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Im Blickfeld: Orbans Hohn

Von Michael Winde, Manuel Schwarz und Johannes Sadek

Viktor Orban
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban. (Foto: dpa)

Moral und Glaubwürdigkeit sind für das Europaparlament die schärfsten Waffen. Nun steht das Haus selbst im Fokus eines bislang wohl einmaligen Korruptionsskandals. Da ist die Schadenfreude nicht weit.

Für Viktor Orban ist der Korruptionsskandal rund ums Europaparlament eine gute Nachricht. Daran ließ der ungarische Ministerpräsident die Welt am Montagmorgen genüsslich teilhaben. Auf Twitter teilte Orban, gegen dessen Regierung in Brüssel seit Jahren schwerste Korruptionsvorwürfe erhoben werden, ein ikonisches Foto, ein sogenanntes Meme: Zu sehen ist eine sich vor Lachen krümmende Männerrunde, der unter anderem der frühere US-Präsident Ronald Reagan und Vize George Bush angehören. "Und dann sagten sie, das Europaparlament sei ernsthaft besorgt über die Korruption in Ungarn", schrieb Orban zu dem Bild. Und: "Guten Morgen ans Europaparlament."

Es war kein guter Morgen für das Europaparlament, das am Montag zur letzten Sitzungswoche des Jahres in Straßburg zusammenkam. Seit Freitag steht es im Fokus eines Korruptionsskandals, wie es ihn in Brüssel wohl noch nie gegeben hat. Bestechung und Bestechlichkeit, Einflussnahme aus dem Golfemirat Katar, Geldwäsche und Korruption - das sind die Vorwürfe, die erhoben werden. Die griechische Vize-Präsidentin Eva Kaili und drei weitere Verdächtige sitzen deshalb in Untersuchungshaft. Am Montag gab es weitere Durchsuchungen am Brüsseler Parlamentssitz. Es ist eine Katastrophe für das Haus.

Wie tief der Schock sitzt, machte Präsidentin Roberta Metsola am Montag in ihrer Eröffnungsrede deutlich. Sie sprach von Wut, Zorn und Kummer. "Das Europäische Parlament, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird angegriffen, die europäische Demokratie wird angegriffen, und unsere Art der offenen, freien, demokratischen Gesellschaften wird angegriffen", sagte Metsola.

Das Europaparlament wäre gern mächtiger als es ist. Vor allem in außenpolitischen Fragen liegen die Befugnisse allerdings eher bei den Regierungen der EU-Staaten. Dem Parlament bleibt oft nur: fordern, appellieren, aufrufen, kritisieren. Moral als schärfste Waffe.

Hier kommt Orban ins Spiel. Mittlerweile gibt es unzählige Parlamentsresolutionen, die den Abbau des Rechtsstaats in Ungarn verurteilen. Zuletzt forderte das Parlament vor nicht einmal drei Wochen volle Härte gegen die Regierung in Budapest. Die EU-Staaten sollten EU-Mittel in Milliardenhöhe für Ungarn einfrieren.

Und jetzt das - ein Skandal, der bis an die Spitze des Parlaments reicht. Die 44-jährige Kaili und andere stehen unter Verdacht, dass sie Geld kassiert haben, damit sie für das WM-Gastgeberland Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen. So wird derzeit etwa auf EU-Ebene erwogen, die Visa-Regeln für Staatsbürger von Katar zu erleichtern.

"Der Schaden ist für das gesamte Europäische Parlament entstanden, deshalb muss der demokratische, proeuropäische Teil des Parlaments mit sehr großer Klarheit reagieren", forderte die Fraktionschefin der Grünen, Terry Reintke, deshalb am Montag. Damit alle Details ans Licht kämen, müsse etwa ein Untersuchungsausschuss eingerichtet werden, sagte sie der dpa.

Zugleich arbeitet das Parlament daran, Kaili möglichst rasch als Vize abzusetzen. Ihre Befugnisse hatte Präsidentin Roberta Metsola der ehemaligen Fernsehmoderatorin bereits entzogen.

Doch nicht nur für das Parlament, auch für Katar - das die Vorwürfe zurückweist - kommen die Enthüllungen zur Unzeit, nämlich inmitten der laufenden Fußball-WM und damit unter den Augen der Weltöffentlichkeit. Bleibenden Schaden dürfte der Brüsseler Fall für Doha aber kaum bedeuten. Das reiche Land hat seinen Einfluss im arabischen Raum, in Europa und darüber hinaus in den vergangenen Jahren stetig erweitert und vertieft. Es hat einen rasanten Aufstieg hingelegt von einem Wüstenstaat, in dem vor 100 Jahren fast ausschließlich Beduinen lebten.

Weil die meisten Verdächtigen Italiener sind, sorgt die Causa allerdings nicht nur in Brüssel und Griechenland, sondern auch in dem Mittelmeerland für großes Aufsehen. Die belgischen Fahnder sprechen innerhalb dieses "Qatargate" gar von einer "Italian Connection", wie die Zeitung "La Repubblica" berichtete.

Die bisherigen Ermittlungen vor allem gegen Antonio Panzeri - einen einstigen Gewerkschafter, jahrelangen Europaparlamentarier der Sozialdemokraten und dann Gründer einer Nichtregierungsorganisation zum Kampf für Menschenrechte auf der Welt - werden in den italienischen Medien umfangreich ausgeführt. So sollen bei dem 67-Jährigen Hundertausende Euro an Bargeld gefunden worden sein. Seine Frau und Tochter - letztere eine Anwältin unter anderem für Europarecht - wurden mit einem Europäischen Haftbefehl festgenommen und in Hausarrest gestellt. Ihnen werde Begünstigung vorgeworfen.

Vor allem die Gattin Panzeris soll von den Machenschaften gewusst haben, die dem Ex-Politiker vorgeworfen werden. "Wir dürfen nicht wieder 100.000 Euro für den Urlaub ausgeben wie letztes Jahr", habe sie ihrem Mann etwa in einem abgehörten Telefonat gesagt. Die Frau selbst sprach dabei von "zwielichtigen Machenschaften". Als es um einen Silvesterurlaub ging, schlug sie vor, die Kreditkarte von jemanden zu benutzen, den sie "The Giant", den Riesen, nannte. Wer das sei, gehe aus den Akten nicht hervor, schrieben Medien.

Angesichts dieser Enthüllungen, bei denen Sozialdemokraten im Fokus stehen, reibt sich nicht nur Viktor Orban die Hände. Auch die rechte Lega in Rom forderte schon am Wochenende, dass auch die italienischen Behörden ermitteln sollten.



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