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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Im Blickfeld: Rückschläge für Afghanistans Frauen

Von Nabila Lalee

Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan wurden Frauenrechte sukzessiv eingeschränkt - nun dürfen Frauen auch keine Universitäten mehr besuchen. Doch ihren Kampf um Selbstbestimmung haben sie nicht aufgegeben.

„Rechte muss man sich erkämpfen, sie werden einem nicht geschenkt“, besagt ein Sprichwort in Afghanistan. Dessen Bedeutung kennen Julia Parsi und ihre Mitstreiterinnen nur zu gut. Die Frauen haben gemeinsam die „San Library“ gegründet, die „Frauenbibliothek“ in der Hauptstadt Kabul. Ein Ort, an dem Besucherinnen lesen, lernen und sich austauschen können - mitten unter den herrschenden Taliban. Die Islamisten haben am Dienstag ihren neuesten frauenfeindlichen Erlass verkündet: Fortan dürfen Frauen keine Universitäten mehr besuchen.

Das Verbot reiht sich ein in eine bereits lange Liste an Einschränkungen für Frauen, seit die militanten Islamisten im August 2021 die Macht übernommen haben. Frauen durften in vielen Fällen nicht mehr an ihre Arbeitsplätze zurückkehren, dann wurden ihnen Fahrten mit dem Taxi alleine untersagt, dann wurde Mädchen der Schulbesuch ab der siebten Klasse verboten. Seit ein paar Monaten ist etwa in Kabul sogar der Besuch in öffentlichen Parks und Fitnessstudios für Frauen ein Tabu.

Die Aktivistinnen rund um Julia Parsi allerdings wollen nicht über sich bestimmen lassen. Immer wieder organisieren sie Proteste gegen die Regierung und die Beschränkungen der Taliban. „Ich möchte die Stimme der Afghaninnen nach außen tragen“, erzählt Julia in ihrer Bibliothek, zwischen bunten Büchern für Kinder und zahlreichen Klassikern der afghanischen Literatur.

Ähnlich wie im Iran haben die Proteste gegen die Machthaber in Afghanistan ein weibliches Gesicht. Was für die Iranerinnen und Kurdinnen „Frau, Leben, Freiheit“ ist, ist für die Afghaninnen „Brot, Arbeit, Freiheit“: Der Protestruf, der sie immer wieder auf die Straßen von Kabul, Herat oder Masar-i Scharif treibt. „Mit jeder neuen Einschränkung für Frauen sind wir erneut rausgegangen“, sagt Parsi. Selbst Schläge, Drohungen oder Verhaftungen konnten Demonstrantinnen bisher nicht davon abhalten.

Vor allem die unter den Taliban weitgehenden Einschränkungen für arbeitende Frauen stellen viele Afghaninnen vor große Probleme. So auch Mina, die für ihre Kinder alleine aufkommen muss, seitdem ihr Mann als Soldat im Krieg starb. In der Werkstatt von Laila Haidari hat die 35-Jährige eine Möglichkeit gefunden, dennoch für ihre Familie zu sorgen.

Im Westen Kabuls hat Haidari, deren bekanntes Restaurant von den Taliban geschlossen worden war, ein Institut gegründet, in dem Frauen lernen, Kleidung und Schmuck herzustellen. So können sie in der Folge ein Einkommen erzielen. In dem Institut bietet Haidari außerdem Kurse in Fächern wie Englisch, Mathematik oder Programmieren an. Ungewöhnlich ist das nicht - nicht wenige Privatschulen unterrichten Mädchen einfach weiter.

Andere Frauen haben ausgerechnet im Dienst der Taliban eine der wenigen Verdienstmöglichkeiten gefunden. Als Schaista sich entschied, Polizistin zu werden, war ihr Mann erst skeptisch. „Doch jetzt unterstützt er mich“, erzählt die 23-Jährige im einfachen Klassenzimmer der Polizeischule mit langen Fluren und kahlen Wänden im Osten Kabuls. Hier bilden die Taliban rund 500 Polizistinnen aus. Sie bedecken ihr Haar mit einem Kopftuch und Mund und Nase mit einer Maske. In dem Raum für Schießübungen liegen auf einem Schultisch mehrere AK-47.

Ein Ende des Aufbegehrens der Frauen ist so schnell nicht in Sicht. „Ruhig zu sitzen ist für mich keine Option“, sagt Alia Waisi, eine junge Frauenrechtsaktivistin aus dem zentralafghanischen Bamian.

Aufgrund der herrschenden Geschlechtertrennung werden Polizistinnen weiterhin benötigt, etwa bei Kontrollen anderer Frauen oder Hausdurchsuchungen. Fast alle Frauen hier sind die Haupternährerinnen ihrer Familien, einige verschweigen ihrem Umfeld, dass sie arbeiten. Im Hof gibt es einen Spielplatz, wo die Kinder der Polizeischülerinnen toben können. „Ich will, dass Frauen die Möglichkeit haben, sich an eine Polizistin zu wenden, wenn sie zum Beispiel zu Hause Gewalt erleben“, sagt Schaista. Dass sie im Zweifel auch gegen ihre Geschlechtsgenossinnen eingesetzt werden, etwa bei Demonstrationen, ist den Polizistinnen bewusst.

Ein Ende des Aufbegehrens der Frauen ist so schnell nicht in Sicht. „Ruhig zu sitzen ist für mich keine Option“, sagt Alia Waisi, eine junge Frauenrechtsaktivistin aus dem zentralafghanischen Bamian. Noch vor dem nun verhängten Verbot von Universitätsbildung für Frauen sagte sie, dass ihr und ihren Freundinnen vor allem die Gerüchte darüber sehr zusetzten.

Jeder Schritt Richtung Freiheit und Bildung kann Frauen in dem Land aber auch wegen der anhaltenden Terrorgefahr einen hohen Preis kosten - mitunter sogar das eigene Leben. Als sich im April ein Attentäter im Kabuler Stadtteil Dascht-e Bartschi in die Luft sprengte, waren unter den mehr als 50 Todesopfern vor allem junge Frauen. Sie bereiteten sich in einer privaten Bildungseinrichtung gemeinsam auf die Aufnahmeprüfung für die Universität vor. „Sie war so aufgeregt wegen des Examens“, erinnert sich die Familie von Hadschar, die, wie ihre Cousine Marsia, vom Kurs nicht mehr zurückkehrte.

Fatima Amiri überlebte das Attentat schwer verletzt und verlor dabei ihr linkes Auge. „Ich hatte mich unterm Schreibtisch versteckt“, erinnert sich die junge Frau. „Als ich die Augen öffnete, waren meine Hände voller Blut und um mich herum lagen tote Menschen.“ Die anschließende Aufnahmeprüfung für die Universität legte sie trotz der schrecklichen Ereignisse ab - und bestand mit Bestnoten.

Dank einer Spendenaktion des beliebten afghanischen Sängers Farhad Daria kann Fatima ihre Verletzungen nun in der Türkei behandeln lassen. Doch sie ist fest entschlossen, nach Afghanistan zurückzukehren, selbst wenn sie ihre Bildung im Ausland fortsetzen sollte. „Ich bin überzeugt davon, dass eines Tages wieder bessere Zeiten in Afghanistan kommen“, sagt sie. (dpa)


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