Von Stefan Kuhn
Wenn sich das Militär gegen eine demokratisch gewählte Regierung erhebt, kann man das nie rechtfertigen. Die Gründe für einen Putsch sind in der Regel vorgeschoben. Doch selbst wenn in der Bevölkerung den Putschisten gewisse Sympathien entgegengebracht werden, weil diese ein dysfunktionales politisches System beseitigt und die öffentliche Ordnung wiederhergestellt haben, gilt vor allen eines: Die Streitkräfte sind dazu da, das Land vor äußeren Angriffen zu schützen. Innenpolitisch müssen sie neutral sein. In der Regel geht es den Generälen um Machterwerb, Machterhalt und nicht selten um persönliche Bereicherung.
Das erklärt auch, warum Militärregierungen relativ lange an der Macht sind. Wenn es Jahre oder Jahrzehnte dauert, bis die öffentliche Ordnung wiederhergestellt ist, dann muss die selbsternannte Ordnungsmacht etwas grundlegend falsch machen.
Vorgeschobene Gründe für einen Militärputsch lassen sich immer finden, aber selten war einer so sinnlos wie der in Myanmar am vergangenen Wochenende. Im ehemaligen Birma ist die vor zehn Jahren eingeführte Demokratie noch ein zartes Pflänzchen. Das Militär, damals fast ein halbes Jahrhundert an der Macht, besetzt nach wie vor wichtige Schaltstellen, etwa die Ministerposten für Verteidigung, Inneres und Sicherheit. Zudem sind - unabhängig vom Wahlausgang - ein Viertel der Parlamentssitze den Streitkräften vorbehalten. Damit sind die Privilegien zementiert, denn für Verfassungsänderungen ist eine Dreiviertelmehrheit plus eine Stimme nötig. Auch in großen Wirtschaftsunternehmen geben Uniformierte die Richtung vor.
Dazu kommt, dass das Militär trotz einer demokratisch gewählten Regierung die Politik generell dominiert. Es ist den Generälen sogar gelungen, den Ruf von Aung San Suu Kyi, der De-Facto-Regierungschefin und Friedensnobelpreisträgerin, zu zerstören. Die Massaker an der muslimischen Minderheit der Rohingya durch die Streitkräfte und die Vertreibung des Volkes wurde von Aung San Suu Kyi nicht eindeutig verurteilt. Mag sein, dass die politische Ikone darin keine verurteilenswerte Tat sieht, denn im Land gibt es große Spannungen zwischen Religionen und Ethnien. Sicher ist aber, dass das Militär Kritik an dem Vorgehen nicht hingenommen hätte. Dem weltweiten Ansehen von Aung San Suu Kyi hat ihr Schweigen allerdings sehr geschadet.
Innenpolitisch trat das Gegenteil ein. Bei den Wahlen vom November schaffte Suu Kyis Partei Nationale Liga für Demokratie (NLD) einen Erdrutschsieg. Die NLD hat jetzt die absolute Mehrheit und ist nicht mehr auf Kleinparteien angewiesen. Obwohl sich dadurch für die Armee wenig änderte, zweifelte diese das Ergebnis an, sprach von Wahlbetrug und forderte eine Neuauszählung. Eine Überprüfung des Wahlergebnisses war auch der offizielle Grund für den Putsch.
November, Wahlen, Betrug, Putsch - so manch einer wird da ein Déjà-vu-Erlebnis haben. Donald Trump ist nicht an allem schuld, was seit 2017 auf der Welt geschah, aber für Myanmar hat er zumindest eine Blaupause geliefert. Ohne die Geschehnisse in den USA, ohne den Sturm aufs Kapitol hätten die Militärs in Myanmar den Putsch wohl nicht gewagt. Armeechef Min Aung Hlaing hat das getan, was Trump gerne getan hätte. Dazu kommt, dass die neue US-Regierung unter Joe Biden nicht überzeugend den demokratischen Zeigefinger heben kann. Immerhin glaubt noch gut ein Drittel der US-Bevölkerung, dass Biden durch Wahlbetrug ins Amt gekommen ist. Durch Trumps Außenpolitik sind die USA inzwischen auch weiter denn je davon entfernt, eine Ordnungsmacht in Asien zu sein.
Britische Birma-Kenner gehen davon aus, dass Min Aung Hlaing persönliche Gründe für den Putsch hatte. Er wäre aus Altersgründen demnächst aus dem Amt geschieden. Eine Verlängerung der Amtszeit hätte in den Händen von Suu Kyi gelegen. Das Risiko war ihm wohl zu hoch. Dafür ging er andere ein: Unruhen im eigenen Land und außenpolitisch wieder als Paria zu gelten. Persönliche Macht über das Wohl des Landes zu stellen ist kein Alleinstellungsmerkmal von Militärs, aber doch kennzeichnend.
Viel wird jetzt von China abhängen. Die Supermacht hat kein Interesse am Aufbau von demokratischen Strukturen in der Region. Peking will seine Wirtschaftsbeziehungen ausbauen, und Myanmar ist Teil des Wirtschaftsprojektes "Neue Seidenstraße". Stabile Verhältnisse in den entsprechenden Ländern sind dabei eine Grundvoraussetzung. In Myanmar herrschten stabile Verhältnisse, die durch den Putsch gefährdet sind. Widerstand gegen die Militärdiktatur und Sanktionen gegen das Land könnten chinesische Wirtschaftsinteressen gefährden. In diesem Fall hätte sich General Min Aung Hlaing verkalkuliert.
Myanmar ist eine erste Bewährungsprobe für US-Präsident Joe Biden und seinen Außenminister Anthony Blinken. Gelingt es, eine Sanktionsallianz zu schmieden, die auch Indien, Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland mit einschließt, könnte China Druck auf Myanmar ausüben. Abgesehen von Indien sind die Staaten Mitglieder des asiatisch-pazifischen Freihandelsabkommens RCEP. Myanmar ist auch dabei, dürfte aber für China eine zu vernachlässigende Größe sein. RCEP ist das größte Freihandelsabkommen der Welt und auch ein großer politischer Erfolg für Peking. Es war die Antwort der chinesischen Führung auf den von Trump angezettelten Handelskrieg gegen das Land. Mit Indien und der Europäischen Union gibt es noch andere Handelspartner Chinas, die den Putsch verurteilen. Die Frage ist nur, ob es wie so häufig bei Worten bleibt oder Taten folgen. Man kann aber davon ausgehen, dass China seinen wirtschaftlichen Aufstieg nicht von einem selbstverliebten birmanischen General und dessen sinnlosem Putsch bremsen lässt. Ein wenig Hoffnung bleibt noch für das zarte Pflänzchen Demokratie in Myanmar.
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