Von Marcus Christoph
Es ist ein Kuriosum, das in gewisser Weise noch an die einstige deutsche Teilung erinnert: Auf den Tag genau seit 25 Jahren leistet sich das wiedervereinigte Deutschland den Luxus, zwei Regierungssitze zu haben. Neben der Hauptstadt Berlin hat auch das beschauliche Bonn noch bundespolitische Funktionen. Noch heute haben 6 von 14 Ministerien ihren ersten Dienstsitz in der einstigen Hauptstadt der alten Bundesrepublik. Dies ist Konsequenz aus dem Berlin-Bonn-Gesetz, das am 26. April 1994 unterzeichnet wurde. Es sollte die Aufteilung zwischen den beiden Städten regeln und sah vor, dass „der größte Teil der Arbeitsplätze der Bundesministerien in der Bundesstadt Bonn erhalten bleibt“.
Heute sind die Ministerien für Bildung und Forschung, für Gesundheit, für Landwirtschaft, für Umwelt sowie für Verteidigung und Entwicklung noch in Bonn angesiedelt - aber auch die Bundesministerien, deren erster Dienstsitz Berlin ist, haben einen zweiten Sitz in Bonn.
Geht es nach Armin Laschet, dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, soll dieser Zustand auch weiterhin so bleiben. Mehr noch: Der CDU-Politiker fordert eine Zusatzvereinbarung zu dem erwähnten Gesetz, deren Ziel es ist, Bonn als zweites bundespolitisches Zentrum zu stärken.
Hintergrund von Laschets Initiative ist die Sogwirkung, die die Metropole Berlin in den zurückliegenden Jahren ausgeübt hat. Befanden sich im Jahr 2000 noch knapp 60 Prozent aller Planstellen in Bonn, waren es 2017, dem Zeitpunkt des letzten Teilungskostenberichts des Bundesfinanzministeriums, nur noch 33,1 Prozent. Es zeichnet sich der Trend ab, dass gerade junge und ehrgeizige Beamte sich bemühen, nach Berlin zu ziehen.
In seiner Funktion als Landesvater kann man Laschet verstehen, dass er versucht, den Standort Bonn zu schützen bzw. aufzuwerten. Nur ob dies im Interesse der gesamten Republik und namentlich der Steuerzahler ist, lässt sich durchaus bezweifeln.
Schon das Zustandekommen des Berlin-Bonn-Gesetzes sollte man heute mit dem Abstand eines Vierteljahrhunderts neu beurteilen. Seine Grundlage war der Hauptstadtbeschluss des deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991. Damals entschied das Parlament nur mit einer knappen Mehrheit von 338 zu 320 Stimmen, dass Berlin Parlaments- und Regierungssitz des wiedervereinigten Landes werden sollte.
Heute freuen sich viele Deutsche, eine echte Hauptstadt zu haben, die über starke Symbole verfügt und im In- und Ausland als eine der faszinierendsten Metropolen der Gegenwart gilt. Zudem steht die einst geteilte Stadt wie kein anderer Ort für Überwindung der Teilung und das anschließende Zusammenwachsen von West und Ost. Aus jetziger Sicht ist es kaum noch nachvollziehbar, dass 48,5 Prozent der damaligen Abgeordneten lieber im provinziellen Bonn im äußersten Westen der Republik geblieben wären.
Dass die knappe Mehrheit überhaupt zustande kam, lag zum einen an starken Redebeiträgen zugunsten Berlins wie der von Willy Brandt und Wolfgang Schäuble. Zum anderen bedurfte es damals aber auch der Zusicherung, einen beträchtlichen Teil des Regierungsapparates in Bonn zu belassen. Anderenfalls wäre mit großer Wahrscheinlichkeit kein Beschluss zugunsten Berlins zustande gekommen.
Doch die Folgen dieses (damals wohl notwendigen) Kompromisses spürt der Steuerzahler bis heute: Rund 8 Millionen Euro kostet der „Wanderzirkus“, wie die Linken-Abgeordnete Gesine Lötzsch den Zustand der Doppel-Hauptstadt beschrieb, jährlich den Steuerzahler. Mehr als 22.000 Dienstreisen pro Jahr, große Arbeitszeitverluste, Hunderte Tonnen Postverkehr und zusätzlicher Büroflächenbedarf, listete „Der Spiegel“ im Jahr 2015 die kostenintensiven Nachteile der Aufgabenteilung zwischen Bonn und Berlin auf. Schon damals monierte der Bund der Steuerzahler Unkosten von über 350 Millionen Euro, die der doppelte Regierungssitz seit Anfang der 90er Jahre gekostet habe. Der einmalige Aufwand für einen Komplettumzug würde sich demnach schon nach zehn Jahren rechnen.
Doch politische Mehrheiten scheint es für einen solchen überfälligen Schritt derzeit wohl nicht zu geben. So scheiterte vor knapp zwei Jahren die Linksfraktion im Bundestag mit ihrem Antrag, die Zweiteilung der Regierung zwischen Berlin und Bonn „endgültig“ aufzuheben, am Widerstand aller anderen Parteien.
Doch vielleicht könnte das 25-jährige „Jubiläum“ des Berlin-Bonn-Gesetzes der Anlass sein, die bisherige Regelung zu überdenken. Es wäre ein weiterer Schritt zur Verwirklichung der inneren deutschen Einheit, der für die Regierungsarbeit praktische Vorteile und für die Steuerzahler langfristig Entlastungen mit sich bringen würde. Bonn, das 1949 durch eine Intrige Konrad Adenauers den Vorzug gegen Frankfurt als (provisorische) westdeutsche Hauptstadt erhielt, hat in der deutschen Nachkriegsgeschichte ohne Frage seine Verdienste erworben. Es steht für den erfolgreichen demokratischen Neustart im westlichen Teil Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch diese Meriten dürfen nicht dazu führen, einen letztlich absurden Zustand zweier Regierungssitze zu verewigen.
Andere Städte von der Größe Bonns müssen schließlich auch ohne bundespolitischen Sonderstatus über die Runden kommen. Es ist zudem jetzt schon ein UN-Standort, Zentrum internationaler Konferenzen sowie Sitz der Deutschen Post und der Telekom. Ein Weltuntergangsszenario wäre für Bonn bei einem Komplettumzug nach Berlin nicht zu erwarten.
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