Von Manuel Schwarz
Erstmals könnte Italien eine Ministerpräsidentin bekommen. Von Feminismus aber hält Giorgia Meloni nichts. Sie unterscheidet sich dabei nicht von vielen ihrer männlichen Kollegen. Etliche Frauen bangen deshalb vor einer Zukunft unter der Rechtspopulistin.
Deutschland hatte bereits eine, in Großbritannien ist heute schon die dritte im Amt: Nach den Parlamentswahlen am kommenden Wochenende könnte erstmals auch in Italien eine Frau an die Spitze der Regierung treten. Die Nationalistin Giorgia Meloni führt laut Umfragen deutlich, ihrer Mitte-Rechts-Allianz winkt ein überwältigender Sieg. Nach 30 Männern im Amt des Regierungschefs seit 1945 kann die Chefin der extrem rechten Partei Fratelli d'Italia im premier-verschleißenden Rom Geschichte schreiben. Würde das eine Zeitenwende bedeuten in dem so von Männern dominierten Mittelmeerland? Es ist kompliziert.
Von einer wichtigen Entwicklung spricht der Politikwissenschaftler Andrea Ungari. "Ein Wahlsieg Melonis könnte die Frauen mehr in den Mittelpunkt der Politik stellen", sagt der Professor an der Römer Universität Luiss der Deutschen Presse-Agentur. "Meiner Meinung nach wäre das ein Schritt nach vorne für die Frauen." Ungari erinnert daran, dass es Meloni "ohne große Hilfe" so weit geschafft habe, "und nicht, weil sie Ehefrau oder Tochter von irgendjemandem war".
Dass die 45-Jährige aber just bei Italiens Rechten erfolgreich sein konnte, in der Alpha-Männer wie Silvio Berlusconi seit Jahrzehnten ein sehr eigenes und wenig fortschrittliches Frauenbild haben, nennt Ungari "einen dieser Widersprüche der Geschichte". Sie selbst sagt: "Egal, was dein Geschlecht ist, dir wird nichts geschenkt."
Kritiker befürchten, dass eine rechte Regierung für Frauen in Italien ein Rückschritt bedeute. "Giorgia Meloni gewinnt - auch innerhalb ihrer Partei - weil sie "Gott, Vaterland und Familie", dieses patriarchalische Konzept unserer Gesellschaft, nicht anrührt", bemängelte Enrico Letta von Sozialdemokraten. Gott, Vaterland, Familie - "damit verteidigen wir unsere Identität", sagte Meloni.
Ihre Gegner hören solche Aussagen mit Sorge. "Melonis Politik ist sehr negativ für die Frauen", meint Emma Bonino, langjährige Parlamentarierin, mehrmalige Ministerin, einst EU-Kommissarin und seit jeher Vorkämpferin für Frauenrechte in Italien. Von Emanzipation sei diese Rechte weit entfernt. "Sie vertreten eine Politik, in der Frauen in ihren Rollen bleiben, als Heimchen am Herd, Mutter, Ehefrau." Meloni bedeute für Frauen einen "Rückschritt", sagt Bonino.
Dem hält Meloni entgegen, dass sie sich sehr wohl für Frauen und deren Rechte einsetze. Das gesetzliche Recht auf Abtreibung etwa wolle sie nicht abschaffen, obwohl das ihre Gegner ständig behaupteten, sagte sie zuletzt immer wieder. Im Wahlprogramm der Rechts-Allianz stehen zudem Hilfen für Familien und auch für junge Mütter, die wieder in den Beruf zurückkehren wollen.
In der italienischen Politik hatten es Frauen schon immer schwer. Von den sage und schreibe 67 Regierungen seit Gründung der Republik nach dem Zweiten Weltkrieg wurde keine von einer Frau angeführt - auch eine Staatspräsidentin gab es bislang noch nicht.
Dabei hatte das Mittelmeerland in all der Zeit große Politikerinnen: Nilde Iotti etwa, die nach dem Krieg an der Verfassung mitschrieb und mehr als 50 Jahre lang Parlamentarierin war; 1979 wurde sie als erste Frau Präsidentin der Abgeordnetenkammer. Oder Tina Anselmi, die 1976 als erste Frau ein Ministerium bekam. Oder eben Emma Bonino.
All diese Frauen kämpften teils verzweifelt gegen den Machismus in Italien. Und dieser wurde unter Silvio Berlusconi, der seit den 90er Jahren politisch aktiv ist, auf eine neue Ebene gehoben. Freundinnen und Showgirls aus seinen Medienunternehmen wurden da mitunter in die Politik geschoben, das Aussehen reichte oft als Qualifikation. Von dem Ex-Ministerpräsidenten, der sich einst wegen des Vorwurfs der Begünstigung von Prostitution Minderjähriger ("Bunga-Bunga-Partys") vor Gericht verantworten musste, emanzipierten sich nicht alle.
Von kleinen Anzüglichkeiten sieht Berlusconi, der zusammen mit Meloni und dem Rechtspopulisten Matteo Salvini die künftige Regierung bilden will, übrigens auch in Zeiten nach #Metoo nicht ab. Jüngst bat er junge Wähler um deren Stimmen, um "mich eurer Freundin vorzustellen? Ach was! Ich bitte euch, am 25. September wählen zu gehen und für mich und Forza Italia abzustimmen". Am Wochenende warb er um die Stimmen von Frauen, "nicht nur, weil ich schöner bin als Letta, sondern auch weil ich mein ganzes Leben eurer Liebe nachgejagt bin".
Dies mag wie peinliches Geplapper eines 85-Jährigen klingen - jahrelang hatte Berlusconi das Frauenbild Italiens nachhaltig zerstört, wie die Parlamentarierin Julia Unterberger einmal sagte. Viele Politikerinnen erleben Beschimpfungen, sexistische Anfeindungen und gar Morddrohungen. Teils pöbeln auch ihre Kollegen mit.
Dass mit Meloni die Stereotypen und das herablassende Getue vieler Politiker gegen Frauen überwunden werden, daran zweifeln viele. Dabei könnte die Römerin mit gutem Beispiel vorangehen. In ihrer Partei finden sich bislang keine anderen Frauen in wichtigen Rollen - kein Wunder, heißt diese doch "Fratelli d'Italia", Brüder Italiens.
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