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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Im Blickfeld: Qual-Wahl

Von Stefan Kuhn

Jetzt ist genau das geschehen, was nicht geschehen durfte. Bei den US-Wahlen gibt es ein denkbar knappes Ergebnis. Der demokratische Kandidat Joe Biden hat zwar mit Arizona, Michigan und Wisconsin dem Präsidenten einige Staaten abnehmen können, aber die wichtigsten konnte Donald Trump halten. Vor allem in Florida machten sich die Demokraten große Hoffnungen, denn dort lagen sie in den Umfragen bis zum Wahltag bis zu drei Prozentpunkte vorne. Das Gegenteil geschah. Trump hielt den Staat mit mehr als drei Prozentpunkten Vorsprung. Auch in Ohio und Texas standen die Chancen für Biden nicht schlecht, doch Trump gewann dort deutlich. Und selbst Staaten, die wegen des großen Vorsprungs als sicher für Biden galten, gewann er am Ende nur knapp. Und dann ist da auch noch Pennsylvania, das eigentlich als Schlüsselstaat galt. Dort hatte Biden bis zum Wahltag einen Vorsprung von vier bis fünf Prozentpunkten. Derzeit liegt Trump dort vorne.

Biden hat bessere Chancen auf den Sieg. Er liegt deutlich in Führung, und Donald Trump müsste alle vier offenen Rennen - in Georgia, North Carolina, Pennsylvania und Nevada - für sich entscheiden, um im Weißen Haus zu bleiben. In den ersten drei Staaten liegt er leicht vorne und in Nevada leicht hinten. Nevada würde Biden für 270 Stimmen im Wahlkollegium reichen. Das entspricht exakt der absoluten Mehrheit. Der demokratische Herausforderer hat auch durchaus noch Chancen auf einen knappen Sieg in den anderen Staaten, denn dort werden noch Briefwahlunterlagen ausgezählt. Briefwähler*innen stimmen mit zum Teil überwältigenden Mehrheiten für die Demokraten. Die Zahl der Abstimmungen per Brief ist wegen der Angst, sich bei beim Urnengang mit Corona anzustecken, gewaltig gestiegen. Und Trump-Anhänger halten sich für immun.

Das Problem an der Sache ist das Wörtchen "knapp". Bei knappen Ergebnissen gibt es Klagen und Neuauszählungen. Das ist zwar ein legitimes rechtsstaatliches Mittel und enge Rennen sollten auf jeden Fall überprüft werden, aber in der Regel ändert sich das Ergebnis nur um wenige hundert Stimmen, wenn man die Wahlscheine ein zweites Mal in die Zählmaschine wirft. Das war beim Wahlkampf 2000 noch anders. Damals ging es um einen 500-Stimmen-Vorsprung von George W. Bush gegenüber Al Gore im Bundesstaat Florida, der ausgerechnet von Bushs Bruder Jeb regiert wurde. Bei der Wahl wurden schlecht gestanzte Lochkarten verwendet, und die Demokraten verlangten eine manuelle Neuauszählung. Die wurde vom Supreme Court abgebrochen.

Heute ist so etwas nicht denkbar. Die Demokraten würden sich wohl gar nicht die Mühe machen, sich an den Obersten Gerichtshof zu wenden, an dem die konservativen Richter eine 6:3-Mehrheit haben. Drei der sechs Richterinnen und Richter hat Trump nominiert und deutlich gemacht, das er dabei auch an die Präsidentschaftswahl gedacht hat. Es ist durchaus vorstellbar, dass der Präsident in einigen Staaten die Briefwahl für ungültig erklären lassen will. Er hat schon im Wahlkampf ständig vor den "betrügerischen" Briefwahlen gewarnt und erklärt, dass er die Wahl nur durch "Betrug" verlieren könne. Sollte er damit durchkommen, wäre das ein K.o.-Schlag für die US-amerikanische Demokratie.

Angeschlagen hat er das demokratische System während seiner fast vierjährigen Amtszeit schon mehrfach. Aber dass er sich während der Auszählung, im Rückstand liegend, bereits zum Wahlsieger erklärt hat, zeigt besonders deutlich wie wenig Respekt der Präsident vor den demokratischen Institutionen hat. Vor allem vor dem Souverän, dem Volk.

Nun gut, als Außenstehender mag man den Respekt vor einem großen Teil des US-amerikanischen Volkes auch verloren haben. Dass Zig-Millionen einen Menschen wie Donald Trump blind verehren, ist schon erschütternd. Einen Mann, der Frauen und Minderheiten verachtet, der lügt wie gedruckt und Fakten als Fake News abqualifiziert. Jemand, der nur in Superlativen von sich selbst spricht, beratungsresistent ist und Kritiker mit Beleidigungen abqualifiziert. Einen Mann, der die Nation gespalten hat, und jeden Tag erneut Öl ins Feuer gießt. Der mit Diktatoren kungelt, sie offen bewundert und Verbündete verprellt. Ein Milliardär, der mit seinem Vermögen protzt und so gut wie keine Steuern zahlt. Einer der jeden Furz, der ihm durchs Hirn geht, per Twitter in die Welt schickt. Jemand, der für dieses Amt in keiner Hinsicht geeignet ist.

In Wahlanalysen wurde immer wieder auf die wirtschaftlichen Erfolge der Trump-Regierung hingewiesen. "Es ist die Wirtschaft, Dummkopf", hieß es zu Zeiten Bill Clintons. Bis März hatte Trump da eine ordentliche Bilanz. Das Bruttoinlandsprodukt und die Löhne stiegen, die Arbeitslosigkeit sank und die Börsen brummten. Dass das alles auf tönernen Füßen steht, weil der Handelskrieg gegen China, die EU und den Rest der Welt die US-Wirtschaft auch belastet, sei dahingestellt. Für die Wählerinnen und Wähler kommt es darauf an, ob es ihnen besser geht als vorher.

Dann kam Corona, die Wirtschaft brach ein und Trump zeigte, welch Niete er als Krisenmanager ist. Er wusste früh von den Gefahren der Pandemie, verharmloste sie. Für die 240.000 Covid-19-Toten in den USA ist er verantwortlich und nicht China. Die Chinesen mögen Fehler gemacht haben, aber sie haben die Seuche unter Kontrolle und stehen wirtschaftlich gut da. Sie haben all das getan, was Trump ablehnt: strenge Quarantäne, Schutz- und Hygienemaßnahmen. Es ist schon absurd, dass Trump diese Krise fast unbeschadet überstand. Er hat einfach die Schuld auf China geschoben, einen baldigen Impfstoff und eine blühende Zukunft versprochen. Es wird immer Menschen geben, die einem falschen Messias folgen. Aber einem solchen und so viele?


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