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Im Blickfeld: Putins Schuld

Von Stefan Kuhn

Putin
Vladimir Putin. (Foto: Alchetron)

Ist er nun schuldig oder nicht? Die Geschichte über den Mordanschlag auf den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny ist zunächst zu wirr, als dass sie glaubwürdig wirkt. Russlands Präsident Wladimir Putin ist zwar kein "lupenreiner Demokrat" wie der deutsche Ex-Kanzler Gerhard Schröder das ausgedrückt hat, aber dass er einen eher unbedeutenden Gegner umbringen lassen will, traut man ihm dann doch nicht zu.

Auf der anderen Seite sind schon zu viele Putin-Gegner ermordet worden. Boris Nemzow wurde 2015 auf dem Roten Platz in Moskau erschossen. 2013 starb Boris Abramowitsch Beresowski unter ungeklärten Umständen im britischen Exil. Die Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa wurde 2009 im tschetschenischen Grosny entführt und später erschossen aufgefunden. Der frühere KGB-Agent Alexander Litvinenko wurde 2006 in London vergiftet. Ebenfalls 2006 wird die Journalistin Anna Politkowskaja im Treppenhaus ihres Wohnhauses erschossen. Gescheiterte Mordanschläge gab es 2018 auf den früheren Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter Julija. Skripal, ein Oberst des russischen Millitärgeheimdienstes GRU, arbeitete seit Mitte der 1990er-Jahre auch für den britischen Auslandsgeheimdienst MI6. Skripal wurde 2004 enttarnt, verurteilt und lebte nach seiner Begnadigung 2010 in England. Bei dem Anschlag auf ihn wurde das russische Nervengift Nowitschok verwendet.

Nowitschok kam auch beim Anschlag auf Nawalny am 20. August 2020 zum Einsatz. Es ist einer der stärksten chemischen Kampfstoffe, schon der Hautkontakt mit einem Milligramm kann zum Tod führen.

Was Putin zumindest in den beiden letzten Fällen entlastet, sind seine fehlenden Motive. Warum hätte er Killer auf einen Ex-Agenten wie Skripal hetzen sollen? Auf Jemanden, der sechs Jahre im Arbeitslager saß und nach seiner Begnadigung im Austausch gegen russische Spione ins Exil durfte? Noch unsinniger war der Anschlag auf Nawalny. Der Oppositionspolitiker hatte im Ausland mehr Bewunderer als in Russland. Seine Ermordung hätte Putins Ruf geschadet. Der Präsident hat andere Mittel, den Dissidenten zu kontrollieren. Nawalny verbüßte immer wieder Haftstrafen, von den Präsidentschaftswahlen 2018 wurde er von der Wahlkommission ausgeschlossen. Allerdings ist der 44-Jährige auch ein politisches Stehaufmännchen. Rückschläge bringen ihn nicht zum Schweigen. Er ist der einzige halbwegs ernstzunehmende Gegner Putins. Entlastend ist auch das Tatwerkzeug: ein Nervengift dessen Spur direkt nach Russland führt. Man könnte eigentlich davon ausgehen, dass russische Agenten professioneller arbeiten.

Dass Putin die Anschläge angeordnet hat, bezweifeln viele. Aber es spricht einiges für eine Mitwisserschaft. Im Fall Skripal gab es Hinweise auf eine Beteiligung russischer Geheimdienste. Im Fall Nawalny machten das deutsche Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" und weitere Recherchepartner, darunter der US-Nachrichtensender CNN, acht FSB-Agenten aus, die Nawalny beschatteten und an dessen Vergiftung mitwirkten. Nawalny, vorab über die Enthüllungen informiert, ging einen Schritt weiter. Er kontaktierte seine Attentäter. Mal wurde er an der Stimme erkannt, mal meldete er sich unter seinem richtigen Namen und wollte wissen, warum er ermordet werden sollte. Bis auf einen schwiegen alle oder legten den Hörer auf.

Auskünfte gab der Chemieexperte Konstantin Kudrjawzew. Nawalny gab sich als Mitarbeiter des Chefs des russischen Sicherheitsrates aus, benutzte eine Moskauer Regierungsnummer und brachte den FSB-Agenten zum Reden. Demnach war das Gift in einer blauen Unterhose, und der Anschlag scheiterte, weil das Flugzeug mit dem vergifteten Dissidenten sofort umkehrte, nachdem dieser Symptome zeigte. Kudrjawzew beschrieb auch, wie nach dem Scheitern Spuren beseitigt wurden. "Der Spiegel" sieht in dem rund 50-minütigen Telefongespräch, von dem ein Mitschnitt vorliegt, einen eindeutigen Beweis dafür, dass der Inlandsgeheimdienst die Tat geplant und durchgeführt hat. Die Aussagen Kudrjawzews decken sich nach Angaben des Nachrichtenmagazins zudem mit den bekannten Positionsdaten der Mobiltelefone der Agenten.

Indizien geben auch die Reaktionen Moskaus seit dem Anschlag. Zunächst war es gar kein Anschlag, sondern der erhöhte Blutzuckerspiegel des Opfers. Dann soll Nawalny selbst hinter seiner Vergiftung stecken, später war es ein Komplott Berlins. Zudem weigern sich Russlands Behörden an der Aufklärung mitzuarbeiten. Putin gab sogar den zynischen Kommentar ab, dass Nawalny tot wäre, wenn russische Geheimdienste dahinterstecken würden. Die neuen Enthüllungen seien von westlichen Geheimdiensten orchestriert worden. Solche Nebelkerzen verstärken den Verdacht mehr, als sie ihn ausräumen.

Dass der ehemalige Geheimdienstmann Putin von dem geplanten Anschlag gewusst hat, davon muss man inzwischen ausgehen. Wenn nicht, hätte er seinen Laden nicht unter Kontrolle. Dass er ihn angeordnet hat, dafür gibt es keine Beweise. Aber auch wenn er nicht den Befehl gab, seinen Gegner zu ermorden, ist er schuldig. Er hat den Anschlag nicht verhindert.


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