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Im Blickfeld: Sanktionen, wo Vernunft nicht hilft

Von Stefan Kuhn

Deutschland ein Flickenteppich, das ist nun in der Coronakrise nichts Neues. Es ist auch verständlich, die Bundesländer waren schon von Beginn an unterschiedlich stark betroffen. Deshalb hat es so einige Zeit gedauert, bis sich etwa die Mundschutzpflicht in allen deutschen Staaten durchgesetzt hat. Es gab Länder, die vorpreschten. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ist der Frontmann der Vorsichtigen. Sein nordrhein-westfälischer Amtskollege Armin Laschet (CDU) setzte sich früh für Lockerungen ein. Im SPD-geführten Mecklenburg-Vorpommern war die Ostseeküste in den Osterferien für Gäste aus anderen Bundesländern gesperrt. Später konnte man sich auf Mindeststandards bei den Maßnahmen einigen.

Nachdem die erste Ansteckungswelle unter Kontrolle war, die Zahl der Infektionen und der Todesfälle sank drastisch, gab es mehr oder weniger einheitliche Lockerungen. Die Sommerferien begannen und die Tourismusbranche ächzte. Die Deutschen taten, was sie am liebsten tun: sie urlaubten. Viele entdeckten zum ersten Mal ihr Heimatland, andere konnten auf den Mallorca-Rummel nicht verzichten. Tatsache ist, dass mit den Reiserückkehrern die Zahl der Infektionen wieder anstieg. Mit dazu beigetragen haben sicher auch Massendemonstrationen von Corona-Leugnern, bei denen die Maskenfreiheit schon fast Pflicht ist, und Saufpartys von Jugendlichen.

Heute gibt es in Deutschland wieder um die 5000 Neuinfektionen pro Tag - so viele wie seit April nicht mehr. Brennpunkte sind die Metropolen. Berlin, Bremen, Essen, Köln, Frankfurt, Stuttgart und München haben die kritische Grenze von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner teils mehr als deutlich überschritten. Aber auch beschauliche Landkreise wie Rottach-Egern und Regen in Bayern oder das Eichsfeld in Thüringen sind stark betroffen. Den traurigen Rekord hält derzeit der Eifelkreis Bitburg-Prüm mit 115 Infizierten je 100.000 Einwohner.

Die alarmierenden Zahlen waren für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Grund genug, die Ministerpräsident*innen der Bundesländer ins Kanzleramt zu rufen. Es ging um eine Ausweitung der Maskenpflicht, Sperrstunden, Alkoholverbot und "Beherbergungsverbote". Die Einigungsbereitschaft war recht gering. Umstrittene Themen wurden vertagt. Eine geradezu komische Note hat dabei das Beherbergungsverbot, nach dem Gäste aus Risikogebieten (Landkreise mit mehr als 50 Neuinfektionen/100.000 Einwohner) einen negativen Test vorweisen müssen, um in einem anderen Ort zu übernachten. Es gilt unter anderem in Bayern, aber selbst dort nicht für jedes deutsche Risikogebiet. Bis es eine einheitliche Regelung gibt, sind in den Bundesländern die Herbstferien längst zu Ende.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen haben durchaus ihren Sinn, aber es gibt auch plausible Gegenargumente. Sperrstunden reduzieren die Kontakte und Alkohol enthemmt. Wenn die Kneipe aber früher dicht macht, trink man schneller und intensiviert eventuell die Kontakte. Und Alkoholverbote haben noch nie etwas gebracht. Dem Beherbergungsverbot steht entgegen, dass es unnötige Testkapazitäten bindet, und der Test selbst keine absolute Sicherheit bringt.

Vernunft wäre die beste Lösung und ein bisschen Angst angebracht. In Deutschland fühlte man bis vor Kurzem kaum Einschränkungen. Aber wenn die Zahl der Infektionen im Heimatort oder im entsprechenden Landkreis ansteigt, wäre es vernünftig, auf eine Woche Urlaub an der Ostsee, im Schwarzwald oder den bayrischen Alpen zu verzichten. Und wenn man das nicht aus Vernunftgründen tun kann, dann aus Angst davor, dass der eigene Betrieb oder die Kneipe an der Ecke wieder schließt. Der Lockdown droht. In den EU-Nachbarländern ist das schon wieder Tagesordnung.

Klar, nicht nur Deutschland ist coronamüde. Aber wo Vernunft nicht hilft und Angst nicht vorhanden ist, müssen klare Regeln und Sanktionen her. In Bayern wird die Missachtung der Mundschutzpflicht mit einem Ordnungsgeld in Höhe von 250 Euro geahndet, im Wiederholungsfall 500 Euro. In anderen Bundesländern kommt man mit 100 Euro davon. Aber die bajuwarischen 250 Euro sind nicht unangemessen, ein Schwarzfahrer zahlt 60 Euro, wenn er erwischt wird, und Schwarzfahren gefährdet Niemanden. Verstöße gegen Maskenpflicht und Abstandsregeln müssen aber auch konsequent verfolgt werden. Derzeit läuft man mitunter Gefahr, angepöbelt zu werden, wenn man nur jemanden höflich darauf hinweist, Abstand zu halten.

Klare Regeln braucht es auch bei Auslandsreisen aus Risikogebieten. Die EU hat inzwischen ein Ampelsystem eingeführt, bei dem Rot Risiko bedeutet und Grün unbedenklich. Sinnvoll ist das aber nur, wenn man bei der Einreise den Ursprungsort des Passagiers überprüft. Das geschieht nicht. Dazu kommt, dass die meisten Einreisen aus den Nachbarländern Deutschlands per Pkw erfolgen. Die sind unkontrollierbar.

Statistisch gesehen gibt es bei Flugreisen ein geringes Infektionsrisiko. Dies soll mit dem Belüftungssystem und den hocheffektiven Luftfiltern zusammenhängen. Ich bin durchaus wissenschaftsgläubig, in Corona-Zeiten bleibt einem auch nichts anderes übrig. Sieht man sich die Zahl der Corona-Toten und die Übersterblichkeit durch die Pandemie in manchen Ländern an, wird einem Angst und Bange. Wenn auf einem 13-stündigen Kontinentalflug Passagiere permanent die Maske verweigern, und das Bordpersonal nichts dagegen unternimmt, macht mir das Angst. Würde ich mir aus Frust eine Zigarette anzünden, wäre die Hölle los. Dabei gilt bei Flugreisen Maskenpflicht und Rauchverbot.

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