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Im Blickfeld: Scholz-Schuld?

Von Stefan Kuhn

Scholz
Bundeskanzler Olaf Scholz. (Foto: dpa-Archivbild)

Die meisten Kommentatoren sind sich einig. Die SPD-Schlappe bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen geht auf das Konto von Bundeskanzler Olaf Scholz. Mit 26,7 Prozent kam die Partei in ihrem einstigen Stammland auf das historisch schlechteste Ergebnis.

Sieht man sich die Zahlen an, ist das nur zum Teil richtig. Scholz hat sich im Landtagswahlkampf mächtig engagiert, konnte aber keine sozialdemokratischen Wähler mobilisieren. Im Gegenteil: rund 300.000 Wähler der Partei gingen erst gar nicht zur Wahl. 260.000 verlor die SPD an die Grünen, die eigentlichen Wahlsieger. Scholz blieb als Kanzler bisher zu blass, als dass er den noch blasseren SPD-Kandidaten Thomas Kutschaty unterstützen konnte. Bundespolitische Unterstützung bekamen dagegen die Grünen. Deren Bundesminister Robert Habeck (Wirtschaft) und Annalena Baerbock (Außen) führen die nationale Beliebtheitsskala der Politiker mit deutlichem Vorsprung an. Davon konnte Mona Neubaur, die recht unbekannte Spitzenkandidatin der NRW-Grünen, profitieren. Die Grünen verdreifachten ihren Stimmenanteil.

Als Wahlsiegerin fühlt sich die CDU. Deren Vorsitzender Friedrich Merz sieht schon einen Wiederaufstieg der Partei. Das ist insofern berechtigt, als dass die Christdemokraten mit deutlichem Abstand vor der SPD stärkste Partei geworden sind. Obwohl nur ein halbes Jahr im Amt, hat der CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst wohl von einem Amtsbonus profitiert. Sein Gegner Kutschaty hat zwar in den letzten Wochen vor der Wahl in den Umfragen etwas aufgeholt, aber das ist jetzt Makulatur. Bei den Parteipräferenzen prognostizierten die Meinungsforschungsinstitute ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und SPD.

Wenig glorreich sieht der Sieg aus, wenn man bedenkt, dass die schwarz-gelbe Koalition mehr als abgestraft wurde. Sie hat keine Mehrheit mehr, und die CDU weniger hinzugewonnen als die FDP verloren hat. Laut Umfragen war Rot-Grün unter den NRW-Wähler*innen die beliebteste Regierungskonstellation. SPD und Grüne haben auch deutlich an Stimmen hinzugewonnen, aber am Ende fehlten drei Mandate für eine Regierungsmehrheit. CDU und FDP hatten bisher eine äußerst knappe Mehrheit von einer Stimme im Landesparlament, jetzt fehlen den Parteien zehn Stimmen. Entscheidend war, dass die AfD trotz deutlicher Verluste mit 5,4 Prozent den Einzug in den Landtag geschafft hat. Das ist im Übrigen der erfreulichste Aspekt der bisherigen Landtagswahlen in diesem Jahr. Die Rechtspopulisten haben durchweg Stimmen eingebüßt. In Schleswig-Holstein sind sie sogar aus dem Landtag geflogen.

In Nordrhein-Westfalen gibt es jetzt drei mögliche Regierungsoptionen. Hendrik Wüst hat zwei. Entweder eine große Koalition mit der SPD oder Schwarz-Grün. Mit der SPD kann er kaum rechnen. Juniorpartner der CDU im einstigen SPD-Stammland wäre für die Genossen ein Albtraum. Die zweite ist die wahrscheinlichste. Zusammen mit den Grünen hätte Wüst eine komfortable Mehrheit, und Neuland ist diese Konstellation auch nicht. In Hessen und umgekehrt in Baden-Württemberg regieren die beiden Parteien relativ einträchtig und skandalfrei.

Die dritte Möglichkeit wäre eine Ampel wie auf Bundesebene. Das hätte durchaus Vorteile, aber solch ein Bündnis wäre, was SPD und FDP betrifft, eine Koalition der Verlierer. Die Grünen haben sich zudem beide Optionen offen gelassen. Mit den Christdemokraten dürften sie ihre Anliegen aber besser durchsetzen können als mit der widerborstigen FDP.

Die Ampel in Nordrhein-Westfalen ist allerdings noch nicht vom Tisch. Sie wäre für die Bundesregierung die beste Option. Zum einen wegen der Stimmgewichtung im Bundesrat, der bei den meisten Bundesgesetzen zustimmen muss. Bisher herrscht ein Patt in der Länderkammer, was die "sicheren" Stimmen angeht. Mit Nordrhein-Westfalen hätte die Ampel sechs Stimmen mehr, die Oppositions sechs weniger. Von einer Mehrheit ist die Bundesregierung aber weit entfernt, denn bei den Länderregierungen gibt es die unterschiedlichsten Konstellationen. Sind sich die Koalitionspartner nicht einig, enthalten sich die Bundesländer. Ein positives Votum kann es bei dieser Zusammensetzung des Bundesrats nicht geben.

Ganz abgesehen davon wäre Schwarz-Grün in Nordrhein-Westfalen ein weiterer Tiefschlag für die Ampel in Berlin. Die Regierung war angetreten, um Deutschland in die Zukunft zu führen. Der Überfall Russlands auf die Ukraine hat alles verändert. Plötzlich sind nicht mehr Klimaziele, soziale Gerechtigkeit oder die Bekämpfung der Corona-Pandemie wichtig. Man redet über Waffenlieferungen, explodierende Energiekosten und Inflation. Die Zwistigkeiten in der Regierung mehren sich, vor allem die FDP dürfte jetzt versuchen, sich mehr Profil zu verschaffen. Die Liberalen können bisher wenig bei ihrer Wählerschaft punkten. Ihr Parteichef, Finanzminister Christian Lindner, muss all das machen, was er zuvor strikt abgelehnt hat. Exorbitante Neuverschuldung ist nur ein Beispiel unter vielen.

Die FDP hat bei den letzten Landtagswahlen am meistern Federn gelassen. Im Saarland haben sie trotz leichter Zugewinne den Einzug in den Landtag verpasst, in Schleswig-Holstein ihren Stimmenanteil fast halbiert. Deutlich mehr als die Hälfte verlor die Partei in Nordrhein-Westfalen. Eine Ampel in Deutschlands bevölkerungsreichsten Bundesland könnte die Wogen etwas glätten.


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