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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Im Blickfeld: Bei heulenden Sirenen

Von Michael Fischer, Sara Lemel und Sebastian Engel

Nahost
Rauchschwaden eines Feuers steigen während eines israelischen Luftangriffs über einem Industriegebiet in Gaza auf.

Als sich Bundesaußenminister Heiko Maas im Landeanflug auf Tel Aviv befindet, heulen in israelischen Orten an der Grenze zum Gazastreifen wieder die Sirenen. Der Raketenalarm beendet die bis dato wohl längste Ruhephase seit Beginn der Eskalation zwischen Israel und militanten Palästinensern im Gazastreifen. Mehr als acht Stunden war es zuvor ruhig geblieben.

Knapp zwei Stunden später steht Maas (SPD) vor einem riesigen Loch im ersten Stock eines Wohnhauses in Petach Tikwa im Osten von Tel Aviv. Die von der Hitze verformte Uhr an der Wand zeigt 1.53 Uhr an. In dieser Minute in der Nacht zum 13. Mai schlug hier eine der mehr als 4000 Raketen ein, die der Islamische Dschihad oder die Hamas in den vergangenen zehn Tagen auf Israel abgefeuert haben. 90 Sekunden hatten die Bewohner vorher Zeit, sich in Sicherheit zu bringen. Sie flüchten sich mangels ausreichender Schutzräume teilweise ins Treppenhaus. Kurze Zeit später steht das Haus in Flammen. Fünf Menschen werden durch Rauch und Splitter verletzt.

Wegen dieser Opfer des "Raketenterrors" - wie Maas es immer wieder nennt - und allen, die davon bedroht sind, ist der Außenminister vor allen Dingen nach Israel gekommen. "Für uns ist die Sicherheit Israels, genauso die Sicherheit aller Jüdinnen und Juden in Deutschland, nicht verhandelbar. Und darauf kann sich Israel immer verlassen", sichert er seinem Amtskollegen Gabi Aschkenasi zu.

Der israelische Außenminister und die gesamte politische Führung des Landes wissen das zu schätzen. Als Dank für die deutsche Solidarität wird Maas in Tel Aviv und Jerusalem ein ziemlich großer Bahnhof bereitet. Aschkenasi holt ihn vom Flughafen ab, begleitet ihn nach Petach Tikwa. Später stehen Treffen mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, Präsident Reuven Rivlin und Verteidigungsminister Benny Gantz auf seinem Programm. Hochrangiger geht es nicht.

Und auf die Frage, was Israel nun eigentlich von Deutschland erwartet, antwortet Aschkenasi nur: "Unsere Erwartungen sind genau das, was gerade passiert."

Die Reise ist aber mehr als ein weiterer Solidaritätsbeweis an die Israelis. Wie nach fast jedem Israel-Besuch eines deutschen Außenministers folgt auch diesmal ein Abstecher in die Palästinensischen Autonomiegebiete. Nicht trotz des Konflikts Israels mit den Islamisten von der im Gazastreifen herrschenden Hamas - sondern eher wegen der Krise.

Als Vermittlungsmission geht die Reise des Außenministers trotzdem nicht durch. Es geht eher darum, einen vertrauensbildenden Prozess in Gang zu bringen für die Zeit nach einem Waffenstillstand. Dann wird es darum gehen, ob man Israelis und Palästinenser wieder an den Verhandlungstisch bringen kann - was seit sieben Jahren nicht gelungen ist. 2014 war eine Initiative des damaligen US-Außenministers und heutigen Klimaschutzbeauftragten John Kerry gescheitert.

Eine Rückkehr an den Verhandlungstisch erscheine zwar noch "meilenweit entfernt", trotzdem müsse man daran arbeiten, sagt Maas. "Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit sind ein Sicherheitsproblem. Israelis und Palästinenser brauchen wieder eine Perspektive für eine friedliche Zukunft." Deutschland versucht seit einem Jahr, in einer Vierer-Gruppe mit Ägypten, Jordanien und Frankreich daran mitzuwirken. Sichtbare Erfolge gibt es bisher allerdings nicht.

Maas ist sich aber auch bewusst, dass Deutschland bei den Bemühungen um eine Lösung des Konflikts allenfalls ein Platz in der zweiten Reihe zukommt. Der für Israel wichtigste internationale Akteur ist US-Präsident Joe Biden. Dieser hatte am Mittwoch im Gespräch mit Netanjahu ein Machtwort gesprochen, nachdem er sich zuvor immer betont verständnisvoll geäußert hatte. Bei dem Telefonat forderte Biden eine deutliche Deeskalation in Richtung einer Waffenruhe noch im Laufe des Tages. Gestern am späten Abend zeigte dies offenbar Wirkung. Das israelische Kabinett sprach sich für eine Waffenruhe aus, die einseitig und ohne jegliche Vorbedingungen erfolgt sei.

Im Treffen mit Maas hatte sich Netanjahu noch martialisch gegeben. Er legte vor laufenden Kameras zwei Trümmerteile einer Drohne auf den Tisch. "Iran hat uns diese bewaffnete Drohne geschickt", sagte er dazu. Die israelischen Streitkräfte hätten sie an der Grenze zu Jordanien abgeschossen. "Das sagt alles", fährt er fort. Maas steht daneben und schweigt.

Beobachter hatten indes schon vor Erklärung der Waffenruhe vermutet, dass sich Netanjahu dem Druck des wichtigsten Bündnispartners USA nicht lange werde entziehen können. "Es gibt ein Limit, bis zu dem er den Druck eines Landes aushalten kann, das Israel diplomatisch enorm unterstützt und Militärhilfe von 3,8 Milliarden Dollar im Jahr übermittelt", schrieb ein Kommentator der Zeitung "Haaretz".

Die Regierung in Jerusalem trieb auch die Sorge vor einem neuen Palästinenseraufstand im Westjordanland um, die für den heutigen Freitag im Westjordanland einen neuen "Tag des Zorns" angekündigt haben. Des Weiteren wächst die Sorge vor einer weiteren Spaltung von Juden und Arabern im eigenen Land, je länger der Konflikt dauert.

Das Leid der Zivilbevölkerung stieg auf beiden Seiten von Tag zu Tag. Besonders im Gazastreifen sind die Zerstörungen gewaltig. Hamas-Führer Mussa Abu Marsuk hatte schon am Mittwoch gesagt, er erwarte binnen ein oder zwei Tagen eine Waffenruhe. In israelischen Medien wurde eine ähnliche Zeitspanne genannt. An den Bemühungen um eine Waffenruhe waren auch Ägypten, Katar und die Vereinten Nationen beteiligt. Der UN-Sondergesandte Tor Wennesland war nach Medienberichten in Katar, um sich dort für eine rasche Waffenruhe stark zu machen. (dpa)



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