigungsbündnis geeint. Zuvor hatte der im Kalten Krieg gegründete Nordatlantikpakt fast schon seine Existenzberechtigung verloren. Die sowjetische Bedrohung war nicht mehr da, die USA hatten ihr Interesse verloren, nachdem viele europäische Mitglieder George W. Bushs Krieg im Irak nicht unterstützt haben. Donald Trump hielt sie für "obsolet", der französische Präsident Emmanuel Macron für "hirntot". Durch Putins Aggression hat sie wieder eine Existenzberechtigung.

Die angebliche Bedrohung Russlands durch die Nato hat so auch nie existiert. Der Pakt ist ein reines Verteidigungsbündnis, fürchten muss sie nur ein Aggressor. Die Osterweiterung geschah auf Willen der baltischen Staaten und Polens, die den Beitritt wollten, weil sie sich von Russland bedroht fühlten. So richtig ernst hat man das in Brüssel aber nie genommen. Nato-Truppen gab es kaum in diesen Staaten, eher symbolische Kontingente. Das hat sich jetzt geändert. Seit dem Überfall auf die Ukraine verlegt die Nato immer mehr Soldaten und Waffensysteme ins Baltikum und nach Polen, auch nach Ungarn, die Slowakei, Bulgarien und Rumänien. Fürchten muss sich weiterhin nur ein Aggressor, aber Russland hat inzwischen mehr militärische Kraft vor der Haustür als vor dem Angriff. Zudem ist auch die Stimmung bei einem neutralen Nachbarn Russland gekippt. In Finnland ist zum ersten Mal eine Mehrheit der Bevölkerung für einen Nato-Beitritt des Landes.

Überrascht wurde Putin auch von den westlichen Sanktionen gegen sein Land. Einige, wie den Stopp der Erdgaspipeline Nord Stream 2, hat er wohl einkalkuliert und auch seine Kriegskasse prall mit Devisen gefüllt. Die Sanktionen gegen die Staatsbank machen die Reserven allerdings weitgehend nutzlos. Russland wird in Zukunft auch weniger Erdgas, Erdöl und Kohle nach Europa liefern. Der Ausstieg aus der Kohle ist bereits beschlossenen Sache, und Erdöl hätte mittelfristig nur noch für die chemische Industrie eine größere Bedeutung. Der Verzicht auf fossile Brennstoffe ist ein Hauptbestandteil der Klimapolitik. Aber Erdgas hätte als Brückentechnologie noch jahrzehntelang eine Einnahmequelle für Russland sein können. Das hat Putins Angriffskrieg verhindert. Europa wird sich so schnell wie möglich unabhängig von russischem Gas machen.

Die Wirtschaftssanktionen sind beispiellos in der Geschichte und werden Russland auf Jahre hinaus schwächen. Sie werden auch nicht enden, wenn Russland die Ukraine niedergerungen hat. Sie werden vor allem die russische Bevölkerung schwächen, der Rubel am Montag bis zu 40 Prozent seines Werts gegenüber dem US-Dollar verloren. Steigt die Inflation weiter an, dürfte das die Unzufriedenheit der Bevölkerung steigern. Wenn dann noch immer mehr tote Soldaten aus der Ukraine nach Russland zurückkehren, hätte Putin das im eigenen Land, wovor er am meisten Angst hat: massive Proteste und Demokratiebewegungen wie in Weißrussland und zuletzt in Kasachstan oder Umwälzungen wie 2014 in der Ukraine.

Sicher ist schon jetzt, dass Putin nicht als Retter des russischen Imperiums in die Geschichte eingehen wird, sondern eher als Wladimir der Wahnsinnige. Wenn jemand ohne Rücksicht auf Verluste grundlos seinen Nachbarn angreift und schon bei ersten Rückschlägen mit Atomwaffen droht, dann muss man sich ernsthafte Sorgen um seine Gesundheit machen. Putin wird seinen Untergang jedoch bis zur letzten Konsequenz verhindern wollen. Er ist nicht unberechenbar, sondern unzurechnungsfähig. Stoppen werden ihn nur Menschen aus dem inneren Zirkel der Macht können.



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