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Im Blickfeld: Warten auf Brandenburg

Von Stefan Kuhn

Noch werden bei CDU und SPD die Europawahl-Wunden geleckt. Deshalb wird in nächster Zeit in der deutschen Politik wenig geschehen. Das Knirschen und Knacken kann man allerdings hören. Es kommen Fragen auf, die sich gar nicht stellen. Bei der CDU wird urplötzlich darüber diskutiert, ob AKK Kanzlerin kann, dabei heißt die deutsche Regierungschefin immer noch Angela Merkel und die Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie zu hinterfragen, hieße, in den SPD-Modus zu verfallen. Und das dürften kaum im Interesse der CDU sein.

Bei den Sozialdemokraten hat sich die Lage ein wenig beruhigt, seit die drei Konkursverwalter Malu Dreyer, Manuela Schwesig und Thorsten Schäfer-Gümbel das Ruder übernommen haben. Bei den Sozis weiß aber keiner, wie es weitergehen soll. Gibt es demnächst eine Doppelspitze, wie bei den Grünen, der Linken oder der AfD? Unsicher ist auch, ob die Mitglieder direkt abstimmen, oder die Kandidat/innen sich wie bei der CDU in Regionalkonferenzen präsentieren und dann von einem Parteitag gewählt werden. Von denen hat sich noch keiner geoutet, aber das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ beschäftigt sich in seiner jüngsten Titelgeschichte tatsächlich mit der Frage, ob der 29-jährige Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert das Zeug hat, in die Fußstapfen Willy Brandts zu treten.

Ganz andere Probleme haben die Grünen. Sie haben bereits eine Doppelspitze, und deshalb kommt immer wieder die Frage auf, ob Annalena Baerbock oder Robert Habeck Kanzlerkandidat/in wird. Das ist zugegebenermaßen ein Luxusproblem, das nur aufgekommen ist, weil die Grünen in vier von sechs Umfragen zu den Bundestagswahlen gleichauf mit oder vor den Unionsparteien liegen. Sollte es zu Neuwahlen kommen, hätten die Grünen schon Schwierigkeiten mit der Kandidat(inn)enkür. Auf Platz eins steht immer eine Frau. Habeck erfüllt dieses Kriterium definitiv nicht, ist derzeit allerdings der beliebteste Politiker Deutschlands und würde laut Umfragen die CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer im direkten Duell schlagen. Beliebteste Politikerin ist allerdings weder AKK noch Annalena Baerbock, sondern, man mag sich wundern, Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie liegt knapp hinter Habeck auf Platz zwei der Liste.

Dass die Grünen auf das derzeitige Theater um sich selbst nicht eingehen, hat gute Gründe. Sie sind gebrannte Kinder. Nach der Atomkatastrophe von Fukushima 2011 schwammen sie schon einmal auf einer Erfolgswelle. Zwei Wochen nach dem Reaktorunfall wurde die Partei bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg zweitstärkste Kraft und konnte in einer Koalition mit der SPD zu ersten und bisher einzigen Mal in einem Bundesland den Ministerpräsidenten stellen. Der Grüne Winfried Kretschmann ist immer noch im Amt. Er konnte fünf Jahre später die CDU überholen und regiert seither in einer Koalition mit den Christdemokraten. Fukushima und der Erfolg im Südwesten trieben die Grünen zu schier unglaublichen Umfragewerten. Im Mai 2011 lag die Ökopartei vor der SPD und nur wenige Prozentpunkte von der Union entfernt.

Für die im September 2011 stattfindenden Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus trauten die Meinungsforscher den Grünen noch im Mai sagenhafte 31 Prozent zu. Die Partei stellte mit der früheren Bundesministerin Renate Künast eine Kandidatin für das Berliner Spitzenamt auf. Künast holte mit 17,6 Prozent ein Rekordergebnis. Angesichts der Umfragen war dies eine gefühlte Niederlage. Die Grünen kamen hinter SPD und Union nur auf Platz drei. Zwei Jahre später, bei den Bundestagswahlen 2013, war die Umfrageblase endgültig geplatzt. Die Grünen verloren im Vergleich zu 2009 2,3 Prozentpunkte. Bis zum nächsten Wahltermin fehlen regulär auch noch zwei Jahre.

Allerdings glauben nur wenige, dass die große Koalition noch zwei Jahre hält. Die Unionsparteien dürften wenig Lust auf einen vorgezogenen Urnengang haben. Das „Merkel-muss-weg“-Geschrei ist leiser geworden, und mit Merkel fährt man den Umfragen nach besser als mit AKK. Das Problem ist die SPD. Die Partei ist nur widerstrebend in die GroKo gegangen und will das Regierungsbündnis, so wurde dies auch im Koalitionsvertrag festgehalten, bei Halbzeit einer Revision unterziehen. Das könnte nach dem 1. September geschehen, das heißt nach den Landtagswahlen in Brandenburg und in Sachsen. Verliert die SPD in Brandenburg, wo sie mit Dietmar Woitke den Regierungschef stellt, wird die GroKo in Berlin wohl Geschichte sein. Die jüngsten Umfragen sehen die rechtsextreme AfD mit 21 Prozent im Berliner Umland in Führung. Es folgen die SPD (18 %), die CDU und die Grünen mit jeweils 17 Prozent. Berücksichtigt man die statistische Fehlerquote, liegen die vier Parteien fast gleichauf. Die Linke ist mit 14 Prozent auch nicht viel schwächer. Für die SPD würde ein solches Wahlergebnis unerträgliche Verluste von 14 Prozentpunkten bringen.

Brandenburg dürfte die Schicksalswahl für die GroKo werden. Bei Wahlen in Sachsen und Ende Oktober in Thüringen hat die SPD nur wenig zu verlieren. In beiden Bundesländern holte sie vor fünf Jahren nur um die 12 Prozent der Stimmen. Fällt aber Brandenburg, dürften Neuwahlen nur eine Frage der Zeit sein. Bei der SPD wäre dann die Angst vor einem schlechteren Ergebnis als bei der Bundestagswahl 2017 geringer als die vor einem Fall ins Bodenlose. Und zur GroKo gibt es keine Alternative. Jamaika hat die FDP vergeigt, und die Grünen wären schön blöd, als parlamentarisch kleinste Partei erneut Koalitionsgespräche zu beginnen. Laut Umfragen könnten sie ihre Stimmenzahl verdreifachen und den/die Kanzler/in stellen. Andere Szenarien wie eine CDU/CSU-Minderheitsregierung sind unwahrscheinlich.

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