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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Im Blickfeld: Viel Lärm um viel

Von Stefan Kuhn

Deutschland zahlt. So knapp könnte man das Ergebnis des EU-Gipfels zusammenfassen. Die Aussage ist durchaus richtig, aber eben auch eine Binsenweisheit. Deutschland hat schon immer gezahlt, und durch den Ausfall Großbritanniens, das ebenfalls ein bedeutender Nettozahler in den EU-Haushalt war, ist der Beitrag der Bundesrepublik logischerweise gestiegen. Deutschland investiert, wäre treffender, bisherige Bundesregierungen haben das finanzielle Engagement in der Regel als Investition in die Zukunft betrachtet. Der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl war bekannt dafür, Unstimmigkeiten innerhalb der Europäischen Union mit dem Geldbeutel zu regeln. Das gilt auch heute noch, denn die Exportnation Deutschland profitiert am meisten von der EU. Im vergangenen Jahr gingen über zwei Drittel der deutschen Ausfuhren in EU-Länder.

Der Mammut-Gipfel von Brüssel, der immer wieder verlängert wurde und sich über vier Tage bis zum Montag hinzog, war dennoch ein besonderer. Zum ersten Mal wurde beschlossen, gemeinsam Schulden aufzunehmen. Für Berlin war das bisher ein Tabu, weil es unter den Deutschen unpopulär und deshalb in CDU und CSU politisch nicht durchsetzbar war. Das sieht seit Corona anders aus. Selbst die bayrische CSU stand hinter dem 750 Milliarden schweren Corona-Hilfsprogramm der EU. Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es Deutschland schadet, wenn große europäische Wirtschaftsnationen wie Frankreich, Italien und Spanien längerfristig kränkeln.

Es ist schade, dass sich eben diese Erkenntnis nicht bei den "sparsamen Vier" durchgesetzt hat. Die Niederlande, Österreich, Schweden und Dänemark wehrten sich vehement gegen das Hilfsprogramm. Im Laufe der Verhandlungen schloss sich auch Finnland den Vieren an. Es ging ihnen hauptsächlich darum, dass zwei Drittel der geplanten Gelder, also 500 Milliarden Euro, als Zuschüsse vergeben werden sollten und nur 250 Milliarden als Kredite. Doch das dürfte von vornherein Verhandlungsmasse gewesen sein. Mit dem jetzt beschlossenen Verhältnis von 390 Milliarden an Zuschüssen und 360 Milliarden an Krediten dürften beide Seiten leben können. Es bleibt allerdings ein unangenehmer Beigeschmack. Es ist klar, dass überschuldete Länder wie Italien kaum auf die Beine kommen, wenn sie weitere Schulden aufnehmen, und ausgerechnet reiche Staaten wie die "sparsamen Vier" so vehement gegen Zuschüsse wehren, wirkt äußerst unsolidarisch. Dazu kommt, dass diese Länder auch ein vitales Interesse an einer wirtschaftlichen Erholung der von Corona geplagten südeuropäischen EU-Mitglieder haben müssten. Für Österreich etwa ist Italien knapp hinter den USA drittwichtigster Handelspartner.

Andere Anliegen der Vier waren durchaus berechtigt. Dass finanzielle Zuschüsse für die entsprechenden Länder mit wirtschaftlichen Reformen verbunden werden, versteht sich von selbst. Allerdings sollte man sich in dieser Hinsicht vor Bevormundung hüten. Die in Brüssel von Österreichs Kanzler Sebastian Kurz geäußerte Italien-Schelte mag bei FPÖ-Stammtischen in seinem Land gut ankommen, für Italiener*innen ist dies ein Affront. Dass Europa Italien hilft, könnte EU-feindliche Krakeeler wie Matteo Salvini klein halten. Kurz-sichtige überhebliche Kommentare treiben dem rechtspopulistischen Italiener Wähler zu.

Man kann dem Aufstand der Vier etwas Positives abgewinnen. Kanzler Kurz hat das euphorisch sinngemäß so ausgedrückt, dass die Kleinen sich gegen die Großen durchgesetzt haben. Das ist irgendwie sympathisch. David gegen Goliath. Vier kleine Länder gegen die vier größten EU-Volkswirtschaften Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien. Es wäre sympathisch, wenn es um eine andere Sachfrage gegangen wäre und nicht um Mangel an Solidarität. Im Übrigen hätte auch Malta allein das Hilfsprogramm zum Fall bringen können. Bei der Entscheidung galt das Einstimmigkeitsprinzip. Jeder der 27 Mitgliedsstaaten musste zustimmen.

Ein anderer, durchaus wichtiger Aspekt ist die Verbindung der Zuschüsse mit der Rechtsstaatlichkeit. Die EU hat so ihre Probleme mit Ländern wie Ungarn und Polen. Beide Länder haben die Gewaltenteilung aufgeweicht, indem sie die Judikative unter Regierungskontrolle gebracht haben. In Ungarn versucht Ministerpräsident Viktor Orban zudem, die Pressefreiheit einzuschränken. Derartige Maßnahmen passen eher zu autoritären Regimen und nicht zu einem EU-Mitgliedsland. Allerdings schlägt sich die EU schon lange mit diesen Problemkindern herum. Es laufen Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen beide Länder. Das ist auch nötig, sonst würde die EU als Wertegemeinschaft ihre Glaubwürdigkeit verlieren.

Allerdings war es kontraproduktiv, das Thema in die Verhandlungen über das Hilfspaket einzubringen. Damit wurden schlafende Hunde geweckt. Es war klar, dass sich Polen und Ungarn gegen eine Koppelung wehren und die Zustimmung verweigern würden. Letztendlich hat man eine Kompromissformel gefunden, die juristische Zweifel hinterlässt. Das war unnötig. Wenn die EU Polen oder Ungarn eine Vertragsverletzung nachweist, kann die Mitgliedschaft suspendiert und es können Sanktionen eingeleitet werden. Darunter dürfte auch die Verteilung von EU-Geldern fallen.

Die Einigung der 27 EU-Staaten war eine schwere Geburt. Man kann sich vorerst darüber freuen. Auch wenn die Niederlande die Rolle Großbritanniens eingenommen haben, wäre sie ohne den Brexit vermutlich nicht zustande gekommen. Ob sich die deutsche Investition und der Einsatz Angela Merkels gelohnt haben, wird sich vermutlich erst zeigen, wenn sie nicht mehr im Amt ist.

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